Die Fifa-Pläne für eine Weltmeisterschaft alle zwei Jahre versetzen auch die anderen Sportarten in Aufregung. Der Anteil vom Kuchen könnte für sie dann noch kleiner ausfallen.
Tomas Bach ist ohne Zweifel krisenerprobt. Wegen Olympia in Tokio, das trotz der weitestgehend reibungslosen Organisation als Corona-Spiele in die Geschichte eingeht, musste der Herr der Ringe viel Kritik einstecken, nervenstark verhandeln und in einem komplizierten Geflecht aus Sport, Wirtschaft und Politik die Übersicht behalten.
Am Ende stand der Tauberbischofsheimer aber wieder als lächelnder Sieger da. Bach bejubelte die um ein Jahr verschobenen Sommerspiele trotz fehlender Zuschauer, manch fragwürdiger Corona-Maßnahmen und finanzieller Verluste als „großen Erfolg für Japan, das IOC und die gesamte Sportwelt".
In diesem Satz von Bachs Rede bei der Abschlussfeier steckt auch sehr viel Erleichterung. Eine Absage des Mega-Events hätte das Internationale Olympischen Komitee (IOC) finanziell wohl in die Knie gezwungen. Allein die Verschiebung um ein Jahr hat Kosten in Höhe von 2,3 Milliarden Euro verursacht. Corona hat dem IOC und den Sportfachverbänden mächtig zugesetzt, doch schon droht neues Ungemach. Die Pläne im Profifußball, ab 2026 alle zwei Jahre jeweils eine WM und EM auszutragen, sorgen in der Sportwelt für Aufregung. Schon jetzt wirft „König" Fußball so viel Schatten ab, dass andere Sportarten kaum noch ins Rampenlicht kommen. Und so verfolgt Bach die Diskussionen um die Fifa-Pläne auch „sehr interessiert", auch wenn er sich natürlich nicht in die Arbeit der Verbände einmischen wolle.
Der Deutschlandfunk berichtete, im IOC gebe es „massive Bedenken" gegen die Pläne, Präsident Bach fürchte gar, dass die Sommerspiele indirekt geschwächt werden könnten. Er soll zudem stark irritiert gewesen sein, dass Fifa-Präsident Gianni Infantino, ein IOC-Mitglied, ihn nicht im Vorfeld über die einschneidenden Pläne informiert habe. Sollten im alljährlichen Wechsel Welt- und Europameisterschaften im Fußball stattfinden, dürfte das tatsächlich Auswirkungen auf den „Restsport" haben.
„Wenn sich die Krake Fußball immer mehr ausbreitet, bleibt weniger Raum für andere tolle Sportarten", sagt Stefan Holz, Geschäftsführer der Basketball-Bundesliga BBL. „Ich finde allein die Idee traurig, denn sie ist für den gesamten Sport höchst gefährlich", sagte Bob Hanning dem Sport-Informations-Dienst. Der Geschäftsführer von Handball-Bundesligist Füchse Berlin, der lange Zeit als Vizepräsident im Deutschen Handball-Bund (DHB) die Geschicke leitete, prophezeit: „Kommt die Fifa mit ihren Plänen durch, würden viele Sportarten vollkommen von der medialen Bildfläche verschwinden." Weniger TV-Präsenz gleich weniger Geld gleich weniger Erfolg. Diese Formel kennt in der Sportbranche jeder Verantwortliche.
„Im Tischtennis ist es so, dass TV-Sender einem oft empfehlen: Legt die oder die Veranstaltung auf den oder den Tag, weil dann kein Fußball ist. Dann haben wir mehr Sendezeit", erzählt Thomas Weikert, Präsident des Tischtennis-Weltverbandes ITTF: „Die Sponsoren fragen immer zuerst: Haben Sie TV-Präsenz? Kann man das nicht bejahen, gibt es Einnahmeverluste auf der Sponsorenseite." Die drohen bei jährlich großen Fußball-Turnieren umso mehr, denn mehr Geld kommt dadurch nicht in den Topf. Weikert veranschaulicht: „Der Kuchen wird nicht größer, er wird nur anders verteilt." Und sicher nicht zu Ungunsten des Fußballs. „Immer mehr, immer mehr – davon bin ich kein Freund", sagt Weikert daher.
Große Belastung für andere Sportarten
Im Basketball ist man einen anderen Weg gegangen. Dort hält der Weltverband Fiba nicht nur am Vier-Jahres-Rhythmus von Weltmeisterschaften fest, sondern beschloss zudem, dass auch die Kontinental-Titelkämpfe nur noch alle vier Jahre ausgetragen werden. Dabei ging es zwar auch darum, den extrem eng getakteten Basketball-Kalender ein wenig zu entschlacken, aber eben nicht nur. „Man hat sich dazu entschieden, das Event bewusst aufzuwerten", sagt BBL-Geschäftsführer Holz: „Die WM in China zum Beispiel war ein Riesenevent, das in der ganzen Welt wahrgenommen wurde." Eine solche Aufmerksamkeit hätte das Turnier bei einer jährlichen Austragung nicht erhalten.
Die Fifa aber glaubt, dass das WM-Produkt so gut und so nachgefragt ist, dass eine Verkürzung der zeitlichen Abstände keine Entwertung zur Folge haben wird. Es gibt viel Widerstand, vor allem aus Europa, wo sich auch der Großteil der Fans gegen die Pläne ausspricht. Doch es gibt auch viele Befürworter wie Deutschlands Rekordspieler Lothar Matthäus oder Superstar Cristiano Ronaldo. Diskutiert wird über Geld, über die Belastungen der Spieler, über die Bedeutung eines WM-Titels – aber eben nicht über die Auswirkungen auf andere Sportarten.
Hanning findet das rücksichtlos. „Der Fußball hat in meinen Augen eine gewisse Verantwortung für den gesamten Sport", sagt der Handball-Manager, er spricht von einer „gesellschaftlichen Aufgabe". Er hoffe, dass die Verbände „das große Ganze" im Auge behalten und gegen die Pläne und damit „für den Sport" stimmen. „Es geht um nicht weniger als die Vielfalt des Sports", meint Hanning, denn die Fifa-Bemühungen würden „die ohnehin schon herrschende Monokultur in weiten Teilen der Berichterstattung weiter vorantreiben".
Die Dominanz des Fußballs in den Medien ist erdrückend, und die Quoten geben den Machern recht: 2018 waren in der Liste der 50 meistgesehenen Sport-Übertragungen des Jahres ausschließlich Fußballspiele zu finden. Keine Leichtathletik, kein Formel-1-Rennen, kein Tennismatch, kein Radrennen. Doch gerade die öffentlich-rechtlichen Sender sollten nicht immer nur auf die Quote achten, fordert Eberhard Gienger. Der frühere Turn-Weltmeister und heutige sportpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag meint: „Müssen ARD und ZDF sich diesem Diktat beugen? Sie haben schließlich einen Programmauftrag."
Sponsoren geht es um Sendezeit
Tennis-Ikone Boris Becker zum Beispiel fordert, anderen Sportarten wie „Handball oder Tennis einfach mehr Raum" zu geben. „Wenn der Sechs-, Acht-, Zwölfjährige mehr über den erfolgreichen Zverev oder Struff hören würde", glaubt der sechsmalige Grand-Slam-Turnier-Sieger, „dann wird er dadurch einfach inspiriert und hat einfach Lust, vielleicht eher Tennis zu spielen und nicht Fußball." Doch die Realität sieht anders aus, die TV-Sender stürzen sich auf den Quoten-Bringer Fußball. „Man kann schon mal die Frage stellen, ob wirklich jedes Zweitliga-Spiel oder der Tabellenelfte gegen den Tabellen-17. immer live übertragen werden muss", so Becker, der an das Verantwortungsbewusstsein der Redakteure und Programmdirektoren appelliert: Eine ausgewogene TV-Berichterstattung sei „das Zünglein an der Waage".
Der WM-Plan widerspricht dem natürlich. „Es besteht die Gefahr, noch mehr vom Fußball erdrückt zu werden", meint Hanning: „Uns wird die Luft zum Atmen genommen." Weikert sieht vor allem Sommersportarten bedroht: „Wenn es so kommen würde, wären viele TV-Termine in dem Zeitraum für den Fußball belegt. Die anderen Sportarten hätten dann noch weniger Sendezeit, und das kann Auswirkungen haben." Die großen Turniere im Basketball sind zwar in der Regel etwas später im August oder September, doch BBL-Geschäftsführer Holz weiß: „Die Aufmerksamkeit der Sportinteressierten ist begrenzt." Jeder müsse um seinen Marktwert, um seine Relevanz kämpfen, „und noch mehr Fußball muss deswegen nicht zwingend sein", so Holz, „das hilft uns sicher nicht."
Vielleicht hilft es aber auch dem Fußball nicht. Wer sagt denn, dass sich die Fifa mit dem neuen Format kein Eigentor schießen würde? Schon jetzt ist – or allem in Europa – eine Fußball-Sättigung unter den Fans zu spüren. Immer neue Wettbewerbe so wie die neu eingeführte Conference League oder die vor drei Jahren ins Leben gerufene Nations League haben die Nachfrage nicht gesteigert. „Es könnte auch sein, dass die Bevölkerung vielleicht fußballmüde wird", meint Klaus Schormann. Der Weltverbands-Präsident der Modernen Fünfkämpfer sieht daher gar nicht so schwarz für Randsportarten, sollte die Fifa an ihrem Plan festhalten: „Wir werden ja jetzt schon jeden Tag mit Fußball gefüttert. Es ist kaum ein Unterschied, ob eine WM nun alle vier oder alle zwei Jahre stattfindet."
Weikert findet die Idee „völlig überfrachtet", und Holz glaubt, die Fifa „inflationiert und entwertet" sein Premiumprodukt – womöglich mit einem nachhaltigen Schaden. Auch der deutsche Speerwurf-Rekordhalter Johannes Vetter rät dem Profifußball, „mal einen Gang zurückzuschalten anstatt fünf Gänge hoch". Ansonsten droht womöglich ein (Getriebe-)Schaden. „Eine WM alle vier Jahre liefert genug Spannung, Aufregung und Strahlkraft", sagt Vetter. Der Fußball drohe, die Schraube zu überdrehen: „Ich glaube, man kann erkennen, dass der Fußball wegen der Kommerzialisierung oder etwa der WM in Katar mittlerweile kritischer beobachtet wird." Mehrere Umfragen in Deutschland sehen die Gegner der Fifa-Pläne deutlich in der Mehrheit.
Und was, wenn sich die Befürworter doch durchsetzen? Vetter hat da so eine Idee: „Wenn die Fifa die Mehreinnahmen in andere Sportarten investieren würde, um diese zu pushen, würde mich das freuen." Ganz so wird es sicherlich nicht kommen, doch auch Weikert glaubt, dass der Fußball in diesem Falle ihr Geschäft nicht komplett rücksichtslos auf dem Rücken der anderen Sportarten betreiben würde. „Natürlich ist es ein Geschäft", sagte der Präsident des Tischtennis-Weltverbandes, „aber ich denke, dass aus dem Fußballbereich auch Solidarität kommt. Das ist zumindest mein Glaube."
Und was, wenn nicht? Würde das IOC womöglich auch den Tabubruch wagen und Olympische Sommer- und Winterspiele alle zwei statt traditionell alle vier Jahre stattfinden zu lassen? „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen", so Weikert. Aber eine Fußball-WM alle zwei Jahre war bis vor einiger Zeit auch undenkbar.