Deutschland kann seine Klimaziele bis 2030 erreichen. Europa ist nicht auf die schnelle Klimakrise vorbereitet. Der Kampf gegen den Klimawandel muss gerechter gestaltet werden.
Drei Botschaften innerhalb weniger Tage, auf den ersten Blick widersprüchlich und gegensätzlich. Wie so oft, wenn in Diskussionen um den Klimawandel unterschiedliche Ebenen und unterschiedliche Blickwinkel in den Fokus rücken. Gemeinsam ist aber allen die Botschaft: Der Kampf gegen den Klimawandel bleibt weiter eine richtig große Herausforderung, aber es nicht aussichtslos, erst recht nicht, wenn die Frage nach der Klimagerechtigkeit eine gewichtigere Rolle spielt.
Bedingungen für „gutes Leben“
Die Europäische Umweltagentur (EUA) kommt in ihrer aktuellen Analyse zu einer ziemlich kritischen Einschätzung: „Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt, und Klimarisiken bedrohen die Energie- und Ernährungssicherheit, die Ökosysteme, die Infrastruktur, die Wasserressourcen, die Finanzstabilität und die Gesundheit der Menschen“. Die Studie, am 11. März veröffentlicht, nennt 36 große Klimarisiken, wobei die Autoren besonders dringenden Handlungsbedarf ausmachen, „vor allem um Ökosysteme zu erhalten, Menschen vor Hitze zu schützen, Menschen und Infrastrukturen vor Überschwemmungen und Waldbränden zu schützen und die Lebensfähigkeit europäischer Solidaritätsmechanismen wie des EU-Solidaritätsfonds zu gewährleisten“.
Besonders südeuropäische Länder leiden massiv unter den Folgen des Klimawandels. Anfang Februar ist in Teilen von Spanien wegen der Dürre der Notstand ausgerufen worden. „Wir treten in eine neue Klimarealität ein“, sagte der katalanische Regionalpräsident Pere Aragonès. Die Wasserreservoirs, aus denen auch die Metropole Barcelona versorgt wird, haben nach Jahren ohne richtigen Regen historische Tiefststände von nur 15 Prozent erreicht. Im Süden Spaniens dasselbe Bild: „,Seit fünf Jahren fällt in unserer Region nicht mehr genügend Regen, die Trockenheit braucht alle unsere Reserven auf“, betont Andalusiens Ministerpräsident Manuel Moreno Bonilla. 2023 war in Andalusien das trockenste Jahr seit drei Jahrzehnten, auch dort wurde bereits Ende Januar ein Dürre-Notstand ausgerufen. In Griechenland ein vergleichbares Bild – mit allen Folgen für Mensch, Umwelt und Wirtschaft. Es scheint, als sei der Klimawandel unaufhaltsam.
Umso überraschender die aktuellen Meldungen aus Deutschland: Nach einer Projektion des Umweltbundesamtes sind die selbst gesteckten CO2-Einsparziele bis 2030 doch noch erreichbar. Die sehen unter anderem eine Verringerung der Treibhausgas-Emissionen um 65 Prozent (gegenüber 1990) vor. Die Projektion kommt auf knapp 64 Prozent.
Also hierzulande alles gut? Von wegen, wie ein Blick auf die Details zeigt. Grund für den Rückgang ist weniger Kohleverbrennung in Kraftwerken, der Ausbau erneuerbarer Energien – und geringeres Wirtschaftswachstum. Und Problemkinder bleiben die Bereiche Verkehr und Wohnungen, Bereiche, in denen die hochemotional befrachteten Diskussionen („Heizhammer“, „Verbrenner-Verbot“) noch im Gedächtnis sind.
Und damit kommt der Deutsche Ethikrat ins Spiel. Der hat sich vor dem Hintergrund der Entwicklung und der teilweise hitzigen Debatten ausführlich die Frage gestellt: Wie kann der notwendige Wandel gerecht gestaltet werden? Gerecht in dem Sinn, dass „Mindestvoraussetzungen für ein gutes, gelingendes Leben jetzt und in Zukunft erfüllt sind“, wobei klar ist, dass dieser Weg „von erheblichen Konflikten gekennzeichnet“ ist.
Das ehrgeizige Ziel dieser Stellungnahme zur „Klimagerechtigkeit“ ist verbunden mit einem ziemlich hohen Anspruch: nämlich einen ethischen Orientierungsrahmen dafür zu geben, wie es bei Entscheidungen, die auch Zumutungen und Einschränkungen mit sich bringen, einigermaßen gerecht zugehen kann, um damit auch „einer Verschärfung sozialer Verwerfungen und Konflikte entgegenzuwirken“.
Damit hat es sich der Ethikrat nicht leicht gemacht. Davon zeugen eine umfangreiche Expertenanhörung im Vorfeld und die Tatsache, dass die Stellungnahme ergänzt wurde von einem „Sondervotum“, in dem drei der Ratsmitglieder zusätzlich kritische Anmerkungen zum Gutachten zusammengefasst haben. Ein Hinweis darauf, dass sich die Fragen nicht einfach beantworten lassen.
Klimagerechtigkeit spielt sich nach Auffassung des Ethikrats in drei Dimensionen ab. Einmal innerhalb unserer Gesellschaft, zum anderen auf der internationalen, globalen Ebene, und nicht zuletzt als Gerechtigkeitsfrage zwischen den Generationen.
Einem oft gehörten Argument schiebt der Rat gleich mal einen Riegel vor, nämlich dem Argument, Deutschland könne schließlich nicht alleine das globale Klima retten. Auf Maßnahmen zu verzichten, nur weil weltweite Umsetzungen (noch) nicht hinreichend gesichert sind, wäre schlicht „unverantwortlich“ angesichts der Folgen einer ungebremsten Erderwärmung.
Moralische Kritik kein Politikersatz
Ebenso wird das Argument entkräftet, dass der Beitrag jedes Einzelnen nicht wirklich was verändern würde: „Individuelle Beiträge mögen klein sein, bleiben aber moralisch relevant“, auch im Sinne einer „Kultur wahrgenommener Verantwortung“.
Zu dieser Verantwortung könne auch gehören, „bisherige Lebensstile infrage zu stellen beziehungsweise Verhalten zu verändern, beispielsweise durch einen freiwilligen Verzicht auf bestimmte Urlaubs-, Konsum- oder Mobilitätsformen“.
Gleichzeitig mahnt der Ethikrat aber ebenso eindringlich: „Eine moralische Kritik im Bereich der privaten Lebensführung und des Konsums“ dürfe „kein Ersatz für notwendige politische Maßnahmen“ sein.
Politik habe für Rahmenbedingungen zu sorgen, „um Individuen klimafreundliches Handeln zu erleichtern“. Diese Forderung erinnert unweigerlich an die Diskussionen um das Gebäudeeffizienzgesetz, den ÖPNV und viele andere Rahmenbedingungen. Zugleich müssten Zumutbarkeiten geprüft werden und „effektive Ausgleichs- und Unterstützungsmaßnahmen“ erfolgen. Grundsätzlich stünden allen Menschen „die gleichen Möglichkeiten zu, ein gutes, gelingendes Leben zu führen“.
Das gilt dann eben auch für künftige Generationen, weshalb „heute schon alle notwendigen und zumutbaren Mittel“ ergriffen werden müssten, damit auch sie diese Möglichkeiten haben.
Was die Rahmenbedingungen betrifft, sieht der Ethikrat auch für Unternehmen „eine moralische Verantwortung, Individuen ein klimagerechtes Konsumverhalten zu ermöglichen“. Wobei aber auch Unternehmen durch diese „moralische Mitwirkungspflicht“ nicht „über Gebühr“ belastet werden dürften. Deshalb müsse es auch dort Wettbewerbsregeln und Rahmenbedingungen geben, die „Klimagerechtigkeit unterstützen und nicht behindern“.
Und letztlich werden neben der Politik auch Medien dazu angehalten, „überzogenen Alarmismus“ zu vermeiden.
Die Reaktionen auf diese Ethikrat-Stellungnahme ließen nicht lange auf sich warten. Einige Kritiker meinten, die Stellungnahme könne geradezu von Klimaaktivisten abgeschrieben sein, „könnte so auch von Luisa Neubauer stammen“ („Welt“). Andere sehen darin zunächst einmal eine gute und konzentrierte Grundlage für die Diskussionen, die unweigerlich an Intensität noch zunehmen werden.
Deutschland wird sich nicht zurücklehnen können und dürfen, nur weil zum ersten Mal die eigenen Klimaschutzziele erreichbar scheinen, wonach es in den letzten Jahren nicht ausgesehen hatte. Und was darüber hinaus gemeinsam in der EU umzusetzen ist, dazu gibt der Bericht der Europäischen Umweltagentur einen eindrucksvollen Überblick samt einer höhst eindringlichen Mahnung angesichts der Klimarisiken. Die hätten „bereits kritische Ausmaße erreicht und könnten sich ohne dringende und entschlossene Maßnahmen katastrophal ausweiten“.