Im ausführlichen Interview spricht der saarländische Minister Ulrich Commerçon über Hotspots der Kulturpolitik und sein neu initiiertes Musikfestival.
Herr Commerçon, schenkt Ihnen das Amt des Kultur- oder des Bildungsministers mehr Wohlfühlmomente?
Die meisten Wohlfühlmomente erlebe ich in der Kombination dieser beiden Funktionen. Ich finde, dass Bildung und Kultur zwei Seiten derselben Medaille sind. Unsere Bildungseinrichtungen haben auch den Auftrag, junge Menschen für den kulturellen Reichtum zu öffnen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass Kultur auch dazu beiträgt, dass wir uns als Menschen selbst gut bilden können. Die Unterstellung die Bildung sei die große Last und die Kultur sei der Ausgleich dafür, würde ich mir nicht zu eigen machen.

Ein besonderer Moment war, als am 18. November 2017 die Moderne Galerie des Saarlandmuseums nach eineinhalb Jahren Schließung mit dem Erweiterungsbau wieder öffnete. Wie erinnern Sie sich daran?
An diesen Tag denke ich vor allem mit dem Gefühl, dass wir es geschafft haben, die größte und schwierigste Herausforderung meiner ersten Amtszeit zu einem guten Ende zu führen. Ich bin sehr vorsichtig und zurückhaltend mit dem Begriff Stolz. Aber an dieser Stelle, bei diesem Projekt, bin ich stolz, dass es mir, mit tatkräftiger Hilfe anderer, gelungen ist, dieses Museum wieder zu einem Highlight in diesem Lande zu machen.
Die nächste Saar-Art wird 2020 ausgerichtet. Befürworten Sie eine Ausstellungsvergütung für die teilnehmenden Künstler?
Ich glaube, wir müssen über das Geschäftsmodell von Bildenden Künstlerinnen und Künstlern reden. Es gibt eine Tradition im Land, die ich auch verstärkt habe, Künstlerinnen und Künstler dadurch zu unterstützen, dass sie ihr Produkt vermarkten können, deshalb haben wir die Ankaufetats bei der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz auf außerordentlich hohem Niveau gehalten. Das Primäre, was wir Künstlerinnen und Künstlern ermöglichen müssen, ist, dass sie ihre Kunst verkaufen können.
Aber das ist etwas anderes.
Ich bin nicht felsenfest davon überzeugt, dass Ausstellungshonorare der Weisheit letzter Schluss sind. Ich glaube, wir brauchen darüber eine ernsthafte, solide geführte Debatte. Ich habe noch keine endgültige Meinung dazu.
Wie steht es um die Saarländische Galerie in Berlin, die Sie ein Mal aus Finanznot gerettet haben?
Die Erwartung eines durchschlagenden Erfolgs hat sich bisher leider nicht erfüllt. Die Überlegung war, Künstlerinnen und Künstlern aus dem Saarland die Möglichkeit zu geben, sich in Berlin präsentieren zu können und damit eine höhere Aufmerksamkeit zu erzielen. Außerhalb der Vernissage ist der Publikumserfolg gering, bisher ist es nicht gelungen, Drittmittel zu organisieren, dass die Saarländische Galerie in Berlin sich stärker vor Ort trägt. Wir sind zurzeit in Gesprächen, wie es zukünftig weiter geht.
Leo Kornbrust wird im August 90 Jahre alt. Welche Bedeutung kommt dem Schaffen dieses Bildhauers aus Ihrer Sicht zu?
Zunächst eine sehr persönliche, weil ich in den letzten Jahren, nicht nur zu seinen runden Geburtstagen, zu ihm in die Damra gefahren bin, mit ihm ein Glas seines besonderen Luxemburger Weins trinken und einen ausgelassenen und denkwürdigen Nachmittag verbringen durfte. Zudem bedeuten mir seine großartigen handgeschriebenen Briefe, die er mir zukommen lässt, sehr viel. Für das Land hat er eine ganz besondere Bedeutung, dadurch, dass er das große Symposion veranstaltet hat, das damals die Avantgarde mitten ins Herz Europas, ins St. Wendeler Land, geholt hat. Und durch seine Arbeit an der Straße des Friedens, mit bleibendem Wert, hat er Otto Freundlichs Idee einer europäischen Straße des Friedens verwirklicht.
Die Kulturministerkonferenz – nicht zu verwechseln mit der Kultusministerkonferenz – wurde ins Leben gerufen. Was haben die Bürger davon?
Glücklicherweise engagiert sich der Bund seit einigen Jahren finanziell stärker in der Förderung der Kultur, allerdings sehr unabgestimmt mit den Ländern. Ich erinnere beispielsweise an die Unterstützung durch den Bund mit dem neu geschaffenen Deutschen Theaterpreis, der gleichzeitig dafür gesorgt hat, dass der Faust, der große Theaterpreis, den die Länder gemeinsam organisieren, womöglich gefährdet worden wäre. Die Länder haben das wieder hinbekommen – der Faust ist weiterhin der bedeutendste Theaterpreis, den es für den deutschen Theaterbereich gibt. Aber es hat sich an dieser Stelle gezeigt, dass die Länder auch gegenüber dem Bund ihre Interessen vertreten müssen, damit der Bund nicht immer wieder mal mit dem einen oder anderen Projekt übers Land herfällt und es anschließend keine nachhaltige Förderung in den jeweiligen Bereichen gibt. Die Länder können nun insbesondere gegenüber dem Bund eine gemeinsame Linie vertreten, um dafür zu sorgen, dass Förderprogramme dauerhaft wirken und nicht nur einmal einen großen öffentlichen Auftritt der Bundeskulturministerin Monika Grütters ermöglichen und anschließend verläuft alles im Sande.
Sie haben im FORUM-Interview 2017 dargelegt, weshalb Sie sich aus der festen Bezuschussung der Musikfestspiele Saar zurückgezogen hatten. Die Leitung hat gewechselt, die Konzeption ist neu, das Festival zeitlich konzentrierter – das zuletzt organisierte New-Generation-Festival war beachtlich. Sind das keine Argumente, sich erneut maßgeblich zu engagieren?
Die Landesregierung engagiert sich auch bei den Musikfestspielen Saar …
… projektbezogen.

Zunächst mal war es Robert Leonardy, der das Land und den Saarländischen Rundfunk gebeten hat, aus der Gesellschaft auszusteigen und damit die institutionelle Förderung beendete. In der Zwischenzeit haben wir gesagt: Wir wollen nicht einen als dauerhaften Profiteur der öffentlichen Subventionen auf alle Ewigkeit festschreiben, sondern einen Wettbewerb um die besten Ideen. Der war mit einem Prototyp 2017 (Colors of Pop, Anm. d. Red.) schon recht erfolgreich. Wir hatten großartige Bewerbungen zur Ausrichtung des nächsten Musikfestivals, das institutionell vom Land für eine Ausgabe gefördert wird. Jeder Kulturschaffende hatte die Möglichkeit, sich um die Ausrichtung und damit um den Etat zu bewerben. Bisher hat Robert Leonardy das bekommen. Warum eigentlich, warum nicht XY oder Z? Ich finde, so kann staatliche Kulturpolitik nicht funktionieren, dass einer, ohne jede weitere Begründung, große Summen Geldes bekommt, für eine Veranstaltung, die er auf eigene Kappe, in einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts macht, und andere überhaupt nicht die Chance haben, an dieses Geld heranzukommen.
Sie hatten ja mit Colors of Pop einen Akzent gesetzt. Wieso ging es nicht weiter?
Es war mit den damaligen Veranstaltern vereinbart, dass wir eine Ausgabe mit diesem Festivalleiter (Thilo Ziegler, Anm. d. Red.) machen, danach eine Auswertung und auf deren Basis eine Neuausrichtung diskutieren. Das Ergebnis war, dass die allermeisten übereinstimmten, dass es vernünftig ist, im Rahmen einer Ausschreibung auf Basis eines Juryvotums, eine fachliche Entscheidung zu treffen, welches Festivalkonzept zukünftig alle zwei Jahre durchgeführt wird.
Was war an der Auswertung nicht zufriedenstellend?
Es gab viele positive Dinge. Allerdings gab es keine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Ich finde, das ist ein ganz wesentlicher Aspekt unserer kulturpolitischen Ausrichtung, dass wir die Nachbarn miteinbeziehen müssen. Das zweite Defizit sehe ich darin, dass die Sichtbarkeit des Festivals in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gegeben war, und ein dritter Punkt: die Nachwuchsorientierung. Bis auf einen Bandwettbewerb hat es relativ wenig gegeben.
Sie haben für 2020 ein Festival angekündigt. Es soll „innovativ, experimentell, interdisziplinär" sein – auf diese Weise hatten Sie bereits Colors of Pop lanciert. Steht die Finanzierung mit 600.000 Euro Landesmitteln?
Die Finanzierung steht, sie ist vom Kabinett beschlossen worden. Die Jury hat getagt und ausgewertet …
… und hat wen erwählt?
Mit der künstlerischen Leitung des Festivals wird das Team um Nicole Johänntgen mit Sebastian Studnitzky und Julien Quentin beauftragt. Dem Votum der fünfköpfigen Jury, bestehend aus Prof. Dr. Sebastian Nordmann, Stephanie Thiersch, Sylvie Hamard, Patrice Hourbette und Hans Peter Schneider, bin ich gern gefolgt.
Ist die Idee eines Klassik-Festivals, die von der einstigen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer in die Welt gesetzt wurde, über die Sie schon vor zwei Jahren nicht begeistert waren, vom Tisch?
Der neue Ministerpräsident hat sehr früh im Gespräch signalisiert, dass er, wie ich, der Auffassung ist, dass es besser ist Kräfte zu bündeln, es auch klüger ist, nicht mehr überkommene Trennungen zwischen E- und U-Musik vorzunehmen, sondern zu sagen: Klassik und aktuelle Musik sind kein Widerspruch. Wir hatten ja auch immer gesagt, wir wollen genreübergreifend arbeiten, deshalb soll auch die Möglichkeit bestehen, aktuelle Tendenzen in der Musik, in der Klassik wie in der Popmusik, zum Tragen zu bringen.
Sie sprechen von dem angekündigten Festival 2020.
Es ist ein Musikfestival ausgeschrieben worden – Klassik ist da drin. Das Musikfestival soll Urbanität der Stadt und des Landes deutlich machen, eine Nachwuchsorientierung und grenzüberschreitend stattfinden.
Und die Finanzierung mit 600.000 Euro …
… das Geld wird gebündelt. Es waren 350.000 Euro, die ursprünglich für das Popfestival vorgesehen waren, 250.000 Euro, die ursprünglich für ein Klassikfestival von Frau Kramp-Karrenbauer vorgeschlagen waren. Mit Ministerpräsident Hans gibt es das Einvernehmen, dass wir das nicht splitten, die Kräfte bündeln und 2020 ein großes Festival machen.
Sie haben im FORUM-Interview 2017 gesagt, dass Sie eine „multifunktionale Halle, auch für Konzerte anstreben". Wie steht es um diesen Plan?
Das streben wir weiter an, aber das kann nur im Gesamtkonzept der Neuaufstellung des Messe- und Kongresszentrums in Saarbrücken realisiert werden – da befindet sich die Landesregierung gemeinsam mit der Landeshauptstadt Saarbrücken in einer sehr entscheidenden Phase, weil da immerhin erhebliche Bundesmittel zur Verfügung stehen. In diesem Rahmen muss auch die Frage einer multifunktionalen Halle geklärt werden. Aber: Immer einen Schritt vor den anderen!
Meinrad Maria Grewenig wird nach 20 Jahren nicht länger Generaldirektor der Völklinger Hütte sein. Wie geht es dort weiter?
Er ist nicht gekündigt, sein Vertrag läuft regulär am 30. Juni 2019 aus. Wir haben eine Rohfassung eines Profils für die Nachfolge und sind auch schon aktiv auf der Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten. Ich bin guter Dinge, dass wir zu Beginn des Jahres 2020 eine Nachfolge haben werden. Es wird auch 2020 in der Völklinger Hütte ein spannendes Programm geben, das noch nicht vom Aufsichtsrat beschlossen ist. Wir müssen nach dem Ausscheiden von Herrn Professor Grewenig eine ganze Reihe von Auflagen zum Erhalt des Unesco-Kulturerbes lösen. Das wird im Fokus stehen, dass wir alles dafür tun werden, um den Weltkulturerbe-Status abzusichern. Es hilft uns nichts, den spannendsten Ort der Welt zu haben, der womöglich den Welterbe-Status verlieren könnte.

Wissen Sie schon, wie Sie die 2020 auslaufenden Bundesmittel für die Völklinger Hütte erneut beziehungsweise weiterhin bekommen können?
Das sind Last-Minute-Aktionen, die bisher seit vielen Jahren in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages entschieden wurden, aber ich bin sicher, dass alle Saarländer und Saarländerinnen, die wir nach Berlin geschickt haben, um das Bundeskabinett zu bereichern, uns dabei tatkräftig unterstützen werden.
Wir haben sowohl das große Thema ihrer ersten Amtsperiode, als auch der derzeitigen angesprochen. Gibt es eine Kapitelüberschrift, die darüber schwebt?
Es ist das übergeordnete Thema, dass Kultur nicht nur etwas für einige wenige ist, sondern etwas, an dem alle in dieser Gesellschaft teilhaben sollen.
Kunst müsse den Betrachter an den Rand des Abgrunds, aber auch wieder an den Kamin führen, meint Neo Rauch. Können Sie mit der Metapher etwas anfangen?
Ja, damit kann ich eine Menge anfangen, weil Kunst uns Wege eröffnet, unser Leben zu hinterfragen, auch infrage zu stellen. Alleine die Auseinandersetzung mit dieser Frage kann uns dazu führen, uns in unserem Leben neu zu bestimmen, um festzustellen, wo es denn behaglich ist, wo und wie es sich lohnt zu leben – das wäre das Sinnbild des Kamins – aber es darf keine falsche Gemütlichkeit dabei entstehen. Ich glaube, manchmal muss man in den Abgrund sehen, um noch mal den richtigen Weg für sich zu finden.