Die saarländische Ministerin für Bildung und Kultur Christine Streichert-Clivot benennt im Kultur-Interview die besonderen Herausforderungen in Zeiten der Pandemie und erläutert die Festivallandschaft.

Frau Ministerin Streichert-Clivot, gibt es ein Recht auf Kultur?
Ja, das gibt es. Und es gibt auch die Verpflichtung des Staates, sich um Kultur zu kümmern. Wir haben in Pandemiezeiten viel darüber diskutiert, wie wir den Zugang zu Kultur ermöglichen – für alle Menschen. Was mich zudem als Bildungs- und Kulturministerin antreibt, ist, den Zugang junger Menschen zu kulturellen Angeboten zu sichern. Das Recht auf Bildung ist für mich mit dem Recht auf Kultur und kulturelle Bildung verbunden.
Im Wahl-O-Mat der Bundestagswahl 2021 fehlte jegliches kulturpolitische Thema. Für die Bundeszentrale für politische Bildung ist Kultur offenbar nicht systemrelevant. Wie finden Sie das?
Auf welcher Basis das Thema dort nicht reingekommen ist, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht hängt das auch ein Stück weit mit dem Stellenwert von Kultur in der Gesamtgesellschaft zusammen. Kultur ist ein Stück weit zur Selbstverständlichkeit geworden. In der Auseinandersetzung zwischen Landes- und Bundespolitik ist Kultur auch mit der Frage nach den Verantwortlichkeiten verknüpft. Ich prognostiziere, dass im nächsten Wahl-O-Mat die Kultur einen anderen Stellenwert gewinnt, weil sich die Koalition im Bund mit dem Ampelvertrag klare Ziele gesetzt hat und der Kulturpolitik einen höheren Stellenwert beimisst.
Punkt 7 der Leitlinien der Kulturministerkonferenz der Länder lautet: „Trotz der Öffnungen bleiben zusätzliche finanzielle Hilfen für Kulturschaffende und -einrichtungen auf absehbare Zeit notwendig. Hilfen von Ländern und Bund für die Kulturbranche sollten so lange fortgesetzt werden, bis eine wirtschaftliche Stabilisierung des Kulturbereichs infolge der Beendigung der pandemiebedingten Einschränkungen nicht mehr erforderlich ist." Die Neustarthilfe 2022 gilt für die Monate Januar bis März 2022. Glauben Sie, das reicht?
Das werden wir, dem Verlauf der Pandemie nach, sehen. Gerade dieses Programm zeigt in der Auswertung, dass es noch nicht so stark in Anspruch genommen wird, wie Mittel verfügbar sind. Vieles an Kultur ist wieder möglich, aber nicht in Vollauslastung. Da greift und kompensiert dieses Programm.
Aber bis März 2022? Ich glaube, das ist zu kurz gesprungen. Sie glauben das nicht?
Doch, ich gehe davon aus, dass das fortgeführt wird, alleine schon, weil die Unterstützung aus meiner Sicht notwendig und das Geld da ist. Natürlich muss der Bund das entscheiden, aber ich werde mich dafür einsetzen und das unterstützen.
Im Juni 2020 hatten Sie den 1. Kulturgipfel initiiert und Kulturschaffende eingeladen. Daraus hat sich einiges entwickelt, beispielsweise „Staatstheater goes Völklinger Hütte!" Im März 2021 fand der 2. Kulturgipfel statt. Mit welcher Intention und welchem Ergebnis?
Der 2. Kulturgipfel war sehr stark von den pandemischen Ereignissen geprägt. Ein Thema war, wie die Verordnungen praktisch umgesetzt werden können, ein weiteres der Raumbedarf der Freien Szene. Wir haben es geschafft, die Akteure aus den Kommunen und den großen Institutionen mit der Freien Szene zusammenzubringen – daraus sind auch Ideen erwachsen. Die entstandene Diskussion finde ich sehr spannend: Wo liegt unser Augenmerk in der Kulturpolitik? Ist der Fokus allein auf die Landeshauptstadt bezogen? Wie schaffen wir es, ein ansprechendes, zeitgemäßes und innovatives kulturelles Angebot auch in den ländlichen Raum zu bringen? In einer Pandemie muss man Menschen auf Distanz bringen, dazu braucht man Raum. Diesen Raum – Proben- und Auftrittsmöglichkeiten – hat man, wo Stadt verdichtet ist, nicht zwangsläufig, aber durchaus in einer ländlich geprägten Region. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Kommunen als Akteure vor Ort, die Kultur ermöglichen, auch tatsächlich in der Lage sind, diese zu unterstützen. Der 2. Kulturgipfel hat in diesem Sinne zu weiterer Vernetzung geführt.
Um freischaffende Künstler im Saarland zu unterstützen und deren Situation, die durch Pandemie und -Verordnungen heraufbeschworen wurden, zu mildern, haben Sie etliches in Gang gesetzt. Welche der Maßnahmen war besonders effektiv?
Unser Stipendien-Programm war ein ganz, ganz wichtiges Instrument. Dank der Unterstützung des Finanzministeriums und des Haushaltsgesetzgebers sind wir an die Grenzen dessen gegangen, was normalerweise in der Förderung möglich ist. Somit konnten wir auch die Konzeptentwicklung fördern – in der Regel wurde vorher erst gefördert, was schon sichtbar war, konkrete Projekte in der Umsetzung. Mit dem Stipendien-Programm haben wir die Grundlage dafür gelegt, auch in der Zukunft - nach der Pandemie –
die geschaffenen Konzepte in Wert zu setzen, umzusetzen. Wir sollten darüber diskutieren, wie Förderung von Projekten künftig ausgestaltet sein soll. Da können wir auch aus der Pandemie lernen.
Das Festival Resonanzen sollte im Zweijahresrhythmus stattfinden. Der Vertrag mit dem Festivalleiter Sebastian Studnitzky ist nach dem Festival im Oktober 2020 ausgelaufen. Wird es ein Festival Resonanzen 2022 geben?

Mit Sicherheit kann ich sagen, dass es Resonanzen 2022 in der Form nicht geben wird. Wir sind mit dem Festival „jung, urban, grenzüberschreitend" wichtige Wege gegangen und haben damit, wenn ich auf die Festivallandschaft schaue, eine Lücke gefüllt. Wir brauchen ein innovatives Format, auch für junge Menschen, die eine eigene Erwartung an das kulturelle Angebot haben. Ich erinnere mich gut, dass wir im Sommer 2020 zu Resonanzen eine heiße Diskussion darüber hatten, ob sich das Land ein Festival dieser Größenordnung leisten kann, wo doch Kulturschaffende und Angehörige der Veranstaltungsbranche nicht wissen, wie sie gerade ihre Familie ernähren können. Auch die etablierten Festivals sind in Pandemiezeiten unter Druck gekommen. Der Haushaltsgesetzgeber hat unserem Haus im Doppelhaushalt pro Jahr 150.000 Euro zur Verfügung gestellt, das deckt, gelinde gesagt, nicht den Bedarf, den die Festivals haben. Das Festival Resonanzen ist zu einem großen Teil aus Mitteln von Saartoto finanziert worden. Um ein Festival dieser Größenordnung für die Zukunft abzusichern, dafür muss der Haushaltsgesetzgeber tatsächlich etwas drauflegen. Ich sage ja zur Sparte Musikfestival, definitiv. Ich sage aber auch ja zur Absicherung der Festivals, die da sind. Die Festivals Max Ophüls Preis und Perspectives, aber auch die Musikfestspiele Saar, haben sich – trotz Pandemie – durch neue Formate weiterentwickelt. Da gibt es Anknüpfungspunkte.
Die Förderung für die Musikfestspiele Saar haben Sie im Vorjahr schon erhöht. Ihr Vorgänger, Minister Commerçon, kürzte die Mittel und initiierte das Festival „Colors of Pop", den Vorgänger von Resonanzen. Fällt das Festival Resonanzen aus, könnte man nicht die Förderung der Musikfestspiele Saar noch etwas weiter anheben?
Wie bereits gesagt, reden wir bei Resonanzen über ein Budget aus anderen Töpfen. Es wird Sie nicht wundern, wenn ich sage, dass ich mit Bernhard Leonardy im Gespräch bin. Wir werden da noch eine Schippe drauf geben.
Im Koalitionsvertrag von 2017 wird eine „strategisch angelegte Popkultur-Förderung" und die „Einrichtung und Etablierung einer neuen saarländischen Klassik-Biennale" verabredet. Ja, wo ist denn diese „Klassik-Biennale"?
Das kann ich Ihnen nicht sagen (lächelt). Das ist sicherlich eine Frage, die man mit der Staatskanzlei diskutieren muss, weil ich glaube, der Koalitionsvertrag geht an der Stelle auf Diskussionen meines Vorgängers mit der damaligen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zurück.
Die Sanierung des Pingusson-Gebäudes steht „unter der Voraussetzung einer Finanzierbarkeit". Halten Sie es für realistisch, dass das Ministerium für Bildung und Kultur im Jahre 2024 dort wieder residiert, wie es geplant war?
Der Zeitpunkt scheint mir leider in weitere Ferne zu rücken, weil auch die zukünftige Landesregierung sich mit dieser Frage auseinandersetzen muss, wie wir dieses wichtige Gebäude erhalten können. Leider sind wir beim Erhalt des Pingusson-Baus nicht weiter gekommen. Fragen Sie doch mal den Bauminister danach!
Wie sehen Sie die beiden künstlerischen Hochschulen aufgestellt?
Sehr gut. Wir haben mit der Hochschule für Musik einen guten Fahrplan, was die Sanierung angeht. Und: Wir haben Ausweichräumlichkeiten gefunden, die dem Anspruch gerecht werden, ein gutes Studium umzusetzen. An der HBK Saar haben wir einen neuen Rektor, der die Hochschule mit vielen guten Ansätzen, beispielsweise mit Fragen der Nachhaltigkeit, sozialen Fragen oder auch der künstlerischen Ästhetik, weiterentwickeln wird. Und, um hier den Bogen zu spannen, mir geht es hier vor allem darum, dass wir Menschen ausbilden, die von ihrem Studium profitieren und von ihrer Kunst auch leben können – und natürlich möchte ich gerne möglichst viele dieser jungen Menschen im Land halten. Das wird auch künftig die Herausforderung bleiben. Viele, die im Bereich Kunst und Kultur studieren, zieht es in Ballungszentren. Ich glaube aber, dass wir im Saarland auch punkten können.
Sie sind seit September 2019 Ministerin für Bildung und Kultur. Was ist Ihnen in dieser Zeit besonders gelungen?
Tatsächlich der enge und unkomplizierte Austausch mit den Kulturschaffenden. Mir war wichtig, in der Pandemie und der Zeit schneller Entscheidungen, die wir treffen mussten, immer zu wissen, wo der Schuh drückt. Ich würde mir zuschreiben, dass wir einander auf Augenhöhe begegnen und ich erreichbar bin, ohne dass der Eindruck entsteht, die Kulturpolitik oder die Ministerin mischt sich in ein kulturelles Programm ein. Mein Anspruch ist es, die kulturelle Entfaltung zu ermöglichen, also die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen.
Ich hätte gemutmaßt, Sie benennen als großen Erfolg, dass Sie für die Industriekultur 19, 5 Millionen Bundesmittel einwerben konnten.
30 Millionen sind es, die unserem Weltkulturerbe Völklinger Hütte jetzt zur Verfügung stehen! Dafür habe ich mich in Berlin sehr stark eingesetzt, ja.

Stattdessen haben Sie etwas ganz…
Bodenständiges gesagt. Ich hätte auch sagen können: Das Staatstheater braucht noch dies, das, und jenes. Ja, es ist auch die Industriekultur. Ich könnte Ihnen sagen, was wir alles Wunderbares bewirkt haben. Aber dort, wo es drückt, das ist definitiv bei der Freien Szene, bei den Soloselbstständigen, im Ehrenamt.
Bald sind Wahlen. Haben Sie Lust, weiter Ministerin für Bildung und Kultur im Saarland zu sein?
Das ist das schönste Amt, das man im Land haben kann, weil man viel erreichen kann – sowohl in der Kultur als auch in der Bildung. Das ist originäre Landespolitik. Ja, ich würde mich freuen, an dieser Stelle Kultur- und Bildungspolitik weiter zu gestalten. Ich habe unheimlich große Lust darauf und bin gespannt, wie das Ergebnis der Landtagswahl aussehen wird.