Seit einem Jahr ist Christine Streichert-Clivot saarländische Ministerin für Bildung und Kultur. Auf welche Maßnahmen setzt sie, um die Kulturszene durch die Coronazeit zu bringen? Welche Handlungsziele benennt sie abseits der Pandemie? Und: Wie geht es weiter mit dem Pingusson-Bau?
Frau Ministerin Streichert-Clivot, sind Kulturschaffende systemrelevant?
Aber natürlich. Das haben die Phasen der Ausgangsbeschränkung und die Zeit, in der wir ein Großteil der Angebote auf null gefahren haben, absolut gezeigt. Ich glaube, dass Kultur systemrelevant ist, liegt auf der Hand.

Sie hatten im Juni zum 1. Kulturgipfel Kulturschaffende aus Institutionen und freier Szene und auch Ehrenamtliche, eingeladen.
Mir war es von Anfang an wichtig, diese Brücke zu bauen zwischen freier Szene und ehrenamtlich organisierter Kultur – die hier im Land eine feste Säule ist – aber auch den institutionellen Kulturschaffenden. Es ging darum, alle zusammenzubringen. Deshalb habe ich mich nicht darauf beschränkt, nur einen bestimmten Bereich in den Fokus zu nehmen.
Warum war Ihnen die Unterschiedlichkeit der Akteure wichtig?
Um aus der Krise heraus gemeinsam neue Bewältigungswege zu finden. Oftmals haben die Akteure die gleichen Probleme, beispielsweise in der Frage der Hygienepläne. Das Spannende ist auch, dass jemand vom Karneval mit dem Intendanten des Staatstheaters zusammenkommt. Daraus können neue Kooperationen entstehen. Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz hat auf Basis des Kulturgipfels zusammen mit der freien Szene ein neues Veranstaltungsformat entwickelt. Mir war es in der Krise sehr wichtig, einerseits das Land in die Pflicht zu nehmen – das ist meine Aufgabe als Kulturministerin – aber auch die Kulturschaffenden untereinander zu vernetzen. Das Feedback zum Kulturgipfel war, dass es das erste Mal möglich war, sich in dieser Breite zu vernetzen.
Sie haben ja bereits angekündigt, dass es einen weiteren Kulturgipfel geben soll …
Einige, die nicht eingeladen waren, sind auf mich zugekommen und sagten, sie möchten mitmachen. Ich stelle mir schon vor, dass wir das Format institutionalisieren – mit einem offiziellen Teil und einem informellen Austausch. Ich habe viele positive Rückmeldungen bekommen, deshalb werde ich daran weiterarbeiten.
Wer den Hauptteil seines Einkommens aus künstlerischer-nichtinstitutioneller Tätigkeit erwirtschaftet, ist in Not. Deshalb haben Sie ein Stipendienprogramm für freischaffende Solokünstler mit 2,5 Millionen Euro aufgelegt. Bewährt es sich?
Das Programm hat sich bewährt. Wir haben aber nachgesteuert, weil wir festgestellt haben, dass unsere Förderrichtlinien an der einen oder anderen Stelle verhindert haben, dass sich Menschen auf dieses Programm bewerben können. Wer etwa eine Soforthilfe des Bundes erhalten hat, konnte zunächst kein Stipendium bekommen. Bisher sind bereits 106 Anträge mit einem Gesamtvolumen von rund 234.000 Euro bewilligt worden.
Sie haben zum Pingusson-Bau gesagt: „Ich bekenne mich zu diesem Gebäude." Warum?
Aus mehreren Gründen. Meine Arbeit im Ministerium für Bildung und Kultur hat im Pingusson-Bau begonnen. Ich kenne das Gebäude aus eigener Anschauung und weiß, wie wertvoll es ist. Auch durch meine familiären Verbindungen nach Frankreich ist mir die deutsch-französische Zusammenarbeit ein Herzensanliegen. Der dritte Punkt ist: Nicht nur ein Teil meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet dort – im Botschaftertrakt nutzen wir noch Büros – sondern es ist ein spannender und schöner Ort für kulturelle Veranstaltungen. Das „schmale Handtuch" gehört zum Stadtbild einfach dazu und als ehemalige französische Botschaft hat es einen besonderen historischen Wert. Es steht für die Geschichte unseres Landes. Dabei kann ich gar nicht sagen, dass sich jeder mit der historischen Bedeutung auseinandersetzt.
Der Pingusson-Bau ist in Wahrheit ein Gebäude-Ensemble plus Parkanlage. Können Sie sich vorstellen, die Teile differenziert zu betrachten?
Wir haben in der Landesregierung den Beschluss, dass das Ministerium für Bildung und Kultur in das Gebäude zurückzieht. Das setzt eine vollständige Sanierung voraus.
2024.
Das ist im Moment der Plan, das setzt aber auch voraus, dass man Klarheit hat, wie die Kostensituation ist. Wir warten im Moment auf das Wirtschaftlichkeitsgutachten des zuständigen Innenministeriums.
Wann kommt das?
Das ist eine gute Frage. Ich habe in den Sommerferien meinen Kollegen im Innenministerium dazu angeschrieben, weil ich erwarte, dass wir jetzt klar und offen über die Kosten sprechen. Wir brauchen das Gutachten als Grundlage. Und dann muss die Landesregierung entscheiden, was ihr dieses Gebäude, das wie kaum ein anderes für die deutsch-französischen Beziehungen steht, wert ist.
Von 53 Millionen Euro ist die Rede.
Genau, das hat Minister Bouillon in den Raum gestellt hat. Das Wirtschaftlichkeitsgutachten prüft auch: Ist eine Sanierung überhaupt wirtschaftlich? Da dürfen wir auch nicht die Miete unter den Tisch fallen lassen, die wir jetzt in der Alten Post (derzeitiger Sitz des Ministeriums für Bildung und Kultur – Anm. der Red.) zahlen, gut eine Million Euro pro Jahr. Das Wirtschaftlichkeitsgutachten ist die Grundlage, danach wird es im Ministerrat neue Beratungen geben. Wenn man ein solches Denkmal in Wert setzen will, muss man sich auch klar darüber sein, dass das Geld kosten wird. Ich kann mir schwer vorstellen, dass wir dieses Gebäude abreißen – das sage ich ihnen ganz offen.
Ist das Gebäude auf Asbest geprüft?
Ich gehe davon aus, dass das vom Innenministerium geprüft wurde.
Hätte nicht bereits zum Auszug des Kultusministeriums ein Plan vorliegen müssen, wie mit der Situation Pingusson-Bau umzugehen ist?
(lächelt) Sicher. Aber damals – 2012 – waren selbst die Pläne für die Nutzung dieses Gebäudes noch nicht abschließend fertig.
Wer von einer Mietwohnung in eine andere umzieht, versucht, keine Zahlungen für die leerstehende Wohnung leisten zu müssen. Aber diese Situation haben wir jetzt.
Ja, aber dafür haben wir auch ein Innen- und Bauministerium, das diese Pläne macht.
Man muss fragen: Bauministerium, was machst du denn?
Ja. Deshalb ist es wichtig, dass das Wirtschaftlichkeitsgutachten jetzt vorgelegt wird.
Kulturausgaben sind freiwillige Ausgaben. Wünschen Sie sich als Kulturministerin, dass Kultur zur Pflichtaufgabe von Kommunen wird?
Zum Kulturgipfel hatte ich auch die kommunale Ebene – den Städte- und Gemeindetag – eingebunden. Wer Haushaltssanierungspläne in einer Kommune aufstellen muss, streicht zuerst die freiwilligen Ausgaben. Deswegen ermutige ich die Kommunen zu ihrem Auftrag, trotz alledem, Kultur vor Ort zu gestalten. Auch Menschen, die im ländlichen Raum leben, haben das Recht auf ein gutes kulturelles Angebot. Der Städte- und Gemeindetag hat gesagt, es ist gut, dass man darüber spricht, aber dann muss das Land auch sagen, wie man sich das vorstellt. Das heißt, dafür braucht es Geld. Kultur ist für die öffentliche Daseinsvorsorge ein wichtiger Aspekt. Ich sehe es als meine Aufgabe an, an dieser Stelle auch zu werben.
Sie haben Dr. Andrea Jahn zum Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz berufen. Sie ist eine ausgewiesene Expertin für zeitgenössische Kunst, bringt jedoch keine Erfahrungen mit einem vielschichtigen Sammlungsbestand mit. Aus welchem Grund ist Dr. Jahn die beste Wahl, um den umfangreichen Sammlungsbestand zu präsentieren?
Ich sah und sehe bei der Stiftung Herausforderungen, die ich bei Frau Dr. Jahn in guten Händen sehe. Sie ist für mich eine ausgewiesene Expertin, sie bringt ein unglaubliches Netzwerk mit, auch mit Fokus auf das Saarland. Das ist es, was die Stiftung im Moment braucht. Es ist schon eine Feststellung, die man machen kann, dass das, was wir an Angeboten dort hatten, nicht unmittelbar in die Breite der Bevölkerung gewirkt hat. Ich finde, die Museen der Stiftung müssen für Besucher und Besucherinnen, die ins Land kommen, ansprechend sein, aber vor allem auch für die Saarländerinnen und Saarländer interessant sein.
Das sind Marketingaufgaben. Die Stiftung verfügt über einen großen Sammlungsbestand und sechs Museen, die Managementfähigkeiten erfordern. Diese Erfahrungen bringt Dr. Jahn doch nicht mit.
Ich widerspreche dem, wie Sie das beschreiben. Die Stadtgalerie hat Frau Dr. Jahn von A bis Z alleine getragen. Sie ist Kunsthistorikerin, sie ist vom Fach. Sie hat in der Stadtgalerie und auch davor in diesen Bereichen gearbeitet – mit großem Erfolg.
Mit zeitgenössischer Kunst.
Frau Dr. Jahn hat die Leidenschaft, die die Stiftung und die Moderne Galerie brauchen. Die Stiftung hat nicht nur eine tolle Sammlung, sie hat auch tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sie auch tragen. Und zur Managementkompetenz: Ich finde es immer spannend, dass diese Frage immer dann gestellt wird, wenn es um Frauen in Führungspositionen geht.

Zu Ausstellungshonoraren hatte Minister Commerçon keine Meinung. Haben Sie eine?
Aus der Einzelperspektive von Künstlern wird das unterschiedlich betrachtet: Wähle ich ein Honorar oder den Katalog? Wir sollten uns diesem Thema widmen. Grundsätzlich brauchen Künstlerinnen und Künstler ein Honorar für ihre Leistung.
Wie geht es in der Finanzierung des Weltkulturerbes Völklinger Hütte weiter?
Wir haben uns im Ministerrat mit der Finanzierung beschäftigt und den Geschäftsbetrieb mit zusätzlichen Mitteln, die wir im Rahmen der Haushaltsaufstellung berücksichtigen werden, aufgestockt. Den Geschäftsbetrieb, den das Land in den letzten Jahren mit 3,8 Millionen Euro bezuschusst hat, haben wir auf solide Füße gestellt. Den Zuschuss haben wir um 350.000 Euro jährlich erhöht.
Für den laufenden Betrieb.
Genau. Wir haben bereits im Frühjahr mit dem Wirtschaftsministerium die Nutzung europäischer Fördergelder besprochen – eine wesentliche Säule in der Finanzierung, wenn es um die baulichen Investitionskosten geht. Wichtig ist, dass das Weltkulturerbe bei dieser Anmeldung mit dabei ist und damit auch die Ko-Finanzierungsmittel, die wir einbringen müssen. Die dritte Frage ist: Wie engagiert sich der Bund weiter? Wir haben seit 2016 zwei Millionen Euro bekommen, die Mittel kommen in diesem Haushaltsjahr zum Ende. Der Ministerpräsident hat sich, im Rahmen seiner Gespräche mit Frau Grütters, eingesetzt, dass die Mittel fortgeführt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass das im Bundeshaushalt Berücksichtigung findet. Wir müssen auch ganz selbstbewusst fragen, ob da nicht mehr möglich ist, weil das Weltkulturerbe Völklinger Hütte ein Denkmal mit nationaler Bedeutung ist.
Abseits von Corona: Wo sehen Sie in der saarländischen Kulturlandschaft Handlungsbedarf?
Ich sehe, dass sich gerade eine Pflanze entwickelt, die auf Kooperation wächst. Das ist ein wesentlicher Punkt: Wie können wir unsere Kultureinrichtungen im Land gut vernetzen, um das Bestmögliche daraus zu machen? Mir geht es nicht darum, bei Wahrung der jeweiligen Identität, durch die Zusammenarbeit etwas Neues zu schaffen. Wir haben wenig über die Industriekultur gesprochen, aber auch sie ist ein wertvoller Schatz – das Land engagiert sich in hervorragender Weise. Wir haben es geschafft, in den letzten 25 Jahren einen Welterbe-Status zu entwickeln – da kann man auch selbstbewusst in Richtung Berlin agieren. Ein weiterer Punkt ist die Positionierung innerhalb der Großregion – wir haben ein tolles Angebot, das sich sehen lassen kann, und das gibt es nicht zum Nulltarif. Und ja, wir dürfen stolz darauf sein, was an ehrenamtlich organisierter Kultur stattfindet – das ist mir persönlich ein Herzensanliegen. Dank der Breitenkultur und dem Engagement der Vereine entscheiden sich junge Menschen für ein Studium an der Hochschule für Musik oder der Hochschule der Bildenden Künste. Kooperation und Zusammenarbeit ist für mich das, was naheliegt und wo es in den nächsten Jahren hingehen soll.