Freche Banditenmaske, süße Knopfaugen und irgendwie immer Unsinn im Kopf – dem Charme von Waschbären kann sich kaum einer entziehen. Hierzulande werden die ursprünglich in Nordamerika beheimateten Tiere allerdings als Störenfriede angesehen. Zu Recht?
Vormittags halb elf vor dem Waschbär-Gehege der Wildtierauffangstation Tierart im rheinland-pfälzischen Maßweiler. Die wuselige Waschbär-Truppe denkt nicht im Traum daran, für unsere Fotografin still zu halten. Revierleiter Tim Zeller greift tief in die Trickkiste und bestellt bei seiner Kollegin in der Basisstation einen Waschbären-Supersnack, eine Art Eis am Stiel aus leckerem tiefgefrorenem Obst. „Damit können wir sie schön beschäftigen", grinst Tim Zeller. Bis die Eisbombe im Gehege platziert ist, muss ein wildes Gewimmel aus übereinander purzelnden und springenden Fellknäueln überwunden werden. Ein besonders ungeduldiger Bär springt vorwitzig direkt mal in die Kiste mit dem Eis-Obst. Schließlich aber ist es geschafft, und die kleinen Banditen konzentrieren sich auf ihre Lieblingsspeise. Waschbären zu besuchen, ist zweifelsohne ein Erlebnis und macht gute Laune. Doch hierzulande werden die putzigen Tiere gnadenlos bejagt, weil sie von den meisten Jägern als „Störenfriede" bezeichnet werden. Zu Unrecht, wie Florian Eiserlo, Betriebsleiter bei Tierart, versichert.

„Die Jagdlobby behauptet, er würde vom Aussterben bedrohte Tierarten fressen. Das stimmt nicht. Es ist wissenschaftlich belegt, dass dieser Anteil der Nahrung nur einen sehr geringen Teil ausmacht." Eine lang angelegte Studie aus dem Müritz-Nationalpark hat gezeigt, dass sein Nahrungsspektrum sich vor allem aus Pflanzen, Regenwürmern, Insekten, Larven, Krebstieren und Muscheln zusammensetzt, betont Florian Eiserlo. „Vogeleier, Kleinsäuger, Amphibien, Reptilien, das ist nur ein kleiner Prozentsatz", so der Biologe. „Es heißt, er würde bei seltenen bodenbrütenden Arten die Nester rauben. Das ist aber wissenschaftlich nicht belegt. Das sind die Aussagen der Jäger."
Eine Studie entlastet den Waschbären
In den 20er- und 30er-Jahren wurde der ursprünglich in Nordamerika beheimatete Waschbär in Deutschland eingeführt. Teils wurde er in Pelzfarmen gehalten, teils 1934 gezielt ausgewildert, damit er sich vermehrt und die Jäger ein Tier schießen können, das einen schönen Pelz liefert. Allerdings gab es eine zweite „Quelle" in der Nähe von Berlin, wo eine Pelztierzucht im Zweiten Weltkrieg von Bomben getroffen wurde und einige Waschbären entkamen. Mittlerweile ist der Waschbär in fast ganz Deutschland heimisch, vor allem in Hessen und Brandenburg. Geschätzt leben etwa zwischen 800.000 und eine Million der putzigen Raubtiere hierzulande. Um den Bestand zu verringern, werden die Tiere gnadenlos bejagt – ganzjährig, Schonzeiten sind selten. Werden Muttertiere getötet, irren verwaiste Waschbärbabys durch die Wälder. Manche haben Glück und werden von Wanderern gefunden. Doch das Glück währt manchmal nur kurz. Denn es stellt sich dann die Frage: Wohin mit dem kleinen Pelzknäuel? „Man darf sie offiziell nicht mehr auswildern", erklärt Florian Eiserlo. Auffangstationen für die Kleinbären gibt es in Deutschland kaum welche, die wenigen sind schon lange am Rande ihrer Kapazität angekommen. „Wir haben täglich Anrufe, wo es darum geht, dass jemand ein Jungtier gefunden hat."
Waschbärbabys als Haustier zu behalten, ist auch keine gute Idee. „Anfangs sind die sehr lustig, aber wenn sie in die Geschlechtsreife kommen, dann merkt man, dass es ein Wildtier ist. Dann sind sie nicht mehr so umgänglich." Der Biologe weiß, wovon er spricht. Tierart nimmt regelmäßig Waschbären überforderter Privathalter auf. Insgesamt 37 leben momentan in den verschiedenen Gehegen, ein weiteres ist in Planung. „Aber es ist nicht Sinn und Zweck, dass wir ohne Ende Waschbären aufnehmen."

Es sollten bessere Lösungen für die freilebenden Tiere gefunden werden, so der junge Biologe. Zum Beispiel wäre Immunokastration eine Möglichkeit, die durch Implantate erfolgt. „Es heißt dann aber, das wäre zu teuer", sagt Eiserlo. „Aber es gibt viele Organisationen, die sich an den Kosten beteiligen würden, wir auch. Aber dann erhalten die Jäger keine Subventionen. In manchen Landkreisen bekommen sie Geld für die Abschüsse, und die Fallenjagd wird subventioniert."
„Jäger bekommen Geld für Abschüsse"
Am liebsten wäre es dem Biologen, man würde die Waschbären einfach mal in Ruhe lassen und abwarten, was passiert. „Es gibt Studien, die gezeigt haben, dass die Population von Tieren in Revieren, die nicht mehr bejagt werden, rückläufig ist, dass die Würfe weniger werden." Erhöhter Jagddruck bewirke das Gegenteil. Aufgelesene Waschbären könnte man kastrieren und wieder in die Natur entlassen, schlägt Eiserlo vor. „Sie würden draußen Nischen besetzen. Die Tiere haben ein bestimmtes Gebiet, das sie besetzen. Wenn viele Gebiete besetzt sind, regeln die Tiere ihren Nachwuchs. Sie vermehren sich nicht einfach wahllos."
Solch eine Studie mit Waschbären wäre sinnvoll und interessant, sagt Eiserlo. Drei bis vier Jahre mindestens müssten die Waschbär-Populationen sich selbst überlassen werden, um fundierte Ergebnisse zu erhalten. Doch für solche Langzeit-Studien sei kein Geld da. Und wohl auch kein Interesse. „Diese Vorschläge treffen auf taube Ohren, die Jagdlobby ist in Deutschland sehr stark, auch in der Politik. Sogar die Grünen nehmen immer mehr Abstand von dem Thema."
Ein Sündenbock sei der Kleinbär, bedauert Eiserlo. „Alle schimpfen auf ihn. Er würde in Dachstühle gehen und alles zerstören. Dabei sind das absolute Ausnahmen. Es ist belegt, dass die wirtschaftlichen Schäden, die ein Waschbär anrichtet, ziemlich niedrig sind und gesamtwirtschaftlich betrachtet unerheblich." Auch das angebliche Infektionsrisiko durch die Tiere mit Spulwürmern sei nicht gegeben, wie das hessische Landeslabor bestätigt hätte.
„Der Waschbär reguliert den Insektenbefall und frisst Fallobst"
Eiserlo wünscht sich eine Akzeptanz des Waschbären. So wie er sich generell eine andere Sicht auf die Entwicklungen in der Natur wünscht. „Man muss sich selbst eingestehen, dass das, was der Mensch mit der Natur macht, ein menschengemachtes Problem ist, und dass man nicht die Schuld den Tieren zuschieben kann." Die Liste über die sogenannten invasiven gebietsfremden Arten, die von der EU geführt wird, basiere besonders darauf, welche Tierart hier in Europa vor 1492 noch nicht vorgekommen ist. „Rein biologisch gesehen ist eine Tierart etabliert, wenn sie sich über mehrere Jahre in einem Land erfolgreich vermehrt hat und die Population stabil bleibt. Es ist ganz normal, dass die Natur im Fluss ist. Dass Arten sich verbreiten, dass Arten aussterben. Nur der Mensch, der beschleunigt das Ganze, weil er die Tiere auf andere Kontinente mitschleppt." Nun meine der Mensch, gegenregulieren zu müssen. „Aber auf dem Tierleid das Ganze auszutragen, ist der falsche Ansatz."

Jeder Organismus habe seinen Sinn und Zweck, betont der Biologe. „Auch der Waschbär. Er reguliert zum Beispiel den Insektenbefall und frisst Fallobst. Er würde das hier schön ergänzen."
Stattdessen gibt es mancherorts verstörende neue Ideen. „Es gibt schon Restaurants in Thüringen und Berlin, die Waschbär-Fleisch anbieten. Das ist grauenhaft."
Waschbär-Gulasch? Kaum vorstellbar, als wir zum Abschluss mit Revierleiter Tim Zeller die zwölf Wochen alten Waschbär-Babys besuchen. Neugierig hangeln sich die kleinen Racker an unseren Beinen hoch, lassen sich auf den Arm nehmen, fingern neugierig an unseren Taschen herum. Einer schmeißt sich auf den Rücken, um sich von Tim Zeller den Bauch kraulen zu lassen. Der 32-Jährige kommt der Aufforderung liebend gerne nach. Wenn er mal viel Stress hätte oder mal wieder eine schlimme Nachricht von einer Tierquälerei verdauen müsste, dann würde er zu den Waschbär-Babys gehen. Wenn diese Kleinen erwachsen sind, ziehen sie in ein großes Gehege um. Wo sie dann für immer bleiben müssen, denn zurück in die Natur dürfen sie ja nicht mehr. Aber besser so, als erschossen zu werden, um dann als Gulasch zu enden.