In den Tourismusregionen Deutschlands boomt es derzeit, weil viele statt in die Türkei an die Ostsee fahren. Doch was passiert, wenn die Tage wieder kürzer werden und der Herbst beginnt? Die Tourismus-Manager versuchen sich vorzubereiten.
Zwei Millionen Übernachtungen pro Jahr bei 4.900 Einwohnern. Allein diese Zahlen unterstreichen eindrucksvoll, dass es im Hafenstädtchen Büsum an der Nordsee vor allem in den Sommermonaten an der Tagesordnung ist, souverän mit Besucherströmen umzugehen. Doch in diesem Sommer ist alles anders und wesentlich komplizierter. Schließlich erlebt der Deutschlandtourismus wegen coronabedingter Einschränkungen und Reisewarnungen für beliebte europäische Ferienziele eine Nachfrage, die selbst die guten Zahlen der Vorjahre ordentlich übertrifft. Zu den Übernachtungsgästen – momentan seien 98 Prozent der Betten ausgebucht, sagt Büsums Tourismuschef Olaf Raffel – kommen unzählige Tagesgäste. Mitunter so viele, dass einige Ostseebäder in den vergangenen Wochen ihre Strände zeitweise nur für Übernachtungsgäste geöffnet hatten und Inseln nur diejenigen per Fähre anreisen ließen, die nachgewiesen eine Unterkunft gebucht hatten.
In Büsum wird es bei großem Besucherandrang vor allem schnell eng in der Fußgängerzone – ein No-Go zu Coronazeiten, wenn eigentlich Abstand gehalten werden soll. Daher haben sich Olaf Raffel und sein Team ein „Einbahnstraßen-System" für die beliebte Schlendermeile überlegt, in der zurzeit Maskenpflicht gilt und die Händler ihre Auslagen ein ordentliches Stück zurückbauen mussten. Mit Flyern und Piktogrammen werden die Gäste über die in Schleswig-Holstein geltenden Hygieneregeln informiert, auch weil ja jedes Bundesland seine eigenen Verordnungen erlassen habe, erklärt Raffel.
„Es ist verdammt wichtig, dass wir gut durchkommen"
Auf der Internetseite Büsums, der drittwichtigsten Tourismusdestination in Schleswig-Holstein, wird explizit darauf hingewiesen, dass Büsum kein Corona-Risikogebiet sei. Nach hohen Infektionszahlen im benachbarten Heide seien viele Urlauber verunsichert gewesen, sagt Touristiker Raffel. Umso wichtiger sei es, aufzuklären und dafür zu sorgen, dass es in dem beliebten Urlaubsort nicht zum Corona-Ausbruch kommt: „Alles hängt am seidenen Faden."
Ähnlich würde das wohl auch Marcus Smola, Geschäftsführer von der BWH Hotel Group Central Europe formulieren. In keinem seiner Häuser zwischen Alpen und Ostseestrand habe es bislang einen Infektionsherd gegeben, „das beweist, dass es mit den Auflagen funktionieren kann", sagt Smola. Und es unterstreicht die Kreativität der Hoteliers, die sich, je nach Vorschriften im jeweiligen Bundesland und baulichen Gegebenheiten, einiges überlegt hätten, um den Gästen ein möglichst sicheres Urlaubsumfeld bieten zu können. „Ich habe in den vergangenen Wochen einiges darüber gelernt, auf wie viele unterschiedliche Arten man das Frühstück anbieten kann. Von der Frühstücksbox über das komplett am Tisch servierte Frühstück bis hin zum Büfett, an dem sich der Gast nur mit Einmal-Plastikhandschuhen bedienen darf."
Frühstücksbüfett? Das ist auch für Hotelier Thomas Drubba vom „Hofgut Sternen" im Schwarzwald eines seiner „Lieblingsstichworte", wenn es um die Umsetzung von Corona-Regeln im Hotelalltag geht. In seinem traditionsreichen Haus ganz in der Nähe der Ravenna-Schlucht gibt es seit der Wiedereröffnung Ende Mai kein Frühstücksbüfett mehr, stattdessen wird am Tisch serviert. Was für den Hotelier, der in der Region noch ein weiteres Haus am Titisee betreibt, erheblich mehr Warenaufwand bedeutet. „Tatsächlich essen die Menschen anders und mehr, wenn sie sich nicht selbst am Büfett bedienen", so Drubba. Nicht nur Mehrkosten für mehr Lebensmittel fallen so an, sondern auch etwa 600 Euro monatlich für Schutzmasken fürs Personal. Daher habe man sich nun für wiederverwertbare Masken entschieden. Ein weiterer Posten werden Abstandswände fürs Restaurant sein, rund 5.000 Euro hat Thomas Drubba dafür einkalkuliert. Momentan habe man die Tische auf der Terrasse weiter auseinandergezogen, damit die Abstände gehalten werden können. Doch schließlich müsse man bereits jetzt Vorbereitungen für die kühlere Jahreszeit treffen.
Was passiert nach den Ferien?
Der Gedanke an den Herbst, den Winter, überhaupt die Zeit nach den Sommerferien vertieft bei so manchem Hotelier und Touristiker landauf landab die Sorgenfalten auf der Stirn. Jetzt, im Juli und August haben viele gerade an den sowieso beliebten Hotspots – an den Küsten, auf Inseln, in den Bergen – ein fast noch besseres Geschäft als in den Vorjahren gemacht. Die Nachfrage sei in manchen Häusern so groß, dass man die „Zimmer eigentlich zweimal verkaufen könnte", bestätigt Marcus Smola von der BWH Hotel Group Central Europe. Das aber gleiche dennoch nicht die Einbrüche des Frühjahrs von 98 Prozent aus – „da sind drei Monate komplett verloren gegangen".
Zudem tut sich eine immer größere Kluft zwischen Ferien- und Städtehotels auf. Gerade wenn letztere auf Veranstaltungen oder Tagungen spezialisiert sind. Während beispielsweise am Fuschlsee im Salzburger Land selbst einfachere Hotels voll belegt sind, klagen die Hotels in der Mozartstadt nicht nur wegen wegbleibender Touristen aus Asien und den USA über empfindliche Einbußen. „Vom See sind es selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur etwa 30 Minuten in die Stadt", sagt Stefan Ringgenberg, General Manager des Luxushotels „Schloss Fuschl". Ein kultureller Tagesausflug sei so bestens mit dem „Urlaub auf dem Land, in der Natur" zu kombinieren – das käme vielen in Corona-Zeiten entgegen. Unübersehbar sei die verstärkte Nachfrage nach Aktivangeboten – Wandern, Golfen, Mountainbiken im Sommer, Skifahren im Winter – jetzt fehlten tatsächlich nur noch Ideen für die Zwischensaison. Momentan sei man dabei, dafür Konzepte wie beispielsweise spezielle Yogakurse zu entwickeln, erzählt die Marketingfrau des Luxushotels, Monika Wöckl.
Um Ideen für die Nutzung momentan quasi leerstehender Beherbergungsbetriebe wie Jugendherbergen und Landschulheimen geht es in der Saale-Unstrut-Region in Sachsen-Anhalt. Denn weil Klassenfahrten momentan nicht stattfinden können, sind den Jugendherbergen die Einnahmen fast komplett weggebrochen. So schildert es Antje Peiser, Geschäftsführerin von Saale-Unstrut-Tourismus e.V. Wie gut, dass man in der Region das Label „Handgemacht" aus der Taufe gehoben hat, unter dem sich kleine Manufakturen und traditionelles Handwerk versammeln. Gäste können so an Workshops teilnehmen, selbst Bonbons kreieren, ein Messer schmieden oder bei der Weinernte helfen. So etwas käme nun auch für Jugendherbergen in Frage, wo es ja reichlich Platz gebe.
„Noch viel mehr Netzwerken als sonst"
Ende März zu Beginn des Lockdowns habe in vielen Betrieben Hilflosigkeit geherrscht, sagt Peiser. Inzwischen aber sei sie vom Engagement und den kreativen Lösungen vor Ort begeistert – schließlich ginge es oft genug um familiengeführte Häuser, deren finanzieller Spielraum nicht für lange Durststrecken reicht. Dem kann Ramona Wolf vom Altmärkischen Tourismusverband in Tangermünde zustimmen. Hier, im Norden Sachsen-Anhalts sei die touristische Infrastruktur eher „einfach" – mit kleineren, oft familiengeführten Hotels, mit Ferienhäusern und -wohnungen. Gerade letztere seien dieses Jahr extrem gut gebucht, erzählt Wolf. Die Aufenthaltsdauer der Gäste habe sich von normalerweise zwei bis drei Tagen auf sieben bis zehn Tage enorm verlängert. Was die Tourismus-Managerin freut – so bekämen die „Destinationen der 2. Reihe" durch die Krise ihre Chance, und die Altmark sei trotz enormer Einbußen im Juni (44 Prozent weniger als im Vorjahresmonat) „eigentlich bislang ganz gut davongekommen".
Vielen Gastro-Betrieben, die lange schließen mussten, fehlt es mittlerweile an Personal. Denn nicht wenige Kellner, Köche und Servicekräfte haben sich – der Ungewissheit in der Kurzarbeit und Mehrbelastung durch Hygieneauflagen müde – beruflich umorientiert, schildert Wolf. Und die Saison ende im Oktober. Dieses Jahr haben die meisten dank staatlicher Hilfen und mit viel Kreativität überstanden. Ob es auch für das nächste Jahr reichen wird, ist bei vielen ungewiss.