Trotz großer verbrannter Flächen sind die Flüge nach Rhodos wieder ausgebucht. Der Urlaubshunger nach der Pandemie ist groß. Die Wahl des Urlaubsziels aber könnte sich angesichts klimatischer Veränderungen langfristig verschieben, so eine Studie der EU-Kommission.
Deutlich über 40 Grad in Rom, Dürren in Norditalien und Südfrankreich, Waldbrände in Griechenland. Das Extremwetter hatte auch in diesem Jahr viele beliebte Urlaubsregionen im Griff. In Kiel aber kletterte das Thermometer am 15. Juli dieses Jahres nur auf 30 Grad Celsius. Deutlich angenehmer für manch Reisenden, für Senioren, für Familien mit Kindern. Liegen Reisen in die nördlichen Gebiete Deutschlands, gar nach Skandinavien im Sommer in Zukunft mehr im Trend als der brütend heiße, ja in einigen Teilen buchstäblich brennende Süden? Nach Einschätzung von Tourismusforscher Torsten Kirstges von der Jade Hochschule in Wilhelmshaven wirkt Hitze generell nicht abschreckend auf Urlauber. Länder wie die Türkei, Griechenland oder Tunesien und Marokko seien seit Jahrzehnten gerade im Sommer sehr beliebt, obwohl es dort dann immer sehr warm sei. „Dafür sorgt auch, dass ein Sommerurlaub dort oft günstiger ist als anderswo. Da gilt quasi: Preis schlägt Hitze“, sagte Kirstges der „Wirtschaftswoche“.
Hohe Temperaturen schrecken kaum ab
Noch. Ob sich dieser Trend fortsetzt, bestimmen die Erfahrungen der Reisenden. Beispielsweise dürften jene, die die dramatischen Ereignisse auf der Urlaubsinsel Rhodos in diesem Sommer miterleben mussten, in Zukunft deutlich häufiger auf Extremwetterereignisse in der geplanten Urlaubsregion schauen. Nach Angaben des Reiseveranstalters Tui aber sind die Flüge nach Rhodos wieder so gut wie ausgebucht – es habe in Zeiten der riesigen Brände nur eine „kleine Delle“ in den Buchungszahlen gegeben. Natürlich werben deutsche Reiseveranstalter nun mit Preisnachlässen für die Insel.
Bei einer Umfrage der European Travel Commission (ETC), der Dachorganisation verschiedener europäischen Tourismusorganisationen und -behörden, deuteten sich jedoch erste Verschiebungen an. Zwar ist die Reiselust nahezu auf Vor-Corona-Niveau. Laut ETC hat sich die Zahl der touristischen Ankünfte in Reiseländern mittlerweile wieder auf 95 Prozent der Ankünfte von 2019 erhöht. Noch immer liegt Spanien vorn in der Gunst der Menschen, die im Zeitraum zwischen Juni bis November verreisen möchten. Es folgen Frankreich, Italien, Griechenland und Kroatien. Allerdings planen von etwa 6.000 europaweit Befragten zehn Prozent weniger als im vergangenen Jahr einen Trip in den Mittelmeerraum. Die Tschechische Republik, Bulgarien, Irland und Dänemark erfreuten sich dagegen wachsender Beliebtheit. Die ETC führt dies auf Reisende zurück, die weniger überfüllte Orte und mildere Temperaturen suchen.
„Wir gehen davon aus, dass die Reiseströme in Europa in Zukunft stärker von unvorhersehbaren Wetterbedingungen beeinflusst werden“, sagt Eduardo Santander, ETC-Exekutivdirektor. Reisende könnten während anhaltender Hitzewellen südliche Reiseziele eher meiden. „Dies könnte dazu führen, dass es mehr Europäer auf der Suche nach milderen Temperaturen in den Sommermonaten zu Zielen in Mittel- und Osteuropa ziehen wird.“ Südliche Destinationen könnten dann wiederum mehr Reisende im Frühjahr und Herbst erleben.
Wie sich das Reiseverhalten ändern könnte, zeigt auch eine aktuelle Studie der EU-Kommission. Sie hat ebenfalls untersucht, wie der Klimawandel den europäischen Tourismus verändert. „Wir stellen bei den Veränderungen der Tourismusnachfrage ein klares Nord-Süd-Muster fest“, heißt es dort. Bei einer Klimaerwärmung von 1,5 Grad und 2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit werden eher geringere Verschiebungen erwartet. Anders sieht es bei einer Erwärmung von 3 Grad und 4 Grad aus. Die Regionen Mittel- und Nordeuropas – etwa Küstenregionen Großbritanniens – würden voraussichtlich ganzjährig attraktiv für Tourismus, zum Nachteil der südlichen und mediterranen Gebiete.
Ändern könnte sich das Reisen aber auch durch eine veränderte Mobilität. 2024 endet das Privileg für Fluggesellschaften, kostenlose Emissionszertifikate zu erhalten. Diese werden dann stufenweise teurer. Gleiches gilt für Schiffe. Es ist zu erwarten, dass die gestiegenen Preise dann an Passagiere weitergegeben werden. Werden Flugreisen künftig wegen steigender CO2-Preise und allmählicher Dekarbonisierung teurer und ändert sich an der derzeitigen Preissensibilität der Reisenden nichts, steigen diese womöglich auf die Bahn um. Auch dies könnte dazu führen, dass näher gelegene Reiseziele bevorzugt werden und Fernreisen die Ausnahme werden. Wiedereingeführte Nachtzüge künden bereits heute von einem Markt, der dafür bereit ist.
CO2-Preise und Wetter verändern Urlaube
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach twitterte aus dem Urlaub in Norditalien Ende Juli, dass „eine Ära zu Ende“ gehe – er meinte wohl die Ära entspannter Italienurlaube ohne Hitzerekorde jenseits der 40 Grad; entsprechend hängte er seinem Tweet eine Klimakarte des Helmholtz-Institutes an, das Rekordtemperaturen für Südfrankreich und Italien voraussagte, die auch eintraten. Die italienische Ministerin für Tourismus widersprach natürlich prompt. Sicher ist die prognostizierte Veränderung der Urlaubsgewohnheiten nicht, vor allem, weil es sich um Gewohnheiten handelt und viele Urlauber ein lieb gewonnenes Ziel gern immer wieder besuchen.
Doch auch wer im Sommer kühlere Gefilde im Norden aufsuchen sollte, ist vor Wetterüberraschungen nicht gefeit. Das zeigen die Wetterkapriolen der vergangenen Wochen, die auch Nordeuropa nicht verschonten. So führte ein Sturmtief in Schweden und Norwegen zu Überflutungen und Bränden, nördlich von Stockholm entgleiste ein Personenzug wegen eines nachgebenden Bahndammes infolge der heftigen Niederschläge. Der Klimawandel ist eben allgegenwärtig. Auch im Urlaub.