Mit den „Grenzen des Wachstums" legten Forscher rund um Dennis Meadows den Grundstein zur Nachhaltigkeitsdebatte. Ihr Ansatz war damals hochmodern, die Kritik zum Teil vernichtend.
Der US-Journalist Anthony Lewis („New York Times") bezeichnete es 1972 als das „bedeutendste Dokument unseres Zeitalters". Peter Passell und zwei Co-Autoren der gleichen Tageszeitung hielten es für ein „hohles und irreführendes Werk". Allein jene Kontroverse innerhalb eines Mediums zeigt, wie polarisierend die „Grenzen des Wachstums" zu Zeiten ihrer Veröffentlichungen waren. Und dies in einer Zeit, in der die Welt von der Wirtschaftslokomotive USA weiter unablässig und scheinbar grenzenlos in Richtung Zukunft gezogen wurde. Heute wissen wir: Es war keine exakte Prophezeiung; es war eine Eintagsfliege gemessen an dem Bedeutungsverlust, den das Papier über die Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung erfuhr; und gemessen daran, wie die Welt heute aussehen könnte, hätten sich Entscheidungen in Wirtschaft und Politik früher auf die Implikationen des Berichtes gestützt. Man könnte sagen, das, was Politik und Gesellschaft aus dem Papier hätten ableiten können, haben wir verschoben. Bis heute.
„Die Grenzen des Wachstums" ist ein Produkt eines interdisziplinären Teams des Massachusetts Institute of Technology unter der Leitung von Dennis Meadows. Es wurde im Rahmen des „Project on the Predicament of Mankind" des Club of Rome finanziert und publiziert. Der Club of Rome ist eine seit 1968 bestehende internationale Organisation von Wissenschaftlern, Unternehmern, Diplomaten und Ökonomen, die sich damals selbst als „unsichtbares Kollegium" bezeichneten und die sich der Erforschung „des Problemkomplexes, der die Menschen aller Nationen bedrückt" widmen. Darunter sind Armut, Umweltzerstörung, Entfremdung der Jugend, Ablehnung traditioneller Werte und Werteverfall. Diese „scheinbar unterschiedlichen" Probleme sind, so der Club, in Wirklichkeit Teil einer einzigen „Weltproblematik", die erst seit den 1960er-Jahren mithilfe von Computern analysiert werden kann. Mit ihrer Hilfe, behauptete das Meadows-Team, habe man den zugrundeliegenden Irrtum der industriellen Expansion aufgedeckt.
Das Szenario sagt voraus, dass die Ausbeutung der Erde im Jahr 2100 bei exponentiellem wirtschaftlichem Wachstum so weit vorangeschritten sei, dass man zu jenem Zeitpunkt nicht einmal die Alltagsbedürfnisse aus dem 19. Jahrhundert mehr decken könne. Die Folge: ein rasches Abnehmen der Produktionskapazität und damit auch der Zahl der Menschen, kurz, der Kollaps des gesamten Systems, wie wir es kennen. Der Club of Rome forderte daraufhin einen radikalen Wandel der Wirtschaft.
Blick in die Zukunft mit Computeranalyse
Computersimulationen galten damals als eher mittelmäßig – und dies war nur einer von vielen Kritikpunkten. Sie waren sicher in Teilen berechtigt. Annahmen wie das exponentielle Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung treffen aus heutiger Sicht nicht voll zu, die Innovationsfähigkeit von Wissenschaft und Technik floss nicht in die Berechnungen mit ein. Doch die Vehemenz, mit der Kritiker von links bis rechts gegen die Aussagen des Berichtes aufwarteten, war erstaunlich. Denn das Papier war zum damaligen Zeitpunkt keinesfalls eine apokalyptische Prophezeiung, sondern wollte die Schattenseiten immerwährenden Wachstums erfassen, um daraufhin Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Dennoch vermochten die frühen Kritiker, ob Journalisten, Wirtschaftsbosse, Politiker oder Wissenschaftler, in einem Zeitalter ungehemmten Fortschrittes offenbar nicht den Gedankensprung vollführen, dass jener Fortschrittsglaube zugleich zerstörerisch wirken konnte – sofern nicht einige Parameter nachjustiert würden.
Über die vergangenen Jahrzehnte hat der Club of Rome seine Prognosen dementsprechend immer wieder aktualisiert, und heute fallen Vorhersagen auf Basis von Big Data sehr viel genauer aus. In einer weiterentwickelten Simulation hat der Club of Rome zusammen mit dem deutschen Potsdam Institut für Klimafolgenforschung vier Szenarien erstellt, mit denen die UN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 erreicht werden sollten. Wie sich herausstellte, gelang es in nur einem der Szenarien, den Planeten zu schützen und gleichzeitig den Wohlstand der Menschheit zu erhalten. Dafür notwendig seien moderne Wachstumsmodelle für ärmere Länder, intensive Investitionen in Bildung, Gleichberechtigung und Gesundheit, eine radikale Energiewende, gerechtere Steuersysteme und eine nachhaltige Lebensmittelproduktion. Der Beitrag, den der Club of Rome, Dennis Meadows und sein 17-köpfiges Team mit der Veröffentlichung von „Die Grenzen des Wachstums" geleistet haben, lässt sich rückblickend als Grundstein moderner Nachhaltigkeitslehren bezeichnen. Jener erste, 200 Seiten starke Hinweis auf die Endlichkeit der irdischen Ressourcen ist nunmehr 50 Jahre alt. Der Bestseller, über 30 Millionen Mal verkauft und in 30 Sprachen übersetzt, hat sich nicht im Wortlaut, aber im Geiste bis heute im Gedächtnis der Welt erhalten. Heute ist es gewissermaßen „Common Sense", dass wir die Ressourcen der Erde mit unserem Verhalten überlasten. Darum gehen Kinder aus Angst vor den verheerenden, von Computersimulationen prognostizierten Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels auf die Straße. Und damit sind wir in der Zukunft dessen angelangt, was die „Grenzen des Wachstums" beschrieben – nicht am Ende des Wachstums, aber an den Ausläufern seiner negativen Auswirkungen.
Im Gedächtnis der Welt erhalten
Isaac Asimov schuf mit seinem Science-Fiction-Zyklus „Foundation" eine Geschichte der Menschheit, in der ein Mathematiker, Hari Seldon, ihren baldigen Untergang mittels einer hochkomplexen mathematischen Formel, der sogenannten Psychohistorischen Gleichung, voraussagt. Der Informatiker Jay W. Forrester, ein Bekannter des Club-of-Rome-Mitgründers Aurelio Peccei, entwickelte Mitte der 1950er die Systemdynamiken, mit deren Hilfe komplexe Variablen und deren Abhängigkeit voneinander betrachtet und ihre jeweiligen Veränderungen miteinkalkuliert werden konnten. Nur mithilfe dieser mathematischen Wunderwaffe war es Meadows möglich, der Komplexität seiner Aufgabe – einen Blick in die Zukunft zu werfen – gerecht zu werden.
Der Untergang ist jedenfalls in Asimovs geschickter Zukunftsvision nicht aufzuhalten. Wissenschaftliche Methoden erlauben es jedoch der „Foundation", Wissen zu bewahren und auf seiner Grundlage einer ungewissen Zukunft erfolgreich zu begegnen. Dies jedenfalls ist die Lehre, die auch aus der Geschichte von „Die Grenzen des Wachstums" zu ziehen ist. Bevor es zu spät ist.