Warum das knappe Gut für uns derzeit noch wichtig ist und es auch bleibt
rüher gab es mal im Fernsehen eine Sendung, die Verkehrsteilnehmern richtiges Verhalten auf der Straße nahebringen wollte. Ziel war die Senkung der tödlichen Verkehrsunfälle, die 1970 mit 21.322 Verkehrstoten im deutschen Straßennetz einen traurigen Allzeitrekord erreicht hatten. Der Titel der Sendung hieß damals: „Der 7. Sinn". Im Gedächtnis geblieben ist, dass der kategorische Imperativ jeder dieser kurzen Verkehrsspots die Aufforderung war: „Fuß vom Gas!"
Heute könnte Wirtschaftsminister Robert Habeck einen Fernsehspot in Auftrag geben mit dem Titel: „Der 8. Sinn". Und darin die Bundesbürger aufrufen: „Finger vom Gas!" Denn Gas ist eine wichtige Energiequelle für Deutschland: Ein Viertel der gesamten genutzten Energie stammt aus der Verbrennung von Erdgas. Auch Strom wird daraus gewonnen, was aber schon vor dem Ukraine-Krieg verhältnismäßig teuer war. Mit der Verknappung der Liefermengen durch Russland steigen die Preise noch höher. Die Frage ist: Warum muss man überhaupt Strom aus Gas erzeugen? Und kann man das nicht anders machen?
Es gibt Alternativen zu den Gaskraftwerken. Anfang August wurde ein erstes Reserve-Steinkohlekraftwerk in Niedersachsen an den Strommarkt zurückgeholt, später im Jahr soll auch auf Braunkohle-Kraftwerke zurückgegriffen werden, um Gas zu ersetzen. Allerdings haben Kohlekraftwerke einen deutlich schlechteren CO2-Fußabdruck: Im Vergleich zu Erdgas wird etwa doppelt so viel CO2 freigesetzt.
Über die Verlängerung der Laufzeiten der letzten drei Atomkraftwerke wird heftig gestritten. Dabei ist es eigentlich unerheblich, ob beim Weiterbetrieb dieser AKW, die heute noch im Betrieb für elf Prozent unserer Strom-Grundlast sorgen, das Gas-Einsparpotenzial hoch oder niedrig ist. Es würde die Sicherheit der Stromversorgung und damit einen möglichen Blackout im Winter, wenn die 630.000 zusätzlichen Heizgeräte in den deutschen Wohnstuben angeworfen werden, die laut Statistik im Sommer 2022 verkauft wurden, nicht gewährleisten.
Je weniger Gas die Haushalte heute und in den kommenden Monaten verbrauchen, desto sicherer ist die Versorgung von Industrie und den rund 700 Gaskraftwerken in Deutschland im Winter. Der Bäcker kann weiter Brot und Brötchen backen, die Chemie Kunststoffe und Dünger produzieren, die Glasindustrie Flaschen herstellen und, und, und. Und 600 der 700 Gaskraftwerke können weiter über Kraft-Wärme-Kopplung die Fernwärmeversorgung von 5,6 Millionen Wohnungen sichern.
Gaskraftwerke werden auch an anderer Stelle benötigt: Zu jedem Zeitpunkt muss genau so viel Strom ins Netz eingespeist werden, wie verbraucht wird. Sonst kommt es zu Stromausfällen. Vor allem Wind- und Sonnenenergie schwanken je nach Witterung und Tageszeit zum Teil deutlich. Gaskraftwerke können diese Schwankungen sehr gut ausgleichen, weil man sie innerhalb weniger Minuten auf Spitzenleistungen hochfahren kann. Kohle- und Atomkraftwerke sind dafür nicht gut geeignet.
Ein Verzicht auf Gas in der Stromerzeugung ist derzeit also nicht möglich. Die Versorgung von Verbrauchern ist andernfalls gefährdet, sei es direkt als Wärme in der Stube oder indirekt über die Produktionskette unseres täglichen Konsumbedarfs.
Eine Alternative für Strom aus Erdgas könnte in Zukunft die Power-to-Gas-Technologie werden. Mit elektrischem Strom aus erneuerbaren Energien wird dabei Wasser durch Elektrolyse in Sauerstoff und „grünen" Wasserstoff aufgespalten. Der wiederum kann durch Synthese mit vorhandenem CO2 zu Methan umgewandelt werden – im Prinzip dasselbe wie Erdgas. Der synthetische Brennstoff ist im Unterschied jedoch CO2-neutral, kann aber ebenfalls in Gaskraftwerken verstromt werden. Allerdings: Power-to-Gas hat heute noch den Nachteil, dass der auf diese Weise hergestellte Gas-Brennstoff noch deutlich teurer als fossiles Erdgas ist.
Daher gilt heute noch der Grundsatz: Finger weg vom Gas! Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!