Die Vier-Tage-Woche kann prinzipiell funktionieren, aber ganz sicher nicht überall
Der Traum des Menschen vom Schlaraffenland ist uralt. Auch die Neuzeit lässt die Menschen davon träumen, diesmal in Form der Verkürzung der Arbeitswoche auf nur noch vier Tage statt fünf, dies aber bei unverändert hohen Bezügen – schließlich soll es einem ja nicht schlechter gehen.
Weniger Arbeit also bei gleichem Lohn. Diesmal kommt diese Forderung allerdings weniger von den Betroffenen selbst, sondern entspringt der Politik, die stets auf der Suche ist, die Menschen zu beglücken – und Wahlen zu gewinnen. Aber: Weniger Arbeit für gleichen Lohn? So populär die Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche auch sein mag, wie realistisch ist sie? Zumal jetzt, wo Deutschland den größten Arbeitskräftemangel verzeichnet.
Um niemandem Unrecht zu tun: Völlig aus der Luft gegriffen ist diese Vorstellung von einer Vier-Tage-Woche nicht. Schon im Jahr 1930 prognostizierte das Ökonomie-Genie John Maynard Keynes, dass die Menschen in 100 Jahren – also 2030 – dank des technischen Fortschritts nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten – was so kaum eintreten wird.
Richtig ist, dass die ganze Nachkriegszeit durch regelmäßige Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich gekennzeichnet war. Und richtig ist auch, dass sich alle damit einhergehenden Warnungen vor wirtschaftlichen Katastrophen als falsch erwiesen haben.
Erinnert sei an Altkanzler Helmut Kohl, der einst die Forderung, die tarifliche Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich zu verringern, „absurd, dumm und töricht“ nannte. Vergeblich, denn im Sommer 1984 einigten sich die Metallarbeitgeber mit der IG Metall auf den Einstieg in die 35-Stunden-Woche. Ein Blick zurück in die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass geringere tarifliche Arbeitszeiten stets in ökonomischen Prosperitätsphasen gefordert und durchgesetzt wurden.
Zu Beginn des Wirtschaftswunderjahrs im Jahr 1956 wurde in der Metallindustrie die Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden gesenkt – bei vollem Lohnausgleich. Bis 1967 folgten weitere Verkürzungen auf 40 Wochenstunden – Vati gehörte samstags der Familie! Die Metallgewerkschaft wirkte dabei stets als Vorreiter. Mitte der 1980er-Jahre setzte die IG Metall dann den Einstieg in die 35-Stunden-Woche durch.
Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu erkennen, dass Arbeitszeitverkürzungen in der Vergangenheit durchweg mit steigendem Wohlstand einhergingen. Der materielle Wohlstand nahm im Trend zu und ist heute höher denn je zuvor – ohne dass die abhängig Beschäftigten noch immer 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeiten, wie es im 19. Jahrhundert üblich war.
Die Folgen der Arbeitszeitverkürzungen in der Vergangenheit waren beachtlich – und durchaus positiv. Zwar löste die Absenkung Wochenstunden qua Tarifabschluss stets einen kräftigen Arbeitskostenschub aus. Keynes hatte recht: Dieser Kostenschub löste dann einen ebenso gewaltigen Produktivitätsschub aus – Maschinen ersetzten wo immer möglich Menschen, ein Innovationsschub setze ein. Auch wurden viele industrielle Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert, die deutsche Wirtschaft internationalisierte, China als Niedrigkosten-Standort kam in Mode.
Heute herrschen am deutschen Arbeitsmarkt andere Verhältnisse, leiden Wirtschaft und Gesellschaft unter einem eklatanten Arbeitskräftemangel in allen Berufen, in denen nicht nur der Kopf, sondern auch die Hand gebraucht wird und der Mensch als Ganzes – wie in den Pflegeberufen. Arbeitszeitverkürzungen werden weiter auf der Agenda bleiben. Genauso sicher bleibt jedoch auch, dass sie mit Lohnausgleich nur dann nicht zu einem Wohlstandskiller werden, wenn und wo sie mit hohen Produktivitätsschüben einhergehen. In der Industrie ist das möglich, im Handwerk und bei Dienstleistungen nur sehr eingeschränkt. Anstelle von kürzerer Arbeitszeit bei gleichem Lohn wird in diesen Bereichen der Ausgleich heißen: Gleiche Arbeitszeit bei höherem Lohn.
Ergebnis: Die einen müssen weniger arbeiten, die anderen kriegen mehr Geld. So kann bei allen der Traum vom Schlaraffenland ein bisschen näher rücken.