Der Öko-Pionier Demeter unterscheidet sich von anderen Bio-Verbänden. Vorstand Dr. Alexander Gerber erklärt, inwiefern sich die Produkte von denen anderer Erzeuger abheben, was die Vorteile für eine eigene Saatgutzüchtung sind und wie die intensive Landwirtschaft dazulernen kann.
Herr Dr. Gerber, im kommenden Jahr feiert Demeter sein 100-jähriges Bestehen. Was macht die Robustheit und Langlebigkeit des ältesten Bioverbands hierzulande aus?
Zu Beginn stellten die damaligen Top-Landwirte, studierte und gut ausgebildete Gutsverwalter, fest, dass die moderne Landwirtschaft Probleme mit sich bringt. Das betraf zum einen die Fruchtbarkeit der Böden und zum anderen die der Tiere. Diese Problematik hat sich im Laufe der vergangenen 100 Jahre immer weiter verschärft. Zugleich hat sich Demeter in diesem Zeitraum weiterentwickelt und auf neue Herausforderungen reagiert. Bis heute bieten wir das nachhaltigste System der Landbewirtschaftung an. Wir wissen, dass Verbraucher ein sehr großes Vertrauen in die Qualität von Demeter-Produkten haben. Beides hängt miteinander zusammen. Das macht meiner Ansicht nach den Erfolg von Demeter aus.
Wie wichtig ist Ihnen auch heute noch daran zu erinnern, dass seinerzeit von Rudolf Steiner, dem Gründervater der Waldorfpädagogik und Anthroposophie, Impulse für eine biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ausgingen?
Mit seinem landwirtschaftlichen Kurs gab Steiner den Gründungsimpuls für die biodynamische Landwirtschaft. Damals sagte Rudolf Steiner sinngemäß: „Was ich gesagt habe, muss jetzt von euch erforscht werden.“ Steiner meinte, was er sagte, habe nur dann einen Wert, wenn es im Alltag, sprich in der landwirtschaftlichen Praxis von Relevanz ist. Viele von seinen Anregungen haben sich als hilfreich erwiesen, andere jedoch weniger. Deshalb haben wir keinen Grund, uns nicht auf Steiner zu berufen. Aber: Es liegt jetzt an uns, die biodynamische Wirtschaftsweise auf dem Stand des Wissens zu halten und vor allem weiterzuentwickeln.
Die biodynamische Landwirtschaft gilt als die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung. Demeter geht weit über die Vorgaben der EU-Öko-Verordnung hinaus. Können Sie uns dafür Beispiele nennen?
Die Tiere auf Demeter-Höfen haben mehr Platz, als in der EU-Verordnung vorgeschrieben ist. Daneben verwenden wir 100 Prozent Bio-Futter für alle Tierarten. Anders als bei uns gibt es dafür in der EU-Öko-Verordnung und bei anderen Bio-Verbänden Ausnahmen für Schweine und Hühner. Mindestens 50 Prozent des Futters muss vom eigenen Hof oder einer Betriebskooperation stammen – damit liegt der Demeter-Anteil deutlich höher als bei den übrigen Bio-Betrieben. In der Verarbeitung der Produkte sind erheblich weniger Hilfs- und Zusatzstoffe erlaubt. Demeter verwendet dabei alles in allem nur 21 unbedingt notwendige Zusatzstoffe, laut der neuen EU-Öko-Verordnung sind sogar 56 Zusatzstoffe erlaubt. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu anderen Bio-Anbauverbänden ist, dass wir die Tierhaltung vorgeben. Die Tierhaltung und der Einsatz des kompostierten Düngers sind entscheidende Gründe dafür, warum wir so nachhaltig wirtschaften. Das bestätigt auch der 30 Jahre dauernde „DOK“-Langzeitfeldversuch in der Schweiz: Im Vergleich zwischen den bio-dynamischen, bio-organischen und konventionellen Anbausystemen schneidet die erste Variante unter anderem in puncto Energie- und Stickstoffeffizienz sowie Bodenfruchtbarkeit am besten ab.
Demeter erhebt den Anspruch, bei der Bio-Qualität an erster Stelle zu sein. Machen Sie bitte einmal den Qualitätsunterschied deutlich am Beispiel der Demeter-Milch im Vergleich zur Bio-Milch aus dem Discounter.
Der Qualitätsunterschied besteht darin, dass wir bei der Fütterung höhere Anteile von hofeigenem sowie Grünfutter vorschreiben, die Enthornung der Demeter-Kühe verbieten und im Verarbeitungsprozess die Milch nicht homogenisieren.
Was heißt Homogenisierung?
Bei der Homogenisierung werden die Fettkügelchen in der Milch unter hohem Druck zerschossen, sodass die Milch nicht mehr aufrahmt. Mit Ausnahme der Demeter-Milch bekommen sie heutzutage keine andere Milch mehr. Wir wissen, dass viele Menschen die homogenisierte Milch nicht vertragen, wohingegen sie die von Demeter unbedenklich trinken können. Anhand dieses Beispiels kann man den Qualitätsunterschied verdeutlichen.
Die Demeter-Milch bildet oben an der Flaschenöffnung eine Rahmschicht.
Das liegt daran, dass die Milch nicht homogenisiert wurde. Vor dem Verzehr sollte man die Milchflasche einmal gut schütteln. Unser Prinzip ist dabei, dass wir möglichst naturbelassene Lebensmittel erzeugen oder falls notwendig mit handwerklichen Methoden verarbeiten. Wenn wir Säfte herstellen, werden sie lediglich pasteurisiert – so wie in der handwerklichen Verarbeitung üblich. Ein anderes Beispiel: Wenn wir Quark herstellen, lassen wir ihn so lange reifen, wie er natürlicherweise reifen muss und setzen keine Reifungsbeschleuniger zu.
Gerade in Massentierhaltungsbetrieben fehlt es oft an Respekt für das Tierwohl. Was können die auf schnelles Wachstum und Hochleistung getrimmten Betriebe von der Demeter-Philosophie lernen?
Ich denke die Landbewirtschaftung ist am gesündesten für Tiere, Pflanzen und Menschen, wenn sie nicht auf Höchstleistung getrimmt ist. Wir haben sehr interessante betriebswirtschaftliche Auswertungen von größeren Demeter-Betrieben. Daran sehen wir deutlich, dass die Wirtschaftlichkeit eines Betriebs mit einer mittleren Milchleistung von 5.500 bis 6.500 Liter im Jahr genauso groß ist wie von einem Betrieb, dessen Kühe zwischen 8.500 und 10.000 Liter Milch pro Jahr geben. Der Aufwand ist aber viel höher, weil Landwirte mehr Kraftfutter brauchen, die Tierarztkosten höher und die Tiere insgesamt anfälliger für Krankheiten sind. Wir wissen aus anderen Untersuchungen, wie zum Beispiel einer Studie der Uni Kiel, dass, wenn Kühe wenig Kraftfutter zu fressen bekommen und sich vor allem mit Futter vom Grünland ernähren, je erzeugtem Liter Milch deutlich weniger Methan ausstoßen und damit klimafreundlicher sind. Daher weisen alle Parameter darauf hin, dass es am besten ist, wenn man auf mittlerem Ertragsniveau arbeitet und dann in puncto Wirtschaftlichkeit, Tiergesundheit und Umwelt besser dasteht. Das kann die intensive Landwirtschaft von der biodynamischen Wirtschaftsweise lernen.
Lernen diese intensiv wirtschaftenden Betriebe noch zu wenig?
Ja, natürlich. Aus meiner Sicht stehen wir noch ganz am Anfang. Zurzeit nimmt der Ökolandbau in der gesamten Landwirtschaft einen Anteil von elf Prozent ein. Und am ökologischen Landbau hat Demeter einen Anteil von circa sechs Prozent. Wenn man bedenkt, dass wir dringend einen grundlegenden Umbau von Land- und Ernährungswirtschaft brauchen, ist der Anteil des Ökolandbaus immer noch viel zu gering. Deshalb ist das Ziel der Bundesregierung, bis 2030 den Ökolandbau auf 30 Prozent zu steigern, durchaus sinnvoll, weil es genau darauf abzielt, die Land- und Ernährungswirtschaft ökologischer umzubauen. Leider tut sie viel zu wenig dafür, um dieses Ziel zu erreichen.
Wer nach Demeter-Standards züchtet, kann sich sicher sein, dass fruchtbare Pflanzen ihre guten Eigenschaften weiter vererben. Demeter-Saatgut wird zum Kulturgut, heißt es auf der Webseite des Demeter-Bundesverbandes. Können Sie mir das näher erläutern?
Die Saatgutzüchtung liegt in der Hand von drei weltweit operierenden Konzernen, nämlich Bayer-Monsanto, DuPont-Pioneer und Syngenta. Im Grunde genommen wird die Pflanzenzüchtung von einem Oligopol beherrscht. Diese Unternehmen versuchen die Landwirte in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, indem Saatgut in einer Art Baukastensystem angeboten wird und immer wieder neu zugekauft werden muss. In Indien beispielsweise führte dieser Umstand dazu, dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in große wirtschaftliche Not gerieten. Dazu kommt ein anderer Aspekt: Wir haben nur wenige Sorten, die über die ganze Welt ausgebreitet sind. Und diese haben an jedem Standort zu funktionieren. Das aber passt nicht zum Ökolandbau. Wir sehen bei unseren biodynamischen Getreidezüchtern, dass eine Sorte in Süddeutschland hervorragend funktioniert, aber in Norddeutschland nicht mehr. Aus diesem Grund brauchen wir eine kleinräumige, standortangepasste Züchtung. Vor mehr als 30 Jahren haben das biodynamisch arbeitende Gärtner und Landwirte in die Hand genommen und mit der Züchtung angefangen.
Wir haben heute über 80 biodynamisch gezüchtete Gemüse- und 40 Getreidesorten im wirtschaftlichen Anbau. Konzerne versuchen ihr Saatgut zu patentieren, um so die genetische Grundlage sozusagen aus dem Allgemeingut herauszuziehen. Wir hingegen sagen: Die züchterische Leistung ist Eigentum des Züchters. Doch was dabei herauskommt, ist letztlich Natur und muss damit allen zur Verfügung stehen. Deshalb muss das Saatgut zum Kulturgut und damit auch zum Gemeingut werden. Saatgutzüchtung kann nicht das Interesse von einzelnen wenigen Konzerne sein, sondern muss unser gemeinsames Interesse sein.
Wie laufen beim Öko-Pionier die Lebensmittelkontrollen ab?
Grundsätzlich muss sich jeder Demeter-Betrieb einer Ökokontrolle unterziehen. Deutschlandweit sind aktuell 19 Öko-Kontrollstellen staatlich zugelassen. Von diesen 19 haben wir jedoch nur sieben zugelassen, die Demeter-Betriebe kontrollieren dürfen. Wenn ein Kontrolleur zu einem unserer Betriebe kommt, prüft er zunächst einmal die Einhaltung der EU-Öko-Verordnung und erst dann die Einhaltung der Demeter-Richtlinie. Wir erhalten von zwei Kontrollstellen, die eine ist für die Verarbeitung, die andere für die Landwirtschaft zuständig, die ausgewerteten Kontrollberichte. Auf dieser Datenbasis treffen wir im Verband die Entscheidung, ob der Betrieb zertifiziert wird oder nicht. Zusätzlich führen wir risikoorientierte, unangekündigte Kontrollen durch, zum Beispiel im Verdachtsfall oder bei besonders komplexen Betrieben. Darüber hinaus praktizieren wir eine risikoorientierte Tierwohlkontrolle, die die EU auch nicht vorschreibt. Dabei achten wir gezielt darauf, dass die Betriebe nicht nur die gesetzlichen Vorgaben einhalten, sondern auch, dass die Tiere gesund sind.
Sind risikoorientierte Kontrollen auch bei den anderen Bio-Anbauverbänden Standard?
Unangekündigte Kontrollen machen die anderen Bio-Verbände auch, aber Demeter hat am konsequentesten die risikoorientierte Kontrolle umgesetzt. Wir haben auch viel Erfahrung in der Tierwohlkontrolle gesammelt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass wir mehr auffällige Betriebe finden, wenn wir risikoorientiert vorgehen, als wenn wir nach dem Gießkannenprinzip alle Betriebe kontrollieren.
Wie zufrieden sind die Kundinnen und Kunden, die Produkte von Demeter-Landwirtinnen und -Landwirten kaufen?
Man kann die Kundenzufriedenheit sehr gut an der aktuellen Biomarkt-Entwicklung festmachen. Durch die hohe Inflation beobachten wir seit März 2022, dass die Kundinnen und Kunden zwar weiterhin Bio-Produkte kaufen wollen, aber dafür günstigere. Statt in Bio-Läden und Fachmärkte zu gehen, haben die Kunden vermehrt die Bio-Handelsmarken von Discountern gekauft. Wir als Demeter-Verband befürchteten zunächst, dass wir am stärksten darunter leiden werden. Das war allerdings nicht der Fall. Wir verzeichneten nur geringe Umsatzrückgänge, die unterm Strich deutlich niedriger lagen als die Umsatzrückgänge vom Fachhandel insgesamt. Die Qualität unserer Produkte, unsere Wertehaltung, Strenge und Konsequenz mit der wir Landwirtschaft betreiben und das Vertrauen in den hohen Standard sind aus meiner Sicht entscheidend für die sehr hohe Bindung und Zufriedenheit unserer Kunden.