Noch nie war eine deutsche Frau im All. Dr. Suzanna Randall (42) könnte die erste sein. Auch beruflich beschäftigt sie sich mit dem Weltraum, erforscht blaue, pulsierende Unterzwergsterne. Daneben macht sie die Ausbildung zur Astronautin und damit ihren Kindheitstraum wahr. Doch der könnte im letzten Moment platzen.
Frau Randall, der „Kleine Prinz“, die Figur von Antoine de Saint Exupéry, auf die Sie im Vorwort zu Ihrem Buch Bezug nehmen, schaut in die Sterne und denkt dabei an einen alten Freund. An wen denken Sie, wenn Sie in den Sternenhimmel schauen?
Ich denke nicht an Menschen. Eher daran, dass es in einem parallelen Universum vielleicht einen Planeten wie die Erde gibt, außer dass der Himmel rosa ist. Das hat etwas sehr Mystisches. Allerdings nicht in München, hier sieht man ungefähr drei Sterne. Ich bin sehr verwöhnt von den Sternenhimmeln an den Teleskopen. Da ist es schwer, mich in Bayern mit einem Nachthimmel zu beeindrucken.
Sie arbeiten als Astrophysikerin an der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching bei München und könnten bald als erste deutsche Frau zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Sie haben schon als Kind vom Weltall geträumt.
Mit neun saß ich mit meinen Eltern beim Frühstück, als ich das Bild von Phobos in der Zeitung gesehen habe, dem größeren der beiden Marsmonde. Das war ein ganz schlechtes Schwarzweißbild. Da habe ich verstanden, dass es den Weltraum gibt. Und dass wir dort hinfliegen können.
Sie waren fasziniert von den rot leuchtenden Bildern des Pferdekopfnebels, ein Nebel im Sternbild Orion, der aussieht wie ein Pferd. Klingt nerdig.
Mich hat das Andersartige gereizt. Zu wissen, dass es etwas gibt, das außerhalb meiner eigenen Welt liegt. In meinem Zimmer hatte ich ein Poster von Bon Jovi und daneben Bilder von Galaxien. Als Teenager wollte ich die erste Frau auf dem Mars sein, damit wurde ich manchmal aufgezogen.
Was sagen Ihre Eltern dazu, dass Sie jetzt tatsächlich ins All fliegen wollen?
In meinem Umfeld hatte früher keiner etwas mit Weltraum am Hut. Meine Eltern waren am Anfang skeptisch, sie dachten, es sei gefährlich. Aber sie haben sich an den Gedanken gewöhnt. Sie haben auch nicht versucht mich abzuhalten – sie wissen, dass das nicht funktioniert hätte. Ich selbst habe mich in der Bewerbungsphase viel damit beschäftigt, ob ich das Risiko eingehen möchte. Denn ja, der Weltraumflug ist ein Risiko. Ein Risiko, nicht wiederzukommen. Darüber mache ich mir Gedanken. Durch gute Vorbereitung wird es aber eingegrenzt. Ich halte es für ein vertretbares Risiko.
Die Sowjetunion schickte am 16. Juni 1963 mit Valentina Tereschkowa die erste Frau ins All. Die Raumfahrtnation Deutschland, größter Geldgeber der Europäischen Weltraumorganisation Esa, ist 2023, fast 60 Jahre später, nur in der Nähe davon.
Nach Russland, USA und Japan hatte Deutschland die meisten Astronauten im All: zwölf. Dass noch keine Frau hochgeschickt wurde, verstehe ich nicht. Wir müssen ein Signal setzen: Frauen können nicht nur Bundeskanzlerin, sondern auch Astronautin.
Die Italienerin Samantha Cristoforetti ist aktuell als Kommandantin auf der ISS, die Amerikanerin Kayla Barron kürzlich zurückgekehrt – warum braucht es eine Deutsche auf der ISS?
Vor allem braucht es Gleichberechtigung. Bis jetzt sind ungefähr zehn Prozent aller Raumfahrer weiblich. Zehn Prozent! Der Gender Data Gap …
… die Datenlücke zwischen den Geschlechtern in wirtschaftlich, gesellschaftlich oder medizinisch relevanten Lebensbereichen …
… verstärkt sich im Weltraum, wenn medizinische Experimente vorwiegend an männlichen Probanden ausgeführt werden. Natürlich ist es wichtig, dass amerikanische oder italienische Astronautinnen dort oben sind. Aber mit zwei, drei Frauen ist es nicht getan. Und sie haben in Deutschland nicht diese Signalwirkung. Als Alexander Gerst hochgeflogen ist, hat mein Neffe versucht – zum Schrecken seiner Mutter – sich die Haare mit einer Papierschere abzuschneiden. Er wollte aussehen wie Alexander Gerst. Da war er drei oder vier.
Zusammen mit Insa Thiele-Eich, die wie Sie die Ausbildung zur Astronautin absolviert, haben Sie das Kinderbuch „Unser Weg ins Weltall“ geschrieben. Thiele-Eich sagte, Sie wollen darin nicht als Superheldinnen rüberkommen. Männliche Superhelden gibt es mehr als genug, Frauen haben Nachholbedarf.
Ich übernehme gerne die Vorbildfunktion, aber Astronautinnen und Astronauten sind keine perfekten Supermenschen. Auch ich habe Angst, wenn ich an den Start denke, und Kinder sollen wissen, dass sie nicht perfekt sein müssen.
Mädchen sind heute in der Schule erfolgreicher als Jungen: Sie bekommen häufiger eine Gymnasialempfehlung, machen häufiger Abitur – warum brauchen sie noch Vorbilder?
Meist sind es Frauen, die sich Sachen nicht zutrauen. Gerade Mädchen sind oft selbstkritischer. „Das kann ich nicht“ – das ist oft auch mein erster Gedanke. Ich setze mich dann damit auseinander, frage mich, woher das kommt. Am Ende geht es meistens doch.
Sie fordern eine Quote, nicht nur im All.
Früher dachte ich, wir Frauen schaffen das. Ich war Anfang 20, hatte mein Astrophysikstudium abgeschlossen, mir stand die Welt offen. Inzwischen gibt es mehr Abiturientinnen als Abiturienten, bei den Studierenden ist es ähnlich. Aber in den höheren Ebenen fällt das rapide ab. Obwohl wir genug Zeit hatten, dass Frauen hätten nachkommen können. Da, wo Frauen unterrepräsentiert sind, bin ich für eine Quote. Weil sich sonst leider nichts ändert. Das habe ich am eigenen Leib erfahren.
Sie sind 2009 bei der Esa im Auswahlverfahren zur Astronautin gescheitert. 2016 haben Sie sich bei der privaten, spendenfinanzierten Initiative „Die Astronautin“ beworben, die die erste deutsche Frau ins All schicken will, und wurden erst auch nicht genommen.
2009 bin ich fast ohne Vorbereitung in das Auswahlverfahren reingegangen, ein Fehler, den ich bereut habe. 2016 war eine Riesenenttäuschung, weil ich so weit gekommen bin. Die Auswahl hat ein ganzes Jahr gedauert, am Ende war ich eine von sechs Finalistinnen, die alle als für den Flug ins All geeignet eingestuft wurden. Ich sehe es nicht als Scheitern, wenn man es bei über 400 Bewerberinnen nicht unter die letzten zwei schafft.
Doch Sie hatten Glück, sind nachgerückt. Gerade bereiten Sie sich mit Ihrer Mitbewerberin Insa Thiele-Eich auf den Flug zur ISS vor. Am Ende aber fliegen vielleicht gar nicht Sie ins All.
Insa und ich haben ein sehr gutes Verhältnis, wir trainieren bis zur letzten Sekunde zusammen, helfen uns oft gegenseitig. Aber klar, wir wollen beide fliegen. Wenn Insa ausgewählt wird, wäre ich erst mal sehr enttäuscht. Aber das Schlimmste wäre, wenn keine fliegt. Das ist leider die wahrscheinlichere Alternative, weil es gerade mit der Finanzierung hapert.
Ihr Start zur ISS wurde bisher jährlich verschoben. Nun verspricht Claudia Kessler, Gründerin von „Die Astronautin“: Wir starten dieses Jahr, 2023. Noch immer fehlen dafür knapp 50 Millionen Dollar.
Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir finanzieren unser Training selber, hauptsächlich durch Spenden, Preise, Vorträge und Events. Das ist alles weggebrochen. Aber in der Raumfahrt sind ein paar Jahre Verzug normal. Das James-Webb-Weltraumteleskop, was an Weihnachten gestartet ist, sollte ursprünglich zehn Jahre früher ins All fliegen. Wenn es mit unserem Flug 2023 klappen sollte, sind wir total im Plan. Und wenn es 2024 wird, ist das auch gut.
Die ISS ist seit 1998 im All. Kritiker sagen, es gäbe nur noch wenige technische Innovationen und Erkenntnisse. Spätestens 2031 soll die ISS aufgegeben werden, in der Atmosphäre verglühen und die Reste in den Pazifik stürzen.
Stattdessen plant die Nasa mit Partnern eine Art Mini-ISS, das Lunar Orbital Platform-Gateway. 2024 sollen die ersten Module ins All gebracht werden. Astronauten und Astronautinnen sollen damit einige Monate im Jahr – die Station wird nicht wie die ISS durchgehend besetzt sein – um den Mond fliegen. Man kann dieses Gateway als Zwischenstation zwischen Mondoberfläche und Erde nutzen.
Die Raumstation ist eng. Sechs Menschen leben, schlafen, arbeiten über Wochen auf knapp 100 Quadratmetern. Wie verhindert man, dass man sich auf die Nerven geht?
Zu Beginn der Raumfahrt waren die Astronauten vor allem Alpha-Männer. Es gab Missionen, die inoffiziell abgebrochen werden mussten, weil die Astronauten sich die Köpfe einschlagen wollten. Auf der ISS ist heute relativ viel Platz und der Tagesablauf ist sehr strukturiert. Jeder Astronaut hat einen Stundenplan wie in der Schule: Acht Stunden Schlaf, eine Stunde zum Wachwerden, dann ist die erste Konferenz. Danach Experimente und Sport. Die Woche ist von Montag bis Samstagmittag durchgetaktet. Sonntag ist es etwas freier, da ist Zeit, um Videos zu drehen oder Live-Schalten zu machen. Man hat gar nicht viel Zeit, sich groß über irgendwas aufzuregen.
Der Astronaut Alexander Gerst, der insgesamt ein Jahr im All war, sagt, Schwerelosigkeit fühle sich an, als ob man vom Zehn-Meter-Brett springt. Insa Thiele-Eich vergleicht es mit dem Augenblick vorm Einschlafen. Bei Parabelflügen, einem Flugmanöver, bei dem das Flugzeug aus einer Höhe von 8.000 Metern fast kopfüber in die Tiefe stürzt, haben Sie schon Schwerelosigkeit gespürt.
Das war das Coolste, was ich je gemacht habe. Ein Gefühl von Freiheit. Vergleichbar ist es am ehesten mit Tauchen, wenn man komplett ausbalanciert ist.
Während der Parabelflüge geht es steil hoch und runter. Hilft es, wenn man auf dem Rummel oft Achterbahn gefahren ist?
Ich fahre gern Achterbahn. Für manche ist Schwerelosigkeit wie Seekrankheit: Am Anfang kommt einem alles hoch, nach zwei, drei Tagen ist es aber gar nicht mehr so schlimm.
Ihre Ausbildung dauert schon vier Jahre: Flugschein, Tauchtraining, Überlebenstraining in einer Höhle. Wie bekommen Sie Beruf, Nebenjob Astronautin in Ausbildung und Privatleben unter einen Hut?
Es ist ein hohes, aber vertretbares Arbeitspensum. Ich arbeite auch nicht mehr als andere mit einem fordernden Job, und ich schaue, dass ich eine gute Balance zwischen Arbeit und Privatem hinbekomme. Ich habe sehr viel Glück mit meinem Arbeitgeber, der ESO, der mich zum Teil freistellt. Sprich, ich arbeite 50 bis 70 Prozent und habe den Rest für die Ausbildung zur Verfügung.
Ob es nach jahrelangem Training mit dem Flug ins All tatsächlich klappt, steht in den Sternen. Wie halten Sie die Ungewissheit aus?
Das Leben ist nicht planbar, das habe ich mit „Die Astronautin“ und durch die Corona-Zeit gelernt. Ich bin in der luxuriösen Situation, dass ich trotzdem mein Gehalt von der ESO bekomme und mir meine Wohnung im teuren München leisten kann. Emotional ist es schwieriger. Von Ablenken würde ich nicht unbedingt sprechen, aber ich versuche, jeden Tag etwas zu machen, das mir Spaß macht, mich anderweitig voranbringt. Ich versteife mich nicht darauf, den Flug als „die eine wichtige Sache“ in meinem Leben zu sehen. So ist es leichter, die Ungewissheit auszuhalten. Und ich versuche, jede Trainingseinheit für sich zu sehen, die meisten machen Spaß.
Welchen Teil mochten Sie nicht?
Wir waren bei der Bundeswehr in der Zentrifuge und in der Unterdruckkammer. Das ist ein Raum, aus dem die Luft rausgepumpt wird, während man eine Sauerstoffmaske trägt. Dann wird auch der Sauerstoff abgestellt. Die Nacht zuvor habe ich nicht gut geschlafen, ich hatte Filmszenen im Kopf, in denen panisch nach Luft geschnappt wird. Am Ende war es halb so wild. Ich wurde nur sehr müde und bin fast weggedümpelt – bis ich die Sauerstoffzufuhr wieder aufgedreht habe.
Auf dem Weg zur ISS sollte das nicht passieren …
Bei vielen Trainings ging es darum, den Körper kennenzulernen. In der Zentrifuge haben wir einen Start simuliert, damit der Körper die Belastung des vielfachen Gewichts kennenlernt, das in dem Moment wirkt. Beim ersten Mal konnte ich nur schwer atmen und dachte, ein Elefant sitzt auf meiner Brust. Beim zweiten Mal war es besser. Ich weiß jetzt, dass ich es aushalte, das ist beruhigend.