Im direkten Vergleich zum Menschen können manche Tiere die Zeit deutlich schneller wahrnehmen, mit Libellen und Schmeißfliegen an der Spitze. Es gibt aber auch Spezies, für die ein schnelles Zeitempfinden völlig überflüssig ist.

so Dr. Healy - Foto: picture alliance / Zoonar
Dass Menschen über eine „innere Uhr“ verfügen, die unser Zeitgefühl im Sekunden- bis Minutentakt steuert, dürfte eine Binsenwahrheit sein. Aber welcher Bereich in unserem Kopf genau für die Zeitwahrnehmung verantwortlich ist, ist noch immer nicht gänzlich geklärt. Vieles spricht dafür, dass unser Körpergefühl dabei eine wesentliche Rolle spielt. Selbstwahrnehmung und Zeiterleben sind dabei offenbar eng miteinander verbunden. Als zentraler Akteur für die Zeitwahrnehmung ist in diesem Zusammenhang ein Hirnareal namens Inselrinde in den Fokus der Forschung gerückt: Die Inselrinde ist für die Wahrnehmung der Vorgänge rund um den Körper inklusive der persönlichen Gefühlswelt hauptverantwortlich. Die in der medizinischen Fachsprache auch als Insula oder Cortex insularis bekannte Inselrinde ist auch entscheidend daran beteiligt, dass in gefährlichen Ausnahmesituationen eine Art Zeitlupeneffekt eintreten kann, bei dem sich die Abläufe in der Außenwelt aus Sicht des Betroffenen zu verlangsamen scheinen. Dies kann durch das erhöhte Erregungsniveau des Körpers erklärt werden, der als rasche Überlebensreaktion physiologische und mentale Vorgänge schneller als unter Normalbedingungen ablaufen lässt.
Studie mittels Flicker-Fusionstest
Dass auch Tiere ein Zeitgefühl besitzen, dem sich aber im Unterschied zum Menschen keine Reflexion über Vergangenes oder Zukünftiges zugesellt, sondern das ganz auf Gegenwärtiges fixiert ist, konnte längst durch Untersuchungen an diversen Spezies wie Ratten, Robben oder Kolibris nachgewiesen werden. Allerdings gibt es im Tierreich extreme Unterschiede bezüglich des Zeitempfindens, das sich zwischen den Polen Highspeed und Trägheit spannt. Einige Tiere können Veränderungen in ihrer Umgebung sogar deutlich schneller als der Mensch wahrnehmen, bei anderen Spezies ist das zum Überleben nicht nötig und wird daher aus energetischen Gründen auch nicht genutzt. In der bislang größten Meta-Analyse haben Wissenschaftler der irischen Universität Galway unter Federführung von Dr. Kevin Healy das Zeitempfinden von mehr als 100 Tieren – von Libellen über Raubtiere bis hin zu Seesternen – unter die Lupe genommen. Sie wollten herausfinden, welche Tiere Veränderungen in ihrer direkten Umwelt und damit auch die Zeit am schnellsten wahrnehmen können. Dabei stellten sie fest, dass Tiere mit einem schnellen Lebensstil über visuelle Systeme verfügen, die Veränderungen in ihrem Umfeld mit höheren Raten erkennen können.
Für ihre Untersuchung wertete das Team die Daten aus früheren Studien zum sogenannten Flicker-Fusionstest aus, einem gängigen Maß für die Geschwindigkeit, mit dem Tiere den Lauf der Zeit wahrnehmen. Während des Flicker-Fusionstests wird die Frequenz eines blinkenden Lichts ständig erhöht, bis zu einem Punkt namens Flimmerverschmelzungsfrequenz, an dem das Tier das Blinken nur noch als ein kontinuierliches Leuchten wahrnehmen und das Gehirn die Lichtblitze nicht mehr einzeln zuordnen kann. Das kann anhand der Reaktion von Lichtrezeptoren in der tierischen Netzhaut mithilfe von sogenannten Elektroretinogrammen abgelesen werden. „Es ist so, als würde man die Bildrate ihrer Augen messen“, so Dr. Healy zu den daraus gewonnenen Resultaten. Der Mensch kann Lichtflimmern mit Geschwindigkeiten von bis zu 65 Blitzen pro Sekunde erkennen, was einer Flimmerverschmelzungsfrequenz von 65 Hertz entspricht. Das bedeutet, dass er bis zu 65 Veränderungen pro Sekunde in seiner Umgebung noch registrieren kann!
Damit kommt der Mensch allerdings bei Weitem nicht an die Werte der Testsieger unter den insgesamt 138 überprüften Tierarten heran. Schmeißfliegen und Libellen erreichten mit einer Flimmerverschmelzungsfrequenz von bis zu 300 Hertz den mit Abstand höchsten Score. Diese beiden Tierarten können also noch bis zu 300 Lichtblitze pro Sekunde als einzelne Signale wahrnehmen. Das heißt, dass aus der Perspektive der Fliegen der menschliche Versuch, sie mit einer Klatsche zu erledigen, gleichsam in Zeitlupe abläuft und den Tieren daher meist genügend Zeit lässt, dem Vernichtungsschlag rechtzeitig auszuweichen. Generell müssen für diese beiden Tierarten aufgrund ihrer hochauflösenden Zeitwahrnehmung die sie umgebenden Umweltvorgänge ziemlich langsam, sozusagen im Dauer-Zeitlupentempo ablaufen.
Bei den Wirbeltieren gehören die schnellsten Augen mit bis zu 146 Hertz den Messungen zufolge dem Trauerschnäpper, einem zu den Sperlingsvögeln zählenden Singvogel, der von April bis September in Nord- und Mitteleuropa häufig anzutreffen ist. Lachse kommen auf bis zu 96 Hertz, bei Hunden konnten bis zu 75 Hertz ermittelt werden. Es gibt aber natürlich auch Tiere, die ihre Umwelt mit einer deutlich geringeren zeitlichen Auflösung sehen als der Mensch. Die langsamsten Augen haben dabei die Dornenkronenseesterne mit lediglich 0,7 Hertz, sie können also nur drei Blitze aller vier Sekunden oder weniger als einen pro Sekunde registrieren. „In ihrer Welt ist alles nur verschwommen“, so Dr. Healy. Dieser Seestern kann sich eine langsame zeitliche Wahrnehmung aber auch leisten, weil er als Pflanzenfresser nicht auf eine schnelle Jagd nach Beute angewiesen ist.
„Wenn du fliegst, siehst du schneller“

Allgemein erkennen fliegende Tiere der Studie zufolge Lichtveränderungen schneller als landgebundene Tiere – allein schon, weil sie ständig dazu in der Lage sein müssen, zur Kollisionsvermeidung blitzschnell zu reagieren. „Wenn du fliegst, sieht du schneller“, bringt es Dr. Healy auf den Punkt. „Ein schnelles Sehen hilft einer Spezies, schnelle Veränderungen in der Umwelt wahrzunehmen. Eine solch detaillierte Wahrnehmung von Veränderungen ist sehr nützlich, wenn man sich schnell bewegt oder die Flugbahn einer sich bewegenden Beute genau bestimmen muss.“ Verblüfft war das Forscherteam von der Entdeckung, dass viele terrestrische Raubtiere im Vergleich zu Räubern der Meere eine relativ langsame Zeitwahrnehmung aufweisen. Als Erklärung dafür boten die Wissenschaftler folgende Hypothese an: „Wir vermuten, dass dieser Unterschied darauf zurückzuführen sein könnte, dass Raubtiere in aquatischen Umgebungen ihre Position ständig anpassen müssen, wenn sie auf Beutesuche sind, während an Land lebende Raubtiere sich auf ihre Beute stürzen und nach dem erfolgten Angriff nicht mehr dazu in der Lage sind, kurzfristige Anpassungen an eine plötzlich veränderte Situation vornehmen zu können.“
Der Hauptgrund, warum nicht alle Tiere über eine schnelle zeitliche Wahrnehmung verfügen, hat mit dem dafür nötigen hohen Energieverbrauch zu tun, aber auch mit den dafür erforderlichen speziellen Anpassungen in den Netzhautzellen der Tiere. Spezies, die nicht unbedingt auf schnelles Sehen angewiesen sind, investieren die Energie laut dem Forscherteam besser für andere Bereiche wie Wachstum oder Fortpflanzung. Variationen in der Zeitwahrnehmung treten auch innerhalb von Arten auf. Dies konnte sogar schon beim Menschen beobachtet werden, indem Studien im Bereich des Sports darauf hinzudeuten scheinen, dass Torhüter beim Fußball auf plötzliche Veränderungen vor ihrem Kasten mit einer höheren Flimmerverschmelzungsfrequenz reagieren können. Auch durch Kaffeekonsum kann laut den Forschern vorübergehend die zeitliche Wahrnehmung gesteigert werden.