Nach unglaublichen 27 Jahren als Bundestrainer der Nordischen Kombinierer wird Hermann Weinbuch seinen Job Ende der Saison 2023 an den Nagel hängen. Er hatte mit seinen Athleten 57 Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen errungen.
Bislang war der Ehrentitel „Lichtgestalt“ eigentlich nur in Zusammenhang mit der Person des Kaisers Franz Beckenbauer im sportlichen Sprachgebrauch verwendet worden. Dass der Chef der deutschen Nordischen Kombinierer nun jüngst damit ausgezeichnet wurde, kann als wohlverdientes Lob für seine märchenhaft erfolgreiche und 27 Jahre dauernde Arbeit als Bundestrainer angesehen werden. 57 Medaillen, die die von ihm betreuten Athleten bei Weltmeisterschaften oder bei den Olympischen Spielen errungen haben (die Webseite www.teamdeutschland.de berichtet sogar von 59 Medaillen), dürften für sich sprechen. Was dem am 22. März 1960 im bayerischen Bischofswiesen geborenen Weinbuch schon seit Langem die Titulierung als „Goldschmied“ eingebracht hatte. Weinbuch hat sich alle sportlichen Disziplinen übergreifend in den elitären Götterhimmel der erfolgreichsten deutschen Coaches aller Zeiten katapultiert. Nur ganz wenige historische Persönlichkeiten können da im direkten Vergleich mithalten. Spontan fallen einem da nur die anderen „ewigen“ zur Legende aufgestiegenen Bundestrainer ein: Sepp Herberger im Fußball, Emil Beck im Fechten und Karl Adam im Rudern.
Große Erfolge während Aktiven-Zeit
Bei der verdienten, meist sogar hymnischen Würdigung seiner Trainertätigkeit, die sich sogleich nach Weinbuchs Ankündigung seines Rücktritts zum Ende der aktuellen Saison in einem ARD-Interview Anfang März 2023 im Rahmen der abgeschlossenen Nordischen Ski-WM in Planica im deutschen Blätterwald niedergeschlagen hatte, blieben jedoch die eigenen sportlichen Leistungen des früheren Weltklasse-Kombinierers Weinbuch und die Anfangsschwierigkeiten des frisch gebackenen Diplom-Absolventen der Trainerakademie an der Sporthochschule Köln im Amt des Bundestrainers häufig komplett unerwähnt. Nachdem der Jungspund 1978 und 1979 zweimal den Titel eines Junioren-Weltmeisters gewonnen hatte, war er 1982 in den Senioren-Bereich gewechselt und hatte dort in dem seit der Saison 1983/1984 erstmals ausgetragenen Weltcup ein Jahr später seinen ersten Weltcup-Sieg feiern können. Bei der Nordischen Ski-WM 1985 in Seefeld war dann sein sportlicher Stern durch den Gewinn zweier Goldmedaillen im Einzelwettbewerb und mit der Staffel endgültig aufgegangen. Als Weltcup-Gesamtsieger der Saison 1985/1986 war er als großer Favorit zur Nordischen Ski-WM in Oberstdorf 1987 angereist. Mit der deutschen Staffel konnte er zwar den Titel verteidigen, doch im Einzelwettbewerb war er nur auf einem für ihn extrem enttäuschenden vierten Platz gelandet. Dass ihm nachträglich wegen eines überführten Blutdoping-Sünders die Bronzemedaille zugesprochen wurde, sollte für ihn nur ein schwacher Trost sein. Dass Hermann Weinbuchs Erfolge als aktiver Kombinierer bitter erkauft und Folge einer gnadenlosen Schinderei durch den mächtigen Funktionärs-Vater Helmut Weinbuch, Generalsekretär und Sportdirektor des DSV sowie FIS-Chef der Nordischen Kombination, waren, ist längst vergessen. Weinbuch-Senior hatte seinen Filius vor der WM 1987 laut einem zeitgenössischen „Spiegel“-Artikel „mit 9.000 fast so viele Langlaufkilometer wie der Spezialist Gunde Swan und fast so viele Sprünge wie Matti Nykänen trainieren“ lassen. Da der malträtierte und nach einer früheren Operation im Bereich des Schultergelenks angeschlagene Körper Hermann Weinbuchs schließlich nicht mehr mitgespielt hatte, verpasste der Sportler die Olympischen Spiele 1988 von Calgary, wo das deutsche Team mit dem Staffel-Triumph für viele Jahre seinen letzten großen Erfolg in der Nordischen Kombination feiern konnte. Danach ging es steil bergab, bei sechs Weltmeisterschaften von 1989 bis 1999 sollte das DSV-Team gerade mal noch eine einzige Bronzemedaille erringen.
1996 neuer Anlauf als Bundestrainer
Genau in diesem für den DSV sportlich extrem unbefriedigenden Zeitraum begann die Trainerkarriere des Hermann Weinbuch. Nach Abschluss seines Studiums an der Sporthochschule Köln begann er 1990 im Nachwuchsbereich der Nordischen Kombinierer zu arbeiten. Um schon zwei Jahre später im Alter von gerade mal 32 Jahren zum Bundestrainer ernannt zu werden, wobei die Protektion durch seinen Vater wahrscheinlich eine entscheidende Rolle gespielt haben dürfte. Das Experiment mit einem so jungen und unerfahrenen Trainer, der damals zudem als schwieriger, eigenwilliger, aufbrausender und kantiger Typ gegolten hatte, sollte zunächst einmal kläglich scheitern. Als Grund wurde Weinbuch damals attestiert, dass er noch zu weich für diesen Job sei, er selbst erklärte später mal, dass er einfach noch „zu jung“ gewesen sei, obwohl er schon damals ein positiv Verrückter in seiner Sportart gewesen war, der sich immer selbst und auch seine Athleten stets neu motivieren konnte: „Ich bin halt a Fanat“, so Weinbuch über seine wesentliche berufliche Charaktereigenschaft, die er in seiner Jugend auch schon beim Amateur-Fußball-Kicken nachdrücklich unter Beweis gestellt hatte.
1996 erfolgte dann der zweite Anlauf als Bundestrainer der deutschen Nordischen Kombinierer. Weinbuch brauchte fünf Jahre, um den Laden mehr oder weniger komplett umzukrempeln und 2001 den ersten Riesenerfolg vorweisen zu können, als sein Schützling Marko Baacke bei der WM in Lahti den Titel gewinnen und damit die goldene Durststrecke des DSV endlich beenden konnte. Danach sollten Weinbuchs Kombinierer bei nahezu jedem sportlichen Großereignis sichere Medaillengaranten für Deutschland werden. Kein Zufall, sondern Ergebnis intensiver Arbeit und eines ganz speziellen Systems, das Hermann Weinbuch einmal der „FAZ“ enthüllt hatte: „Ich hatte schon damals die Idee für ein System, eine Trainerphilosophie. Davon war ich überzeugt.“ Natürlich habe er über die Jahre daran immer wieder gebastelt und Modifizierungen vorgenommen, „aber meine Linie habe ich nie verlassen.“ Wobei er einen einheitlichen Rahmentrainingsplan von den jüngsten Talenten bis hin zu den Senioren als das grundlegende Fundament seiner Arbeit bezeichnet hatte: „Das baut alles aufeinander auf. Das ist unser Vorteil. Deshalb sind wir so gut.“
Großes Fachwissen und hohe Emotionalität
Weshalb es ihm über die Jahrzehnte immer wieder gelungen war, rechtzeitig aufstrebende Nachwuchsstars an die bereits Arrivierten heranzuführen. Wobei für ihn das Skispringen der entscheidende Faktor bei der Ausbildung gewesen ist. „Wir kommen eher über das Skispringen. Es gibt ja genug Langläufer, die sich nicht von einer Schanze runtertrauen“, so Weinbuch. Aber natürlich brauchte Weinbuch auch immer Athleten mit Langlauf-Qualitäten. Der Erfolg seiner Sportler hing letztlich immer von der möglichst großen Ausgewogenheit in den beiden Einzel-Disziplinen ab. Auch den Blick über den eigenen Tellerrand betrachtete Weinbuch stets als hilfreich. Wobei er sich als Fußball-Fan Anregungen von Größen wie Klopp, Guardiola oder Heynckes, als ambitionierter Hobby-Golfer aber auch von Golf-Superstars geholt hatte. Weil er deren besondere Fähigkeiten wie hohe Emotionalität, großes Fachwissen, soziale Kompetenz, mentale Stärke oder gelassene Souveränität auch bei seinem Job für absolut notwendig erachtet hatte: „Die Athleten müssen spüren, dass ich in ihnen etwas sehe. Dass sie Stärken besitzen, dass sie Weltspitze werden können.“ Dass es über die 27 langen Jahre seiner Amtszeit, in denen er Dutzende von Topathleten wie Ronny Ackermann, Georg Hettich, Björn Kircheisen, Eric Frenzel, Johannes Rydzek, Fabian Rießle oder zuletzt Vinzenz Geiger und Julian Schmid an die Weltspitze geführt hatte, gelegentlich auch kleinere Schwächephasen seiner Athleten gegeben hatte, was öffentliche Kritik und Selbstkritik an seiner Trainerarbeit sowie daraus resultierend sogar diverse direkte oder indirekte Rücktrittsankündigungen zur Folge hatte, dürfte als völlig normal eingestuft werden können.
2011 konnte er nur mit reichlich Zureden vonseiten des DSV zum Weitermachen überzeugt werden, nachdem er aus familiären Gründen schon den Abschied eingereicht hatte, um in seinem Wohnort Bischofswiesen mehr Zeit mit seiner Partnerin Andrea verbringen zu können, mit der er inzwischen auch zwei Kinder namens Gioia und Tonio hat. Auch die Dominanz der Norweger rund um den Überflieger Jan Magnus Riiber in den vergangenen Saisons dürfte Weinbuch ziemlich genervt und frustriert haben. Aber als ausschlaggebenden Grund für seinen Rücktritt war für ihn letztlich das Gefühl abnehmender Akzeptanz innerhalb des Teams entscheidend: „Mein Gefühl sagt mir, dass ich vielleicht bei den Jungs nicht mehr die hundertprozentige Überzeugung gewinnen kann und sie nicht mehr hundertprozentig motivieren kann.“ Weinbuch soll dem DSV absprachegemäß noch bis mindestens zu den Olympischen Spielen 2026 in neuer Funktion erhalten bleiben. Wobei vor allem eine Arbeit im Nachwuchsbereich und in der Trainerausbildung im Gespräch ist. Einen Nachfolger zu finden, der in die tiefen Fußstapfen Weinbuchs treten kann, dürfte in den kommenden Monaten eine große Aufgabe für den DSV werden, noch ist bezüglich der Personalie keine Entscheidung gefallen. Gleichzeitig mit Weinbuch hatte auch sein herausragender Athlet Eric Frenzel, der jüngst durch den Gewinn der 18. WM-Medaille in Planica zum erfolgreichsten nordischen Skisportler aller Zeiten geworden war, sein Karriereende mit Ablauf der Saison 2023 verkündet.