Torsten Reinwald, Pressesprecher und stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Jagdverbands, über jagdfreie Naturschutzparks, Wildfütterungen und den Waschbär.
Herr Reinwald, ein Argument für die Jagd ist, dass Verbissschäden an Bäumen reguliert werden sollen. Wie ist das aber, wenn Tiere durch die Jagd aufgescheucht werden. Dann bewegen Sie sich doch mehr und die Verbissschäden steigen, oder?

Es gibt ja Jagd- und Schonzeiten. Diese Bewegungsjagden, bei denen die Tiere in Bewegung gebracht werden, finden nur im Winterhalbjahr statt, dann wenn die jungen Tiere selbstständig sind. Wir fordern als Jagdverband, dass bei der Jagd wildbiologische Erkenntnisse auch umgesetzt werden. Pflanzenfresser wie Rehe und Hirsche sind ab Ende Dezember in einem Energiesparmodus. Dann verbietet es sich grundsätzlich, Bewegungsjagden durchzuführen. Also, groß angelegte Jagden mit Treibern und Hunden. Weil es dann tatsächlich so ist, dass die Tiere aus ihrem Energiesparmodus heraus müssen. Diese Extraenergie müssen sie sich irgendwo holen und fangen dann natürlich an, an Bäumchen zu knabbern. Das ist komplett kontraproduktiv. Die Jagd ist notwendig in Deutschland. Die Statistik zeigt, dass seit zwei Jahrzehnten Jäger jedes Jahr rund eine Million Rehe erlegen. Und es werden ja nicht weniger Rehe. Wir haben die Herausforderung Klimawandel. Auf über 500.000 Hektar geht es dem Wald schon schlecht. Auf diesen Flächen müssen wir jetzt Bäume pflanzen, damit der Wald möglichst schnell nachwächst. Auf diesen Flächen müssen wir verstärkt jagen. Sonst haben die Bäume keine Chance.
Hier bei uns im Saarland fand am 14. Januar eine Treibjagd statt. Dann war ja das komplett falsch, was das Argument mit den Verbissschäden betrifft?
Die Entscheidung liegt ganz in der Verantwortung der Verantwortlichen vor Ort. Entscheidend sind regionale Gegebenheiten. Grundsätzlich sollten Bewegungsjagden im Januar vermieden werden. Jeder zusätzliche Energiebedarf im Winter führt zu einer früheren Erschöpfung der Fettreserven, und das provoziert im Wald Schäden an Bäumen.
Im Internet kursiert eine Studie der Wissenschaftlerin Sabrina Servanty, die herausgefunden haben will, dass Wildschweine sich unter Jagddruck viel stärker vermehren.
Sie hat es als Hypothese in den Raum gestellt. Servanty hat zwei Populationen in komplett unterschiedlichen Lebensräumen verglichen. Die eine war im Pariser Becken. Sehr fruchtbare Böden, große Nahrungsverfügbarkeit. Die andere war im Mittelgebirge, wo es sehr trocken ist und wenig Nahrung gibt. Das alleine macht keinen Sinn. Ich bin selbst Biologe. In der Biologie gibt es nicht nur einen Faktor, sondern immer multifaktorielle Einflüsse. Wenn ich den Einfluss der Jagd untersuchen möchte, dann muss ich versuchen, alle anderen Faktoren wie Lebensraum, Klima, Nahrungsverfügbarkeit vergleichbar zu halten. Sonst kann ich gar keine Aussage machen, wie viel Einfluss die Jagd hat.
Offenbar werden von manchen Jägern die Tiere im Winter gefüttert. Das macht ja eigentlich keinen Sinn, wenn ich den Bestand regulieren will.
Es darf nur in Notzeiten gefüttert werden. Diese Notzeiten werden behördlich verordnet. Ansonsten ist Füttern verboten.
Was ist denn eine behördliche Notzeit?
Beispielsweise, wenn in einem Gebiet eine Überschwemmung stattfindet. Oder wenn Schnee und Eis in Mittelgebirgslagen für Tiere lebensbedrohlich werden.
Durch Füttern können Tiere auch in Bereichen gehalten werden, wo sie im Winter keinen Schaden an Forstpflanzen anrichten. Der Mensch hat die Täler für sich entdeckt. Dadurch können beispielsweise die Rothirsche im Winter nicht mehr in die Täler ziehen und werden in Notzeiten gefüttert.
Es gibt ja viele private Jagdpachten in Deutschland. Wer kontrolliert denn, dass das alles richtig gemacht wird? Zum Beispiel mit der Fütterung.
Das machen die unteren Jagdbehörden.
Stelle ich mir schwierig vor, denn dann müsste ja ständig jemand von der Behörde im Wald unterwegs sein …
Die Jagd findet ja nicht im Verborgenen statt, Jägerinnen und Jäger nutzen dieselbe Natur wie Radfahrer, Reiter oder Wanderer. Wenn Erholungssuchende Missstände sehen, dann sollten sie das Gespräch suchen oder die zuständige Behörde informieren.

Und wie soll denn nun gejagt werden?
Immer mehr zu jagen ist auch der falsche Weg. Wir müssen den Lebensraum mit den Augen der Tiere betrachten. Dafür gibt es in der Wildbiologie das Instrument der wildökologischen Raumplanung. Das heißt zum Beispiel, Störungen durch Tourismus zu analysieren. Dadurch schaffen wir auch Ruhezonen für die Tiere. Und wirtschaftlich uninteressante Pflanzen wie Brombeere, Birke oder Pappel sollen im Wald wachsen dürfen. Sie schmecken Wildtieren gut und halten sie ab von Setzlingen wie Buche oder Eiche.
Es gibt Nationalparks, in denen die Natur sich selbst überlassen wird, wie der Schweizer Nationalpark. Da scheint das prima ohne Jagd zu funktionieren. Auf Nachfrage dort heißt es: „Im Schweizerischen Nationalpark (SNP) wird nicht gejagt. Wir überlassen gemäß Nationalparkgesetz die Natur ihrer natürlichen Entwicklung. Es gab einzelne Abschüsse von Hirschen, das war aber sehr punktuell und im 20. Jahrhundert.
Rund 2.000 Rothirsche verbringen das Sommerhalbjahr im SNP und ziehen für den Winter in die tiefer gelegenen Täler. Die Wildbestände haben trotz fehlender Bejagung nicht überdurchschnittlich zugenommen. Kommt hinzu, dass in Graubünden das Füttern von Wildtieren verboten ist. Seit der Einführung dieses Verbots verteilen sich die Wildtiere viel besser, was auch zu weniger Verbiss führt.“
Was sagen Sie dazu?
Die Antwort der Nationalparkverwaltung ist aufschlussreich: Die Hirsche können tatsächlich noch in die Täler ziehen. Ohne die Gegebenheiten vor Ort zu kennen: Vermutlich gibt es wenig Verkehrswege und Siedlungen, die Wanderrouten versperren. Das ist ideal und macht Füttern obsolet. In einer kargen Gebirgslandschaft ist die Lebensraumkapazität per se gering, weniger Tiere pro Fläche sind unterwegs. Das führt zu weniger Konflikten im Waldbau. Bei der Jagd geht es auch um invasive Arten. Wir haben in Deutschland zum Beispiel ein großes Problem mit dem Waschbär. Wenn wir ihn nicht jagen würden: Er würde Tabula rasa machen und auch streng geschützte Arten, die im Nationalpark leben, fressen.
Eine auf sechs Jahre angelegte Studie im Müritz Nationalpark mit dem Titel „Projekt Waschbär“, die 2018 abgeschlossen wurde, hat nachgewiesen, dass Waschbären keine Gefahr für heimische und geschützte Tierarten darstellen. Es heißt dort auch: „Im Jahresdurchschnitt ernähren sich die Kleinbären im Nationalpark zu mehr als 50 Prozent von Weichtieren wie Regenwürmern und Schnecken. Pflanzen machen 32 Prozent aus. Erst dann kommen Wirbeltiere.“ Was sagen Sie dazu?
Die Studien der Goethe-Universität Frankfurt zeigen ein ganz anderes Bild: Waschbären spezialisieren sich gerade an Binnengewässern – und die dominieren in Deutschland – auf Amphibien. Sie haben gelernt, die giftige Haut abzuschälen, um an die nahrhaften Schenkel zu gelangen. Die DNA-Proben beweisen eindeutig, dass Waschbären Erdkröten und die noch selteneren Gelbbauchunken fressen. Innerhalb weniger Jahre kann so eine lokale Amphibienpopulation erlöschen.
Die Jagd ist ja viel in privater Hand, da passieren auch viele Unfälle. Ích habe nur fünf Minuten gegoogelt und schon drei versehentlich erschossene Pferde und einen bei einer Jagd getöteten Jäger gefunden. Müsste die Jagd nicht ausschließlich in Profi-Hände?
Ich habe die Daten für über zwei Jahrzehnte ausgewertet. Wir kommen im Schnitt auf etwa drei Tote durch Schusswaffen bei der Jagd pro Jahr. Das sind drei zu viel, das ist klar. Aber in der Relation ist die Jagd ungefährlich.
Werden Jäger vielleicht nicht genug nachgeprüft? Bei einem der versehentlich erschossenen Pferde sagte der Jäger später, er dachte, es wäre ein Wildschwein.
Das kann ich Ihnen nicht sagen, was da in dem Einzelfall passiert ist. Die Ausbildung für die staatliche Jägerprüfung umfasst 160 Stunden, das ist nicht ohne. Also ich habe für die Prüfung in so kurzer Zeit so viel gelernt, wie seit meinem Studium nicht mehr. Es ist sehr aufwendig. Unvorsichtige Menschen gibt es in jedem Bereich. Aber wenn ich mir anschaue was nur auf der Straße los ist, wie viele tödliche Unfälle da passieren. Es verunglücken auch viele Menschen beim Bergwandern. In dem Zusammenhang ist die Jagd wenig risikoreich.
Müssen Jäger ab und zu eine Schießprüfung nachholen?
Wir fordern einen bundesweiten Schießübungs-Nachweis. Den hat Bayern leider vereitelt. Wir wissen aus unseren Umfragen, dass die meisten Jäger dreimal jährlich auf den Schießstand gehen. Ein Drittel geht sogar sechsmal und mehr.
Aber das passiert freiwillig?
Ja, genau.
Stimmt es, dass der Fuchs in den meisten Bundesländern ganzjährig bejagt wird?
Was immer gilt, ist der Eltern-Tierschutz. Wenn sie Jungtiere haben, dürfen sie nicht bejagt werden. Das gilt für jede Tierart. Ich jage von März bis Juni keine Füchse. Jungfüchse sind erst im Juni auf Entdeckungstour. Im März werden sie geboren und sind dann im Bau, so im Mai kommen sie raus.

Und von wann bis wann wird der Fuchs bejagt?
Jagdbar ist er bis Mitte Februar. Das macht wildbiologisch Sinn. Denn bis Mitte Februar werden die Reviere von den Füchsen besetzt. Wenn ich dann in der Zeit einen Fuchs töte, dann wird das Revier nicht mehr neu besetzt. Das ist der maximale Schutz für Brutvögel.
Der Fuchs ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Natur sich nicht selbst reguliert. Auch da haben wir Menschen großen Einfluss genommen. Wir haben ja aus reinem Eigenschutz das Tollwut-Virus ausgerottet. Dadurch haben wir in das System extrem eingriffen. Denn das Tollwut-Virus war eines der wichtigsten Regulative für den Bestand des Fuchses. Das hatte dann zur Folge, dass die Zahl der Fuchsbauten sich in 40 Jahren verdreifacht hat. Das ist dann wieder ein Artenschutzproblem, weil der Fuchs ein Allesfresser ist. Und weil er sich stark vermehrt, in Bereiche reinkommt, die hochsensibel sind, wie zum Beispiel Feuchtgebiete, wo seltene Arten brüten. Da richtet er maximalen Schaden an. Da muss man dann intensiv jagen.
Mit Natur sich selbst überlassen schaffen wir in Deutschland keine Artenvielfalt. Das schaffen wir nur, wenn wir managen. Lebensräume erhalten, aber auch jagen.