Die Weltgesundheitsorganisation arbeitet an einem neuen Pandemievertrag. Auch soll die 1948 gegründete Organisation reformiert werden. Doch der bisherige Entwurf ist umstritten.
Wie kann man künftig neuen Gesundheitsgefahren, Epidemien und Pandemien begegnen und sie besser bewältigen? Die Ampelkoalition will diesbezüglich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stärken. In einem Beschluss des Bundestages von Mitte Mai werden die Pflichtbeiträge zur Finanzierung der WHO bis spätestens zum Jahr 2030 erhöht. Die Covid-19-Pandemie habe gezeigt, dass die WHO als Organisation der globalen Gesundheit künftig handlungsfähiger und unabhängiger werden muss, sagte Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und Vorsitzender des Unterausschusses Globale Gesundheit. „Die Finanzen der WHO stehen nicht auf einer soliden Basis“, so Ullmann. Etwa 80 Prozent der WHO-Finanzen basieren demnach auf freiwilliger Basis und lediglich rund 20 Prozent sind durch Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten festgelegt, sagte der Politiker. Bei Gründung der Organisation war diese Verteilung noch andersherum.
Auf gesamteuropäischer Ebene findet der Ansatz, die in Genf ansässigen Organisation zu stärken und ihr mehr Befugnisse als bisher einzuräumen, großen Anklang. „Ein Übereinkommen zur Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion unter dem Schirm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) würde es Ländern auf der ganzen Welt ermöglichen, ihre nationalen, regionalen und globalen Kapazitäten sowie ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber künftigen Pandemien zu stärken“, heißt es auf der Webseite des Europäischen Rates. Der Wunsch nach einem völkerrechtlich rechtsverbindlichen Übereinkommen war während der Corona-Krise entstanden.
Angestoßen hatte die Sache im Jahr 2020 der europäische Ratspräsident Charles Michel. Auf dem Pariser Friedensforum im November 2020 hatte der belgische Politiker die Idee erstmals aufs Tableau gebracht. „Wir müssen weitere Schritte unternehmen und die Lehren aus der Pandemie ziehen“, sagte der Präsident damals. Michels Vorstoß: Eine Vereinbarung, die sicherstellt, dass die Länder „schneller und koordinierter“ auf neue Ausbrüche reagieren können. Ein solches Übereinkommen solle auch „völkerrechtlich rechtsverbindlich“ sein, so der belgische Politiker. Die Idee zündete. Auch andere Politiker, darunter der britische Ex-Premier Boris Johnson, plädierten für eine solche Vereinbarung.
Heute, zweieinhalb Jahre später, wird der Plan des Politikers umgesetzt: Vertreter der knapp 200 Mitgliedstaaten der WHO treffen sich regelmäßig zu monatlichen Verhandlungsrunden am Genfer See. Anfang Februar 2023 stellte das internationale Verhandlungsgremium seinen ersten Entwurf vor. Zugeschnürt soll das Ganze im Mai 2024 werden. Parallel dazu wird an der Reform der WHO gearbeitet. An die 300 Änderungen an den Richtlinien wurden vorgeschlagen. Heikel ist, dass die Änderungen den Rat der WHO „verbindlich“ machen. Damit hätte die Organisation in Genf als übergeordnete, globale Behörde erhebliche Befugnisse – zumindest in Gesundheitsfragen.
Das stößt naturgemäß auf Widerstand, beispielsweise in Großbritannien, wo etliche Minister der Konservativen Partei einem Bericht der Zeitung „Telegraph“ zufolge befürchten, dass die UN-Organisation dem Land im Falle einer künftigen Pandemie Lockdownmaßnahmen aufzwingen könnte. „Die WHO ist ein nicht gewähltes, nicht rechenschaftspflichtiges und von oben nach unten verordnetes supranationales Gremium“, kritisiert etwa Andrew Bridgen, Parlamentsabgeordneter für North West Leicestershire. Die Verträge würden ihren Generaldirektor ermächtigen, den Mitgliedstaaten weitreichende, rechtsverbindliche Anweisungen zu erteilen, so Bridgen weiter.
Finanzierung der WHO umstritten
Die Minister sind auch über die Pläne zur Ausweitung der Befugnisse der WHO alarmiert, die es ihrem Führungsgremium angeblich ermöglichen soll, von Ländern die Herausgabe von Impfstoffrezepten zu verlangen, ohne Rücksicht auf geistige Eigentumsrechte. Kritisiert wird auch, dass der WHO umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung von „Fehlinformationen“ eingeräumt werden soll. Konservative Abgeordnete haben sich schriftlich an die Minister gewandt, um vor dem „offensichtlichen Bestreben“ zu warnen, „die WHO von einer beratenden Organisation zu einer kontrollierenden internationalen Behörde zu machen“ und zu einer Blockade der Reformen aufgerufen.
In das Bild der Kritiker passt auch, dass angeblich im Regelwerk der WHO die Wörter „Menschenrechte“ und „Würde“ nicht mehr vorkommen sollen, die WHO folglich auf dem Weg zu einer „Gesundheitspolizei“ sei. Da hilft wenig, wenn Andreas Wulf vom Medico Internation darauf hinweist, dass die WHO eben keine Gesundheitspolizei sei, die Vorschriften machen könne.
„UN-Vertragswerke eignen sich besonders für Narrative von nationalem Souveränitätsverlust“, betonte auch Steffen Angenendt, UN-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem ZDF-Gespräch. Da werde „zum Teil mit massiven Falschmeldungen skandalisiert“.
In der Kritik steht aber auch die Finanzierung der WHO. Das Budget ist mit 4,4 Milliarden US-Doller (letzte Zahlen von 2018/2019) vergleichsweise gering. Das Geld kommt aus unterschiedlichen Quellen: Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten, freiwillige Beiträge von Staaten und Organisationen sowie private (Stiftungs-)Gelder. Die Pflichtbeiträge sind seit 1993 nicht mehr erhöht worden, somit schrumpfte der prozentuale Anteil auf zwischen 15 und 20 Prozent. Zudem fror die USA unter Präsident Trump ihre Beiträge weitgehend ein. Prozentual stieg somit der Anteil freiwilliger und privater Gelder. Unter den Privaten sind die Bill und Melinda Gates Stiftung (circa zehn Prozent) und die Impfallianz Gavi (circa acht Prozent) die größten. Das Problem: Freiwillige Zahlungen und private Gelder sind in der Regel an konkrete Projekte gebunden. Die Handlungsfähigkeit der WHO ist somit eingeschränkt, was wiederum zur Kritik führt, die WHO sei nicht unabhängig.
Der Bundestag hat sich auch mit Stimmen aus der Opposition für eine Stärkung der WHO eingesetzt. Eine vorgeschlagene Maßnahme dabei ist, bis 2030 eine Erhöhung der Pflichtbeiträge, um mindestens 50 Prozent des Kernhaushalts der WHO dadurch sicherzustellen.