Sabine Lisicki hat Spaß bei ihrem Heimturnier in Berlin, doch Punkte kann die Tennisspielerin hier nicht sammeln. Trotzdem ist sie zufrieden – genau wie die Organisatoren des Rasenevents.
Bei den jüngsten French Open präsentierte sich Novak Djokovic als „Iron Man“. Auf seiner Brust war ein ungewöhnliches Pflaster zu sehen, unter dem eine Art Chip befestigt war. Dabei handele es sich um Nanotechnologie, erklärte der serbische Tennisstar später. Diese sei „unglaublich effizient“ und würde dem inzwischen 36-Jährigen weiterhin Höchstleistungen erlauben. Der Chip soll durch Sonnenlicht und Körperwärme aktiviert werden und angeblich Nanokristalle in Bewegung setzen. Als Sabine Lisicki bei ihrem Heimturnier in Berlin am linken Arm mit einem ähnlichen Pflaster angetreten war, wurde sie gefragt, ob sie auch auf diese Nanotechnologie setze. Nein, antwortete die Berlinerin lächelnd, „es ist ein Glukose-Messgerät“. Die Wimbledon-Finalistin von 2013 leidet an einer Gluten-Unverträglichkeit – doch diese Diagnose war noch einer der kleineren Rückschläge in der Vergangenheit.
Pfeiffersches Drüsenfieber, Kreuzbandriss im Knie – die letzten Jahre musste Lisicki gesundheitliche Hiobsbotschaften verkraften. Die frühere Top-20-Spielerin fiel aus der Weltrangliste heraus, wurde nicht mehr gelistet. Im Tennis bedeutet das: entweder aufgeben oder sich auf die harte und mühsame Tour zurückkämpfen. Lisicki entschied sich für Zweiteres, auch wenn das Leben im Tennis-Zirkus abseits der großen Turniere alles andere als ein Zuckerschlecken ist. „Ich habe auch viele Challenger-Turniere gespielt, die keinen Spaß machen, das muss man auch so zugeben“, sagte Lisicki. Umso dankbarer ist sie, wenn sie wie beim Rasenevent in Berlin eine Wildcard für ein WTA-500-Turnier erhält. Hier sind die Bedingungen deutlich besser, und es gibt mehr Punkte zu gewinnen.
Gesundheitliche Hiobsbotschaften
„Ich bin dem Veranstalter unheimlich dankbar, im Hauptfeld spielen zu dürfen. Genau so etwas brauche ich um zu sehen: Wo stehe ich, und was muss ich besser machen? Ich glaube, es ist nicht so viel“, sagte Lisicki. Ihr Erstrundenmatch gegen die klar favorisierte Caroline Garcia gab ihr Recht – auch wenn am Ende eine 6:7 (2:7), 3:6-Niederlage stand. Lisicki hatte der an Nummer drei gesetzten Französin einen harten Kampf geliefert und nur in den entscheidenden Situationen das Nachsehen gehabt. „Das war ein sehr, sehr gutes Match, in dem Kleinigkeiten entschieden haben“, sagte Lisicki: „Sie hat zum Beispiel im Tiebreak wie eine Top-5-Spielerin gespielt.“ Zur Erinnerung: Lisicki stand zu diesem Zeitpunkt auf Weltranglisten-Position 308. Doch dieser auf dem Papier riesengroße Unterschied fiel im Steffi-Graf-Stadion überhaupt nicht auf.
„Man muss die Big Points gut spielen, und das hat sie besser gemacht“, gab Lisicki zu. Doch das sei keine Überraschung für sie, denn Matches gegen Top-Spielerinnen sind für die viermalige WTA-Turniergewinnerin zur Seltenheit geworden. „Je öfter man so Punkte hat, in denen es eng ist, desto leichter fällt es einem“, meinte Lisicki. Ein Fazit fiel ihr daher auch nicht so leicht, weil sie zwischen Stolz und Enttäuschung schwankte. „Es ist immer schwierig zu verlieren. Dafür bin ich zu ehrgeizig“, sagte die Lokalmatadorin. Andererseits habe sie sich bis auf einen vergebenen Volley bei einer Breakchance „nicht so viel vorzuwerfen“.
Das fand auch ihre Gegnerin, die sich gegen die deutsche Wildcard-Inhaberin deutlich schwerer tat als von Experten angenommen. „Wenn sie Turnier um Turnier spielt, kann sie definitiv nach oben klettern“, sagte die Weltranglisten-Fünfte Garcia: „Wie hoch, das weiß ich nicht. Aber in die Top-100 auf jeden Fall.“ Dann müsste Lisicki keine Challenger-Turniere mehr spielen, sie müsste nicht auf Wildcards hoffen und wäre auch im Hauptfeld von Grand-Slam-Turnieren gesetzt. Genau dort will Lisicki wieder hin – und Garcia glaubt an sie: „Sie hat dieses Niveau im Tennis. Aber es ist ein langer Weg, mental ist das sehr hart. Aber sie kann es schaffen, sie hat die Leidenschaft fürs Tennis.“
Wegen der Liebe zu ihrer Sportart hat Lisicki den Schläger noch nicht in die Ecke gestellt. „Ganz unten noch mal anzufangen ist brutal schwierig. Ich glaube, das zeigt aber auch, was für eine Leidenschaft und was für ein Feuer noch in mir steckt“, sagte sie. Mit einem erfolgreichen Comeback wolle sie auch ein Vorbild für alle Leute sein, die nach Rückschlägen nicht aufgeben wollen. Immer wieder bekommt sie diesbezüglich Nachrichten geschickt. „Es ist schön zu wissen und zu spüren, dass ich Menschen zeigen kann, was man mit viel Arbeit, Fleiß und einem großen Kämpferherz alles schaffen kann.“ Ihre Vorbilder sind Martina Hingis, Serena Williams, Andre Agassi, Andy Murray und Rafael Nadal – aber nicht wegen ihrer spielerischen Klasse, sondern wegen ihrer Leidenschaft. „Generell war es bei allen auch das Feuer, das sie hatten“, begründete Lisicki „die Leidenschaft für den Sport“.
„Berlin gibt mir immer viel Kraft“
Die hat Sabine Lisicki auch bei ihrem Heim-Turnier auf ihrem Lieblings-Belag gespürt. „Berlin gibt mir immer viel Kraft.“ Im Anschluss startete sie – auch dank einer Wildcard vom Veranstalter – auf Rasen in Bad Homburg. Auch hier kam in Runde eins das Aus, ebenfalls trotz einer guten Leistung. Und wie geht es jetzt weiter? „Ich wüsste teilweise selber gern, wo ich spielen werde“, antwortete der Tennisprofi. Das ist eines der schwierigen Dinge in ihrer jetzigen Situation: „Nicht zu wissen, wo man reinkommt.“ Lisicki veranschaulichte es mit einem Beispiel: Ende Januar habe sie eigentlich ein Turnier in Thailand spielen wollen, dann aber auf Portugal spekuliert und schließlich in Mexiko-Stadt aufgeschlagen. „Von so einer Spanne reden wir“, sagte sie: „Da hat man manchmal nicht wirklich viel Einfluss drauf, als sich in der Rangliste hochzuarbeiten.“
Beim Turnier in Grunewald war Lisicki eine von drei deutschen Starterinnen. Einzig Wimbledon-Viertelfinalistin Jule Niemeier überstand dabei die Auftakthürde, in der zweiten Runde war aber auch für sie Endstation. Verletzungsbedingt musste die 23-Jährige beim Stand von 3:6, 5:6 gegen die Tschechin Markéta Vondroušová aufgeben. „Uns fehlt eine deutsche Nummer eins, ein Zugpferd, das kann man nicht verheimlichen“, sagte Veranstalter Edwin Weindorfer: „Das ist die Aufgabe der nächsten Jahre. Es wäre schön, wenn wir ein Viertelfinale oder Halbfinale mit deutscher Beteiligung hätten.“ Den Titel sicherte sich die tschechische Rasenexpertin Petra Kvitová durch einen Zweisatzsieg im Finale gegen die Kroatin Donna Vekić. Kvitová bedankte sich anschließend bei den Fans und Organisatoren: „Danke Berlin!“
Von den Spielerinnen habe sie ein „sehr, sehr gutes Feedback“ erhalten, verriet Turnierdirektorin Barbara Rittner. Auch, weil einige infrastrukturelle Änderungen vorgenommen worden seien. Dass am völlig verregneten Freitag überhaupt keine Spiele ausgetragen werden konnten, habe der Samstag mit vier Viertelfinal- und zwei Halbfinalpartien wettgemacht, so Ritter: „Das war ein mega Tennis-Tag.“ Das Niveau sei hoch gewesen – was angesichts von sieben Top-Ten-Spielerinnen aber auch fast vorausgesetzt wurde. Dass das Turnier im Vergleich zu den Vorjahren in der öffentlichen Wahrnehmung etwas unterging, lag vor allem an den zur gleichen Zeit in Berlin durchgeführten Special Olympics World Games. „Das war natürlich nicht ideal für uns“, sagte Weindorfer, „das hat uns medial einiges weggenommen.“