Automatisierung bleibt das zentrale Element für die Zukunft der Bahn. Ideen dafür diskutierten Manager vor Kurzem auf dem Railway-Forum in Berlin.
Es war wohl der Vorstand von DB Regio Schiene, Oliver Terhaag, der den gegenwärtigen Zustand der Bahn in diesen bewegten Zeiten am eindrucksvollsten darstellte, ihre immensen Chancen, aber gleichzeitig die enormen Zwänge, denen sie sich gegenüber sieht: „Der Fachkräftemangel, der sich durch das ganze Unternehmen zieht. Die Infrastruktur ist in keinem guten Zustand. Die Lieferketten sind nicht mehr so zuverlässig. Wir können nicht mehr jeden Zug fahren. Das gefährdet am Ende die unternehmerische Zukunft“, sagte er beim achten Railway Forum in Berlin.
Gleichzeitig war aber die Veranstaltung mit mehr als 2.000 anwesenden und 1.000 übers Internet zugeschalteten Teilnehmern das größte Railway Forum aller Zeiten. Eine Schau der Eisenbahnbranche mit 180 Ausstellern begleitete den Kongress. Unübersehbar: Die Bahn ist vom Rand endgültig in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Und gerade in einer Situation, in der sie sich, wie von Terhaag aufgezählt, von mehreren Seiten bedrängt sieht, steht sie vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte.
Vorgegebenes Ziel sind nämlich eine Milliarde mehr Reisende, ein Anstieg auf mehr als 2,5 Milliarden im Jahr. „Wir durften schon mal schnuppern, wie sich das anfühlt“, sagte der Regio-Schiene-Vorstand. „Beim 9-Euro-Ticket voriges Jahr waren es hochgerechnet 2,4 Milliarden. Aber so geht es nicht: Wir hatten Räumungen, mussten Fahrgäste zurücklassen, hatten viele Aggressionen gegenüber unseren Mitarbeitern, mussten zu viele Fahrräder transportieren.“
„Wir müssen dringend digitalisieren“, forderte deshalb Terhaag und nannte drei Stufen, um das Ziel dennoch zu erreichen: Mehr Passagiere in den Fahrzeugen, mehr Fahrzeuge im Zug, mehr Züge auf der Strecke. Doch gibt es bei allen drei Stufen auch Grenzen. Die Auslastung pro Fahrzeug sei zwar bisher nicht gesteigert worden, sagte der Bahnmanager. Der limitierende Faktor sei aber der Platz. Dabei habe sich der Doppelstockwaggon als „das überlegene Fahrzeug“ erwiesen. „Das ist die Erkenntnis aus dem 9-Euro-Ticket“, so Terhaag. „Er ist aber nicht geeignet für eng getaktete S-Bahnen.“
Mehr Fahrzeuge, mehr Fahrgäste
Mehr Fahrzeuge in Zügen benötigten, ebenso wie Stufe eins, keinen zusätzlichen Lokführer. Hinsichtlich zusätzlicher „Behängung“ sei noch Luft nach oben. Doch da sei die Bahnsteiglänge der limitierende Faktor. Die Haltezeiten betrügen im Regionalverkehr meist weniger als eine Minute. Mit Haltezeit-Überschreitungen von wenigen Sekunden seit Einführung des Deutschlandtickets habe die Bahn 0,5 Prozent an Pünktlichkeit verloren. Dabei sei das Deutschlandticket ein „Verkaufsschlager“.
Waggontüren würden, so Terhaag, zu einem wichtigen Element der Verkehrswende werden. Denn erst ab einer Breite von 160 Zentimetern würden die Passagiere parallel und nicht nacheinander ein- und aussteigen. Informationsanzeigen im Zug über die Situation auf dem Bahnsteig sollen künftig verhindern, dass man sich erst beim Aussteigen orientiert und den Verkehrsfluss an der Tür behindert.
Wenn die Zahl der Züge wie geplant von derzeit 4.000 auf 8.000 täglich auf ein und derselben Infrastruktur steigen soll, gibt es laut Terhaag auch da einen limitierenden Faktor: den durch die Signale bestimmten Blockabstand zwischen den Zügen. Hier heißt die Lösung ETCS, das europäische Kontrollsystem auf der Lok, das ohne Signale entlang der Strecke auskommt und zulässt, dass Züge in kürzeren Abständen hintereinander fahren können.
Doch die Analyse des Bahnmanagers klingt wie ein Hilferuf an die Politik, die das nötige Geld bereitstellen muss: „ETCS ist ein Drama, weil fast alles ungeklärt ist.“ 2028 sei für die Einführung der digitalen Zugsignalisierung ein guter Zeitpunkt, doch verschiebe der sich dauernd. „Wir haben keine Zeit, denn wir haben kein Personal. Wir werden in den nächsten fünf Jahren 50 Prozent unserer Mitarbeiter verlieren. Wir müssen dringend automatisieren“, sagte Terhaag. Fazit: „Die Digitalisierung ist der wichtigste Lösungsbeitrag. Wir müssen alle Stufen parallel angehen.“ Ein gemeinsamer Plan mit Politikern und Herstellern sei nötig.
Die Automatisierung hat die Eisenbahn längst erreicht: Bei Siemens verweist man auf Beispiele aus Großbritannien oder bei der Kopenhagener S-Bahn, wo Automatic Train Operation (ATO) bereits zur Anwendung kommt. Die Digitalisierung schaffe da 40 Prozent mehr Kapazität. Siemens lud die Branche ein, gemeinsam offene Schnittstellen zu benützen, statt jeweils nur firmeneigene Lösungen anzubieten.
Künstliche Intelligenz (KI) und Ingenieurs-Know-how müssten verbunden werden, forderte auch die DB-Vorständin für Digitalisierung und Technik, Daniela Gerd tom Markotten. „KI kann dann ihre Kraft entfalten, wenn die Datenbasis gut ist. Das ist aber derzeit das Problem“, sagte sie. „Daten nicht mehr zu teilen, das ist nicht mehr die Zeit.“
Schon jetzt würden die S-Bahnen in Stuttgart, München und Frankfurt durch KI unterstützt. „490.000 Verspätungsminuten können in diesem Jahr dadurch eingespart werden“, sagte Gerd tom Markotten. „In ersten Tests auf Mischstrecken konnten die Vorhersagen sogar übertroffen werden.“ Hinzu komme die automatisierte Instandhaltung und Digitalisierung, die der Bahn einen Schub geben werde.
KI soll Reparaturen voraussagen
Eine Verhaltensänderung in der Branche beschwor auch der Chefbeschaffer der DB, Jan Grothe: „Wir werden den Beitrag zur Klimawende nur dann hinbekommen, wenn wir vernetzter und flexibler vorangehen.“
„Digitalisierung und Automatisierung werden für die Bahn eine große Rolle spielen“, prophezeite der Technikchef des schwedischen Technologieunternehmens Hexagon mit 24.000 Mitarbeitern, Burkhard Böckem. Es bietet Lösungen mittels digitaler Zwillinge an. Diese virtuellen Abbildungen der Realität sind permanent durch ein Feedback-Loop mit der tatsächlichen Welt verbunden.
Bereits in der Planungsphase können Szenarien mittels eines solchen Zwillings visualisiert werden. Vorteil für die Bahn: Auswirkungen auf die Kapazität oder Kapazitätserhöhungen sowie Auswirkungen einer neuen Bahnlinie auf das ganze System lassen sich damit abbilden. Störungen werden vorhersagbar.
„Der nächste Schritt ist Predictive Maintenance, dafür ist KI hilfreich“, sagte Böckem. Fahrzeuge müssen nicht mehr nach einem bestimmten Zeit- oder Kilometerablauf oder gar einem Schaden in die Werkstatt, sondern wenn es mit künstlicher Intelligenz errechnet vorhergesagt wird. Zudem plant die Deutsche Bahn, bis 2030 zehn Prozent der Ersatzteile auf eigenen 3D-Druckern zu erzeugen. Auch das verkürzt Werkstatt-Aufenthalte und erspart das Warten in der Lieferkette.
Einige der Ideen für die Bahn von morgen kommen aus der DB mindbox. Sie stellt die Verbindung zwischen dem Konzern und Start-ups her. Einige von deren Ideen wurden während des Railway Forums präsentiert. So simuliert etwa Building Information Innovator einen gesamten Prozess, bevor zu bauen begonnen wird. Das spart zum einen Zeit, zum anderen lassen sich Prozesse standardisieren, sodass man für ähnliche Bauprojekte die Lösung gleichsam mittels Copy-and-paste anbieten kann.
Gestalt Robotic ist ein Service- und Technologieanbieter, der mit intelligenter Robotik und KI arbeitet. So werden etwa Schienenfahrzeuge bei Einfahrt in die Werkstatt-Halle mittels 360-Grad-Scan mit 32 Kameras gecheckt. Aus der Vielzahl an Aufnahmen werden Anweisungen an die Arbeitenden errechnet. Die neue Technologie wird von der DB bereits an fünf Standorten eingesetzt. Damit können Engpässe vermieden und die Generationenlücke im Unternehmen abgedeckt werden. „Heute haben wir innerhalb von wenigen Minuten Informationen, für die wir früher Stunden brauchten, wenn die Kamera die Außenhaut der Fahrzeuge abtastet“, sagt DB-Vorständin Daniela Gerd tom Markotten.
CI4 Rail hat eine Digitalisierung für bestehende Flotten zur Umsatzsteigerung oder Kostenreduktion erarbeitet. Die Digitalisierung von Personaldisposition hat sich aufgrund des Fachkräftemangels Menio79 vorgenommen. „Wilson“ heißt das Portal, das Planer und Disponenten unterstützt, um das Personal optimal einzusetzen.