Kurz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes trafen sich Vertreter der Politik und der Bahn-Branche in Berlin. Am Beginn der massiven Veränderungen bei der Deutschen Bahn will die Politik keine Skepsis aufkommen lassen.
Der Abend in Berlin hätte nicht aktueller, aber auch nicht ungünstiger fallen können: „Töpfe, Fonds, InfraGO – wie sichern wir hohe Schieneninvestitionen langfristig ab“ lautete das Thema der Veranstaltung. Sie war von der Parlamentsgruppe Schienenverkehr im Deutschen Bundestag organisiert worden. Nur wenige Stunden zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Etat-Änderung 2021 der deutschen Bundesregierung für verfassungswidrig erklärt. Das Füllhorn, das viele bereits über der Eisenbahn ausgeschüttet sahen, präsentierte sich mit einem Mal als leer. 60 Milliarden Euro, ursprünglich Corona-Kredite, schienen sich in Luft aufzulösen.
So recht konnte an jenem Abend deshalb auch noch niemand sagen, wie es mit den ehrgeizigen Plänen für den Ausbau der Schiene weitergehen werde. „Das Urteil hat uns ja umgehauen“, sagte die Staatssekretärin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Susanne Henckel, zu Beginn ihrer Rede, blieb aber dann doch bei dem schon vor dem Urteil erstellten Rede-Manuskript.
„Das Urteil hat uns umgehauen“
Davor hatte alles noch rosig für die Bahn ausgesehen. 40 Milliarden Euro sind für die Zeit zwischen 2024 bis 2027 für die Infrastruktur der Schiene vorgesehen. Henckel zeigte sich zuversichtlich, dass es dabei bleiben werde, da die Mittel aus dem Bundeshaushalt und der Straßenmaut kämen. „Allen im Raum ist klar, dass eine Stärkung der Schiene nur mit massivem Investitionshochlauf bei der Infrastruktur möglich ist“, sagte sie bei der Veranstaltung.
Statt einer Vielzahl von Fördertöpfen solle es in Zukunft zentrale Finanzierungstöpfe geben, um Reibungsverluste zu vermeiden, sagte Henckel. Ein wesentlicher Baustein der Bahn der Zukunft sei die Schaffung der gemeinwohlorientierten InfraGO im nächsten Jahr. „Das ist nicht nur in Umsetzung des Koalitionsvertrags, sondern auch ein Versprechen an die Branche für mehr Transparenz und Wettbewerb“, sagte die Staatssekretärin.
Doch gerade die Branche zeigte sich angesichts des Urteils aus Karlsruhe alarmiert: „Als Industrie brauchen wir Planungssicherheit“, sagte Müslüm Yakisan, Präsident der DACH-Region beim französischen Bahnhersteller Alstom, und deutete an, dass man sich überlegen werde, andere Märkte mit größerer Planungssicherheit Deutschland vorzuziehen. „Diese Diskussion haben wir im Unternehmen und ich muss mich jetzt in Paris erklären, was hier in Deutschland geplant ist“, sagte er.
Man wolle in der Bahnindustrie die Intelligentesten und Besten gewinnen, so Yakisan, aber: „Ich befürchte, dass uns die Menschen in andere Industrien und Länder abwandern werden.“ Staatssekretärin Henckel versuchte zu beruhigen: Nächstes Jahr geht es los mit der Sanierung kompletter Streckenabschnitte der Deutschen Bahn. Erstes Projekt ist die Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim. Dieses Vorhaben sei „eingetaktet und vorfinanziert“. Für das Verkehrsministerium sei es wichtig, „eine nachhaltige Finanzierung auf die Beine zu stellen“, versicherte Henckel.
Sie räumte ein, dass es etwa bei der Erneuerung von Bahnhöfen in der Vergangenheit viel Auf und Ab gegeben habe. Man habe „Gutes vorgehabt“, dann aber hätten die Mittel nicht rechtzeitig abfließen können, weshalb neue Sonderprogramme geschaffen werden mussten. „Wir müssen systemischer werden“, resümierte die Staatssekretärin.
Bei Bahndiskussionen wird gerne ein Vertreter der Schweiz eingeladen, gilt doch das Alpenland im Süden als Vorzeigemodell, was den Eisenbahnverkehr betrifft. Dann nehmen die Vertreter aus dem Nachbarland die Rolle des Vernünftigen und Logischen ein und ernten für einfache und geerdete Feststellungen vom deutschen Publikum, das von der heimischen Kompliziertheit genervt ist, begeisterten Applaus.

Der Direktor des Bundesamts für Verkehr, Peter Flüglistaler, wurde dieser Aufgabe vollkommen gerecht, als er für die Einrichtung eines Fonds plädierte. „Wollen Sie die Probleme, die die Bahn kreiert, in Ihrem Bundeshaushalt?“, fragte er. Der Haushalt sei in der Schweiz in Schieflage geraten, weshalb „aus der Not heraus“ ein solcher Fonds geschaffen wurde. „Es ist ein Irrglaube, man könne mit dem Budget führen. Die Bahn muss mit dem, was in dem Fonds ist, wirtschaften“, sagte Flüglistaler.
Ein Fonds nehme das Problem aus dem Bundeshaushalt. Mit ihm würde sich die Finanzierungsproblematik vermeiden lassen: „Wenn er gut gefüllt ist, haben Sie kein Problem“, sagte Flüglistaler. Und dann eine charakteristisch Schweizerische Sicht: „Es ist das Parlament, das entscheidet, nicht die Bahn.“ Und noch ein Schweizer Ratschlag: Stetig und kontinuierlich an den Projekten arbeiten und nicht plötzlich loslegen, nur weil es gerade ein paar Milliarden Euro mehr gebe.
Für Susanne Henckel bedeutete der Infrastrukturplan die Möglichkeit zur Steuerung in Form einer Kombination aus Branchen und Parlament. „Unser Instrument ist die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Sie soll mit Kritik und Kontrolle angepasst werden.“
Da war aber schon wieder Peter Flüglistaler zur Stelle. „Wieso muss der Staat kontrollieren, dass die Infrastruktur effizient arbeitet?“, fragte er. „Man muss Vorgaben setzen. Der Manager macht seinen Job wie jeder andere, das ist doch das Normalste.“ Tue er das nicht, werde er entlassen.
Kontroverse Diskussionen um die Zukunft der Bahn
Eine marktliberale Position vertrat der Vizepräsident des Bundesrechnungshofs, Christian Ahrendt. Er schlug vor, die Eisenbahn-Infrastruktur zu einer Art Straßenmaut AG auf Schienen zu machen. „Wir brauchen eine vernünftige Daseinsvorsorge, das ist die Infrastruktur, und darauf findet Wettbewerb statt“, sagte er. Wer das günstigste Angebot stelle, werde mit vollen Zügen belohnt.
Dem widersprach der Gast aus der Schweiz: Auf der Schiene laufe auch der Nahverkehr, der subventioniert würde. „Solche Ideen sind schön, es ist aber die Frage, ob das in der Realität funktioniert“, sagte Flüglistaler.
Ahrendt wollte die Politik aber nicht aus der Verantwortung entlassen: „Der Bund ist seit 1994 Alleineigentümer. Er nimmt seine Aufgaben nicht wahr. Das hätte er seit 1994 machen können“, sagte der Rechnungshof-Vizepräsident. Man habe zwar jetzt „richtige Pflöcke eingeschlagen“, aber es müsse die Kernentscheidung getroffen werden, welche Bahn man wolle. „Es stellt sich die Frage, ob man ein international tätiges Logistikunternehmen wie Schenker verkaufen soll, wenn man Verkehr akquirieren will.“
Als die Rede auf gemeinsame staatlich-private Projekte kam, wandte der Direktor des Schweizer Bundesamtes für Verkehr ein: „Erst wird die Schuldenbremse hochgehoben, dann aber für ein PPP-Modell gesprochen, wo dem Staat rückverrechnet wird. Wo ist da der Vorteil?“
Staatssekretärin Henckel blieb darauf bedacht, keine weiteren Zweifel an Deutschlands Verlässlichkeit aufkommen zu lassen. „Wir müssen analog zu Österreich und der Schweiz, wo es ein rollierendes Verfahren gibt, ein klares Signal an die Verlader fünf Jahre im Voraus geben.“
Müslüm Yakisan von Alstom machte sich für Rahmenverträge stark: „Wir als Industrie können sicherstellen, dass Abrufe getätigt werden“, sagte er. „Uns gibt das Sicherheit, weil wir für die nächsten Jahre Ressourcen vorhalten können. Nicht alle sind Siemens, Stadler oder Alstom, sondern mittelständische Unternehmen, die Planungssicherheit brauchen.“ Die Deutsche Bahn würde aus so einem Vertrag bestimmte Leistungen abrufen. „Meine Aufgabe ist das Commitment, dass wir die Aufgabe erfüllen können“, versprach Yakisan.
Und die Parlamentarier an diesem parlamentarischen Abend? Udo Schiefner, Abgeordneter der SPD, verlangte nachdrücklich, die Sanierung der Bahn dürfe durch das Urteil in Karlsruhe nicht gefährdet werden. Valentin Abel von der FDP blieb zuversichtlich: Es gebe gute Argumente für die Schiene, auch wenn man nun priorisieren müsse.
Und so endete der Abend über die Finanzierung der Eisenbahn trotz des Urteils aus Karlsruhe optimistisch: „Die Entscheidung wird uns nicht abhalten, auf diesem Kurs weiterzumachen“, sagte Staatssekretärin Henckel. Und Alstom-Vertreter Yakisan meinte sogar: „Deutschland wird in den nächsten Jahren der interessante Eisenbahnmarkt der Welt. Das sollte sich durch die heutige Entscheidung nicht ändern.“