Die Schifffahrt reagiert auf den Klimawandel. Bei der Umstellung auf alternative Antriebe herrschen große Ambitionen. Die Kosten jedoch sind immens, die Skepsis noch groß.
Michael Kowitz hat einen der begehrtesten Jobs in der Schifffahrt. Er steuert als Kapitän das größte Schiff, das je unter deutscher Flagge die Weltmeere durchpflügt hat. Die nagelneue „Berlin Express“ – erst vor wenigen Wochen im Hamburger Hafen von Präsidentengattin Elke Büdenbender getauft – fährt im Liniendienst regelmäßig zwischen Asien und Europa hin und her. Mit einer Länge von 400 Metern und einer Breite von 61 Metern ist die „Berlin Express“ einer der dicksten Container-Pötte der Welt. Fast 24.000 Container kann er huckepack nehmen.
„Es ist jedes Mal ein gutes Gefühl, wenn es dann geschafft ist,“ sagt Kowitz, der das riesige Schiff auf seiner wochenlangen Fahrt bei jedem Wind und Wetter durch felsige Strecken, schmale Hafeneinfahrten und enge Routen wie den Suezkanal navigieren muss. „Das fordert unglaublich viel Konzentration.“
Käpt’n Kowitz kennt sein Riesenschiff wie aus dem Effeff. Schon beim Bau der „Berlin Express“ in der südkoreanischen Werft Hanwha Ocean war er als Bauaufseher für die Reederei Hapag-Lloyd zugegen. Deshalb kennt sich der Mann, der in der ehemaligen DDR bei der Deutschen See Reederei (DSR) in Rostock angefangen hat, bestens mit dem Ozeangiganten aus. Dazu gehört der tief im Bauch eingebaute Motor, den ein sogenannter Dual-Fuel-Antrieb in Bewegung hält. Das heißt, dass die „Berlin Express“ jederzeit wahlweise mit herkömmlichem Schweröl oder mit Flüssigerdgas angetrieben werden kann.
Damit erfüllt die „Berlin Express“, die noch fünf Schwesterschiffe bekommt, international vereinbarte Umwelt- und Klimastandards. Die internationale Schifffahrt, die 90 Prozent des weltweiten Warenhandels abwickelt, ist mit über einer Milliarde Tonnen Treibhausgas verantwortlich für drei Prozent der weltweiten Treib hausgas-Emissionen. Wäre die Seefahrt ein Staat, stünde sie vor Deutschland auf Platz sechs aller CO2-Emittenten.
Treibhausgase bis 2050 reduzieren
Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) der Vereinten Nationen hat festgelegt: Die weltweite Schifffahrt soll die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 auf null reduzieren. Alle Emissionsquellen sollen entweder abgeschafft oder durch Abscheidungstechnik ausgeglichen werden. Das bedeutet, dass sich die Seefahrtbranche rund um den Globus intensiv mit dem Thema „alternative Treibstoffe“ beschäftigen muss.
Große Ziele hat Hapag-Lloyd-Vorstandschef Rolf Eric Habben Jansen. Sein Ziel ist es, den führenden deutschen Reedereikonzern bis 2045 klimaneutral zu machen. „Doch es liegt noch eine längere Wegstrecke vor uns,“ erklärt Habben Jansen, der eine Flotte von 252 Containerfrachtern kommandiert.
Auch anderswo in der Welt denken Reeder längst über die Umstellung auf LNG-Treibstoff nach. Vorreiter war das in Marseille beheimatete Schifffahrts- und Logistikunternehmen CMA CGM. Ihr Megamax-Containerschiff „CMA CGM Jacques Saadé“ ging bereits 2020 mit einem Tank auf Fahrt, der hinter vier Isolationsschichten – darunter ein Gehäuse aus rostfreiem Edelstahl – rund 18.600 Kubikmeter verflüssigtes Erdgases bunkern konnte. Diese Menge reicht für zwei Monate.
LNG besteht zu rund 98 Prozent aus Methan, ist farblos und ungiftig. Hergestellt wird es durch das Herabkühlen von Erdgas auf minus 164 Grad Celsius. Dadurch wird das Volumen um das 600-fache verringert.
Probleme mit dem LNG-Preis
Doch die Umstellung auf LNG ist nicht einfach, weil es ein Versorgungs- und Preisproblem gibt. Auch als Folge des Ukraine-Krieges hat sein Preis in den vergangenen eineinhalb Jahren kräftig angezogen. Bis zum Einmarsch Russlands in das Nachbarland kam LNG zu einem nicht unerheblichen Teil aus Russland. Westliche Sanktionen und Pipeline-Schließungen haben die Verfügbarkeit verknappt und die Kosten in die Höhe getrieben.
Zudem gibt es derzeit noch keine flächendeckende Versorgungsinfrastruktur. Längst nicht jeder Hafen hat eine LNG-Tankstelle. Das ist auch der Grund, warum der schweizerische Betreiber MSC Cruises zwar laut Eigenwerbung den Anspruch hat, die „technologisch fortschrittlichsten Kreuzfahrtschiffe der Welt“ fahren zu lassen, aber sein einziges LNG-Schiff, die „World Europa“, mit Marinediesel auf die Reise schickt. Im Zielgebiet Naher Osten sei LNG schlicht nicht zu haben, teilt MSC mit. Als erstes LNG-Kreuzfahrtschiff der Welt fährt seit 2018 bei Aida Cruises (Rostock), die „Aidanova“. „Wir werden diesen Weg der kontinuierlichen Weiterentwicklung konsequent weitergehen“, verspricht Aida-Chef Felix Eichhorn.
Bei Hapag-Lloyd in Hamburg blickt man angesichts der LNG-Probleme parallel auf andere schadstoffarme Treibstoffe. Dazu gehören der synthetische Industriealkohol Methanol, die gasförmige Verbindung Ammoniak oder sogar die Windkraft. Für letztere entwickeln innovative Firmen seit längerem Segel- und Rotorlösungen. Sie sind aber nur für kleinere Einheiten der Massengut- und Kreuzschifffahrt geeignet. Die Zukunftstreibstoffe Ammoniak und Methanol haben auch noch Tücken. „Ammoniak beispielsweise ist hochgiftig“, betonte Habben Jansen kürzlich in einem Interview. Eine Reederei müsse unbedingt das hohe Schutzbedürfnis der Besatzung im Auge behalten. Unfälle könnten an Bord dramatische Folgen haben.
Das Familienunternehmen Maersk aus Dänemark, das die zweitgrößte Handelsflotte der Welt dirigiert, beschäftigt sich indessen intensiv mit Methanol. So laden der Schifffahrtskoloss aus Kopenhagen und der US-Einzelhandelsgigant Amazon künftig gemeinsam eine größere Anzahl Container nur noch auf Fahrzeuge, die grünes Methanol in den Tank packen. Damit wollen sie jährlich eine Reduzierung von 44.600 Tonnen CO2-Äquivalenten erreichen. Gemeinsam gehören die beiden Weltfirmen zum sogenannten Climate Pledge, einem Bündnis von mehr als 400 Unternehmen in 38 Ländern, die bis 2040 Netto-null-Emissionen erreichen wollen.
Als Methanol-Pionierobjekt gilt das Schiff „Laura Mærsk“. Das 172 Meter lange Containerschiff ist das weltweit erste Schiff, das in der Praxis mit diesem Treibstoff fährt. Er wird aus organischen Abfällen von Mülldeponien gewonnen.
Maersk will Flotte umstellen
Die „Laura Mærsk“ fährt seit September über die Ostsee. Obwohl sie kein Gigant ist, fiel ihre Taufe riesig aus: Niemand Geringeres als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Taufpatin schmetterte die Champagnerflasche im Hafen von Kopenhagen gegen den Bug. „Dieses Ereignis ist ein Big Deal – nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt,“ schwärmte von der Leyen. Mærsk-Klimachef Morten Bo Christiansen fügte stolz hinzu: „Das Schiff zeigt, dass es geht; es ist uns gelungen, den Treibstoff zu beschaffen und das Schiff zu bauen.“ Mærsk hat 24 weitere Schiffe dieses Typs bestellt und will Schritt für Schritt die gesamte Flotte umstellen.
Die euphorischen Reden über den grünen Wandel der Schifffahrt machen die Herausforderungen beim Thema Nachhaltigkeit nicht kleiner. Der Klimaschutz auf See kann die Schiffsbetreiber bis 2050 rund 28 Milliarden US-Dollar kosten – pro Jahr. Das hat die Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) berechnet. Nicht kalkuliert sind Investitionen an Land für die weltweite Versorgung mit alternativen Brennstoffen. Um das zu wuppen, schlägt die UNCTAD einen Regelungsrahmen vor, der für alle Schiffe gilt. Eile tue not, weil die globale Flotte überaltert sei.
Unterdessen denkt die Branche darüber nach, ob sie Riesenfrachter wie die „Berlin Express“ überhaupt noch braucht. Nach Jahren des „Immer-größer-immer-höher“ ist Nachdenklichkeit in die Chefetagen des Schiffsbusiness eingezogen. Experten sagen, die Schifffahrt habe die Grenze erreicht, wo sich Mega-Schiffe noch wirtschaftlich und effizient betreiben ließen, denn der Welthandel wachse nicht mehr so stark. Deshalb gehe der Trend zu kleineren Einheiten mit rund 17.000 Containern. Selbst Mærsk-Vorstandschef Sören Skou sagt: „Es ist ein bisschen wie in der Luftfahrt. Der A380 ist ja auch zu groß.“
Trotz aller Bedenken: Der Arbeitsplatz von Kapitän Kowitz auf der „Berlin Express“ ist erst einmal auf Jahre hinaus gesichert. „Ich möchte Kapitän sein – das und nichts anderes,“ verrät der Schiffsführer des deutschen Rekordfrachters. „Ein klassischer Bürojob ist einfach nichts für mich.“