„Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Wanderung. Kinostart der Buchverfilmung war am 26. Oktober.

Manchmal gibt es Dinge, die man einfach tun muss. Auch wenn andere Menschen erst einmal verständnislos den Kopf schütteln. Das Leben von Harold Fry (Jim Broadbent) verläuft in geregelten Bahnen. Gemeinsam mit seiner Frau Maureen (Penelope Wilton) bewohnt der Rentner ein Haus in Kingsbridge im Südwesten Großbritanniens. Dass die beiden sich längst auseinandergelebt haben, ist offensichtlich. Dass sich daran etwas ändern könnte, ist unwahrscheinlich. Der Alltag ist langweilig und von Routine geprägt. Bis ein Brief aus Berwick-upon-Tweed eintrifft, der nördlichsten Stadt Englands, gleich an der Grenze zu Schottland. Darin informiert eine Frau namens Queenie (Linda Bassett) Harold darüber, dass sie Krebs hat, in einem Hospiz lebt und vermutlich bald sterben wird. Es ist ein Abschiedsbrief, gar keine Frage.
Und der Alltag geht immer weiter

„Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der eine alte Schuld begleichen will – und dabei zu sich selbst findet. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch der britischen Autorin Rachel Joyce, die auch das Drehbuch für den Film geschrieben hat. Unter Regie von Hettie Macdonald ist ein ruhiger, einfühlsamer Film entstanden, der eine bewegende Geschichte erzählt. Er lässt dem Zuschauer die Zeit, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren und ihre anfangs undurchsichtigen Motive zu ergründen. Unterstützt wird die Stimmung des Films durch die Bilder der Landschaften, durch die Harold sich bewegt. So spiegelt sich die Entwicklung der Figur in der sie umgebenden Natur und Zivilisation.
Zunächst einmal ist sich Harold nicht sicher, wie er reagieren soll. Jahrzehntelang hat er keinen Kontakt zu Queenie, einer ehemaligen Kollegin, gehabt. Er will ihr antworten, aber findet nicht die richtigen Worte. Und unterdessen geht der Alltag weiter. Just bei einer ganz alltäglichen Verrichtung – er geht Milch einkaufen – trifft Harold eine folgenschwere Entscheidung. Inspiriert von der Verkäuferin beschließt er, zu Fuß die rund 730 Kilometer lange Strecke zu Queenie nach Berwick-upon-Tweed zu gehen. Er ruft im Hospiz an und hinterlässt eine kurze Nachricht für sie: Sie solle am Leben bleiben, er komme. Und dann geht er los, so wie er einkaufen gegangen ist: in Hemd, Krawatte und mit darübergezogenem Pullover, mit eigentlich zum Wandern völlig ungeeigneten Schuhen.

Der Film lässt den Zuschauer über lange Zeit hinweg im Unklaren darüber, was Harold und Queenie so stark verbindet, dass er sich auf den Weg zu ihr macht. Dass es keine alte Liebesbeziehung ist, wird allerdings sehr schnell klar. Und im Laufe der Wanderung erfahren wir mehr und mehr über Harolds Leben, über bittere Erlebnisse, die er machen musste – und allmählich auch über den Grund, der ihn nicht hat ruhen lassen.
Mit Jim Broadbent und Penelope Wilton ist „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ hochkarätig besetzt. Jim Broadbent dürften viele wegen seiner Rolle als Horace Slughorn in den Harry-Potter-Filmen kennen. Er hat aber etwa auch in den Terry-Gilliam-Filmen „Time Bandits“ (1981) und „Brazil“ (1985) mitgespielt. Zu sehen war er in „Iris“ (2001) – dieser Film brachte ihm den Oscar als bester Nebendarsteller ein – und „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ (2008), um nur einige seiner zahlreichen Filme zu nennen.
Von Rentnern wird nicht mehr viel erwartet

Penelope Wilton war schon in dem 1986er Film „Clockwise – Recht so, Mr. Stimpson“ zu sehen, in dem 2003er Film „Calender Girls“, in Wes Andersons „Best Exotic Marigold Hotel“ (2011) und in einer ganzen Reihe weiterer Kinofilme und Fernsehserien.
Unsere Gesellschaft – und wohl auch die in Großbritannien – erwartet normalerweise von einem Rentner nicht mehr viel. Umso mehr Bewunderung kann es daher hervorrufen, wenn jemand in diesem Alter den Mut entwickelt, etwas Neues zu wagen und sein Leben noch einmal komplett umzukrempeln.
So kommt es dazu, dass Harold sich unversehens in den Medien wiederfindet. Und dort zum Vorbild für viele wird. Auf einmal hat er Begleiter auf seiner Wanderung. Doch das ist nicht unbedingt ein Vorteil, ist es doch ein ganz persönlicher Grund, der ihn dazu bewegt hat, sich auf die Reise zu begeben.