„The Holdovers“ erzählt die Geschichte eines Lehrers und Schülers, die die Weihnachtstage des Jahres 1970 zusammen verbringen müssen. Ab dem 25. Januar im Kino.
Die meisten von uns dürften sich an Lehrer erinnern, die sie als hart, vielleicht sogar als gemein erlebt haben. Und viele auch an Mitschüler, die nicht so richtig Fuß fassen konnten und öfter die Schule gewechselt haben. In dem unter Regie von Alexander Payne entstandenen Film „The Holdovers“ treffen zwei solche Figuren aufeinander. Es ist ein in vielerlei Hinsicht herausragender Film; mit Sicherheit aber einer der interessantesten Filme, die zurzeit im Kino laufen.
Herausragend und sehenswert
1970, kurz vor Weihnachten. Wir sind in den altehrwürdigen Räumen der Barton Academy, eines Jungeninternats in der Region Neuengland in den USA. Hier schickt die wohlhabende Oberschicht ihren Nachwuchs hin. Der bekommt eine zumindest in den Augen von Eltern und Lehrern gute, aber auch harte Erziehung. Am letzten Unterrichtstag vor Weihnachten sind die meisten Schüler gedanklich bereits in den Ferien. Geschichtslehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) teilt in der Abschlussklasse die Ergebnisse einer Klassenarbeit aus. Sie ist verheerend ausgefallen – und entsprechend lange Gesichter machen seine Schüler, die gute Noten brauchen, um aufs College zu gehen. Auf ihren Protest hin bietet er ihnen eine zusätzliche Prüfung an: mit neuem Stoff, direkt nach den Weihnachtsferien. Die Stimmung ist nicht gerade gut.
Der Film schafft es äußerst geschickt, die Atmosphäre der frühen 1970er-Jahre zu vermitteln. Es sind die Frisuren, die Kleidung, die Ausstattung – kurzum die vielen kleinen Details, die den Film in der Summe dieser Zeit zuordnen. Die Bewegungen der Charaktere und ihre Sprache verstärken das Gefühl noch, dazu kommen die Farben und eher harten Kontraste der Bilder, die an klassischen 35-Millimeter-Film aus der Zeit erinnern.
Paul selbst wird die Weihnachtszeit in der Schule verbringen, eine andere Wohnung hat er nicht. Er freut sich schon darauf, in Ruhe lesen zu können. Doch in letzter Minute vor den Ferien erklärt ihm der Direktor, dass er in der Zeit auf einige Schüler achtgeben muss, die über Weihnachten nicht nach Hause fahren können. Paul ist nicht gerade begeistert und beschließt ein strammes Lern- und Fitnessprogramm für die in der Schule Gebliebenen. Auf den ersten Blick mag der Eindruck entstehen, „The Holdovers“ sei ein Weihnachtsfilm. Aber genau das ist er nicht, zumindest nicht im klassischen Sinn. Alexander Payne nutzt vielmehr die Atmosphäre dieser Zeit, um die Charaktere an einen abgeschiedenen Ort zu bringen, weit weg von den üblichen Weihnachtsritualen. An einen Ort, wo zu dieser Zeit eigentlich niemand sein sollte. Es ist gerade diese Leere eines sonst stark bevölkerten Orts, die eine etwas unwirkliche Atmosphäre entstehen lässt. Die es den Charakteren erlaubt, Regeln zu übertreten. Und in Bereiche vorzudringen, die sonst unerreichbar sind.
Film über Sehnsüchte und Verständnis
Regeln übertreten hat der 15 Jahre alte Schüler Angus Tully (Dominic Sessa) schon oft – und in der Folge schon mehrfach die Schule gewechselt. Kurz vor seiner Abreise in die Weihnachtsferien erreicht ihn eine Nachricht von seiner Mutter: Sie will ihn im Urlaub mit ihrem neuen Ehemann, den sie vor kurzem geheiratet hat, nicht dabeihaben. So muss Angus sich der Gruppe in der Schule anschließen.
Zunächst bleibt den fünf Schülern nichts anderes übrig, als sich dem Regiment von Paul zu unterwerfen. Der selbst ist von seiner Aufgabe allerdings auch nicht gerade begeistert und tröstet sich mit Schnaps, den er heimlich trinkt, darüber hinweg. Als dann unerwartet der reiche Vater eines der Jungen an der Schule auftaucht und sich bereiterklärt, die ganze Gruppe mit in den Skiurlaub zu nehmen, ist das Paul nur recht. Per Telefon bekommt er tatsächlich von den Eltern nahezu aller Schüler die Einwilligung dazu. Nur Angus’ Mutter kann er nicht erreichen. Und so muss Angus gemeinsam mit Paul in der Schule bleiben. Gesellschaft haben sie von der Köchin Mary Lamb (Da’Vine Joy Randolph), die um ihren Sohn trauert, der kurze Zeit zuvor im Vietnamkrieg gefallen ist.
Während die drei in der Schule Verbliebenen die Wiederholungen von Fernsehshows gucken, werden innere Abgründe offenbar. Mary hat den Verlust ihres Sohns überhaupt noch nicht verarbeitet, Paul hatte eigentlich ganz andere Pläne im Leben, als Lehrer zu werden. Und auch Angus hütet ein Geheimnis. In der surrealen Atmosphäre entsteht ein Plan, der das Leben der Beteiligten maßgeblich verändern wird.
„The Holdovers“ ist ein Film über große Lügen und unerfüllte Sehnsüchte. Er zeigt zwei Charaktere, die mit sich selbst ins Reine kommen müssen. Sie durchlaufen in den Tagen eine Entwicklung, die sie reifer werden lässt. Dass diese Entwicklung für den Zuschauer sichtbar wird, ist eine große schauspielerische Leistung von Paul Giamatti und Dominic Sessa, dessen Filmdebüt „The Holdovers“ ist. Es ist eine Entwicklung, in der die Figuren Verständnis füreinander entwickeln – und bei der mit der Zeit so etwas wie Freundschaft entsteht.