Forscher der kalifornischen Stanford-Universität haben einen Bluttest entwickelt, mit dem sich das biologische Alter einzelner Organe ermitteln lässt. Dadurch könnte Menschen mit einem erhöhten Krankheits- und Sterberisiko frühzeitig geholfen werden.
Schon der römische Philosoph Cicero hatte auf das urmenschliche Dilemma hingewiesen, das vom französischen Schriftsteller Victor Hugo knapp 2.000 Jahre später mit einem berühmten Zitat auf den Punkt gebracht werden sollte: „Jeder will alt werden, doch niemand will alt sein.“ Nicht zuletzt deshalb, weil sich in fortgeschrittenen Lebensjahren verschiedenste Krankheiten, Wehwehchen oder die körperliche Beweglichkeit sowie die Gehirnleistung einschränkende Begleiterscheinungen einstellen können. Dabei ist längst bekannt, dass nicht alle Menschen gleich gut beziehungsweise gleich schnell altern. Denn es gibt Erdenbürger, die deutlich jünger oder auch älter aussehen, als es ihr kalendarisches oder chronologisches Alter – das ab dem Geburtsdatum berechnet wird – eigentlich erwarten lassen würde. In der Medizin wie auch im Alltagsgebrauch wird daher zwischen dem chronologischen und dem biologischen Alter unterschieden. Letzteres wird auch schonmal als „metabolisches Alter“ bezeichnet und ist zumindest teilweise durch eigenes Verhalten und persönlichen Lebensstil beeinflussbar. Dabei wird der Zustand des Körpers auf Basis von Faktoren wie der Beschaffenheit der Moleküle, Zellen, Blutgefäße, des Gewebes oder des Stoffwechsels berücksichtigt. Das spiegelt sich auch in der wohlbekannten Lebensweisheit wider: „Man ist so alt, wie man sich fühlt.“
Alterungsprozess in drei Schüben
Allerdings scheint das biologische Altern keineswegs schleichend zu verlaufen, wie in der medizinischen Forschung lange angenommen wurde. Dazu hatten Forscher der US-Universität Stanford unter Leitung des gebürtigen Schweizers Professor Tony Wyss-Coray von der Abteilung Neurologie und Neurologische Wissenschaften in einer vor einigen Jahren im Fachmagazin „Nature Medicine“ veröffentlichten Studie herausgefunden, dass der Prozess sprunghaft in drei wesentlichen Schüben erfolgt: nämlich im vierten, siebten und achten Lebensjahrzehnt. Während dieser drei Lebensphasen sollen enorme Umwälzungen im Körper ablaufen, was an der erheblichen Veränderung der Proteine im Blutplasma abgelesen werden könne. Diese Alterungssprünge des Körpers könnten sich durchaus auf die Entstehung von Krankheiten auswirken. „Wir konnten bei den Probanden wellenförmige Veränderungen bei bestimmten Proteinen feststellen. Diese gipfelten in drei Wellen des Alterns“, so die Forscher. Während die im Blut enthaltenen Eiweißarten über die Jahrzehnte hinweg weitgehend konstant geblieben waren, konnten die Wissenschaftler um das 34., das 60. und das 78. Lebensjahr große Schwankungen auf der Protein-Ebene ermitteln. Wie genau die Proteine oder die Zusammensetzung des Blutes den Alterungsprozess beeinflussen, konnten die US-Wissenschaftler allerdings nicht klären. Allerdings hielten sie es für möglich, künftig ganz gezielt bestimmte Proteine im Blut zu untersuchen, um dadurch womöglich altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer oder Herz-Kreislauf-Beschwerden früher erkennen zu können. Eine auffällige Entdeckung der Studie war zudem, dass sich Probanden, deren Alter aufgrund der Proteinkonzentration im Blut deutlich geringer eingeschätzt werden konnte als ihr chronologisches Alter, eines ungewöhnlich guten Gesundheitszustandes erfreuten.
Zur Berechnung des biologischen Alters gibt es inzwischen verschiedenste Verfahren. Selbst im Internet werden längst einfache Tests auf Basis von Größe und Gewicht, Bauchumfang, Blutdruckwerten oder aktuellen Laborwerten bezüglich Cholesterin und Blutzuckerspiegel angeboten. Letztendlich erhält man damit aber nur eine einzelne Zahl, die einen gegebenenfalls dazu veranlassen kann, zur Senkung des biologischen Alters seinen Lebensstil zu überdenken. Was allerdings nichts daran ändern kann, dass sich im Laufe des Alterungsprozesses nicht nur die Struktur unseres Gewebes verwandelt, sondern auch die Funktionstüchtigkeit unserer Organe abnimmt, wodurch das Risiko für chronische Krankheiten erhöht wird. In Tierstudien konnte schon nachgewiesen werden, dass das biologische Alter der einzelnen Organe teils erheblich voneinander abweichen kann. Ob es diese organischen Alterungsunterschiede auch beim Menschen gibt, war bislang nicht bewiesen, zumal das Alter menschlicher Organe bisher nur durch aufwendige Gewebeproben bestimmt werden konnte.
Untersuchung auf elf Organe beschränkt
Das Phänomen, dass die Menschen ab einem gewissen Alter unterschiedlich funktionstüchtige Organe in sich tragen könnten, was früher oder später den Ausbruch einer spezifischen Krankheit zur Folge haben kann, hat das Stanford-Team um Professor Tony Wyss-Coray, der sich schon lange als Spezialist zum Thema Alterungsprozess profiliert hat, zu einer neuen, im Fachmagazin „Nature“ publizierten Studie angeregt. Dabei spielten wieder die Proteine des Blutplasmas die wesentliche Rolle. Mithilfe eines Bluttests sollte dabei der Zustand oder das biologische Alter einzelner Organe bestimmt werden. Das Ziel war es, selbst bei gesunden Menschen genau jenes Organ identifizieren zu können, das wegen eines übermäßig fortgeschrittenen Alterungsprozesses womöglich als erstes versagen und dadurch eine Krankheit auslösen könnte. „Zahlreiche Studien haben einzelne Werte ermittelt, die das biologische Alter einer Person darstellen, also das Alter, das sich aus einer Reihe von Biomarkern ableiten lässt – im Gegensatz zum kalendarischen Alter, das sich an den tatsächlichen Jahren, die seit ihrer Geburt vergangen sind, bemisst. Wir sind einen Schritt weiter gegangen und haben eine Methode entwickelt, um das biologische Alter der einzelnen Organe abzuschätzen“, so die US-Forscher.
In einem ersten Schritt hatten die Wissenschaftler in Blutproben von knapp 1.400 unterschiedlich alten Probanden (Durchschnittsalter 75 Jahre, Altersspanne zwischen 27 und 104 Jahren) die Konzentration von fast 5.000 Proteinen bestimmt. Im nächsten Schritt konnten sie 858 Proteine identifizieren, die jeweils hauptsächlich von einem ganz bestimmten Organ stammen mussten. „Wir werteten die Proteine als Organ-Anzeiger, wenn sie in einem bestimmten Organ viermal stärker produziert wurden als in allen anderen“, so Professor Wyss-Coray. Das Team hatte seine Analyse auf elf Organe bzw. Gewebe beschränkt, weil „deren Beiträge zu altersbedingten Erkrankungen gut untersucht sind“, so die Forscher.
Es handelte sich um Herz, Lunge, Nieren, Leber, Darm, Muskeln, Immungewebe, Bauchspeicheldrüse, Gehirn, Arterien sowie Fettgewebe. Es folgte die Zuhilfenahme einer Künstlichen Intelligenz, die darauf trainiert worden war, altersspezifische Unterschiede in der Menge der verschiedenen Organ-Proteine zu erkennen und darüber hinaus exakt zu ermitteln, welche Proteine im Blut spezifisch Auskunft über den Zustand einzelner Organe oder Gewebe geben konnten.
Anschließend wurden die Ergebnisse mithilfe der KI nochmals mit Blutwerten und Gesundheitsdaten aus vier weiteren großen US-Kohorten-Studien abgeglichen, sodass die Forscher für ihre Untersuchungen auf die Daten von insgesamt 5.676 Personen zurückgreifen konnten. Dabei, so die Forscher, konnten „die Lebensspanne des Erwachsenenalters und mehrere altersbedingte Krankheitszustände“ abgedeckt werden. Das Team konnte dabei für jedes Organ im Blut altersgemäße Normwerte anhand der durchschnittlichen Protein-Spiegel ermitteln. Abweichungen von diesen Normwerten bedeuteten, dass das jeweilige Organ in Bezug auf seine Funktionstätigkeit entweder älter oder jünger war, als es vom kalendarischen Alter her zu erwarten gewesen wäre.
Einzelne Organe älter als andere
„Wir können mit dieser Methode das biologische Alter einzelner Organe bei einer Person ermitteln“, so Professor Wyss-Coray, der gemeinsam mit seinen Kollegen zur kommerziellen Verwertung der Studienergebnisse ein Unternehmen gegründet und ein Patent angemeldet hat. Aus den gewonnenen Daten konnten die Forscher ablesen, dass sich das organspezifische Alter sowohl zwischen gleichaltrigen Menschen als auch zwischen den verschiedenen Organen des jeweiligen Individuums deutlich unterscheiden kann. Bei knapp 20 Prozent der Über-50-Jährigen gab es mindestens ein Organ, das signifikant älter und schneller gealtert war als der Rest des Körpers. „Als wir das biologische Alter jedes einzelnen dieser Organe in einer große Gruppe von Menschen ohne offensichtliche schwere Krankheiten verglichen“, so Professor Wyss-Coray, „stellten wir fest, dass bei 18,4 Prozent der Über-50-Jährigen mindestens ein Organ deutlich schneller altert als der Durchschnitt. Und wir fanden heraus, dass diese Personen ein erhöhtes Risiko hatten, innerhalb von 15 Jahren an dem betreffenden Organ zu erkranken.“ Die vorzeitige Alterung betraf in der Regel nur eines der elf bei der Untersuchung einbezogenen Organe oder Gewebe. Bei knapp zwei Prozent der Probanden (1,7 Prozent) konnten die Forscher aber sogar zwei oder mehr vorzeitig gealterte Organe registrieren. „Diese Personen hatten ein 6,5-mal höheres Mortalitätsrisiko als jemand ohne ein deutlich gealtertes Organ“, so Professor Wyss-Coray.
Die Bestimmung des biologischen Alters der einzelnen Organe kann gemäß den Forschern dazu beitragen, Krankheitsrisiken frühzeitig zu erkennen. Das konnten die Wissenschaftler aus den persönlichen gesundheitlichen Lebensläufen ihrer Testpersonen 15 Jahre nach der Blutentnahme im Jahr 2008 ableiten. „Menschen mit einem oder mehreren vorzeitig gealterten Organen haben ein erhöhtes Risiko, in den nächsten 15 Jahren eine organspezifische Krankheit zu entwickeln“, so Professor Wyss-Coray. Auch das Risiko für einen vorzeitigen Tod steige um 15 bis 50 Prozent, je nachdem, welches Organ betroffen ist. So hatten beispielsweise Probanden, deren Herz dem Bluttest zufolge vier Jahre älter als ihr kalendarisches Alter gewesen war, ein um 2,5-fach erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder Herzversagen als Menschen mit einem normal gealterten Herzen. Eine vorschnell gealterte Niere konnte mit einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck und Diabetes in Zusammenhang gebracht werden. Bei einem deutlich zu alten Gehirn konnte ein 1,8-mal höheres Risiko zur Erkrankung an Demenz innerhalb der kommenden fünf Jahre prognostiziert werden. In Bezug auf das Gehirn soll der Bluttest in der Lage sein, das Risiko für den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit ebenso gut vorauszusagen, wie es die derzeit verwendeten klinischen Biomarker tun können.
„Indem wir den Zustand der einzelnen Organe bei vermeintlich gesunden Menschen untersuchen, könnten wir die Organe finden, die vorzeitig altern“, so Professor Wyss-Coray. Allerdings sollte die Aussagekraft des Bluttests noch an einer weitaus größeren Probandengruppe überprüft werden. „Wenn wir diesen Befund bei 50.000 oder 100.000 Personen reproduzieren können, bedeutet dies, dass wir durch die Überwachung der Gesundheit einzelner Organe bei scheinbar gesunden Menschen in der Lage sein könnten, Organe zu finden, die im Körper einer beschleunigten Alterung unterliegen. Dann könnten wir die Menschen behandeln, bevor sie krank werden“, so Professor Wyss-Coray. Zudem könnten die identifizierten Blutmarker dabei helfen, Zielstrukturen für neue Medikamente zu finden, mit deren Hilfe ein zu schnell gealtertes Organ womöglich wieder in einen jüngeren Zustand versetzt werden könnte.
Bisher nur statistische Assoziationen
Das Echo auf die Studie war im wissenschaftlichen Kollegenkreis weitestgehend positiv ausgefallen. Professor James Timmons, Experte für altersbedingte Gesundheit und Krankheiten an der Queen Mary University of London, stufte die Ergebnisse als „beeindruckend“ ein. Protein-Biomarker können laut dem Alterungsexperten Matt Kaeberlein, Geschäftsführer eines Biotechnologie-Unternehmens in Seattle, enorm hilfreich sein, um Anti-Aging-Medikamente zu entwickeln, weil aus seiner Sicht Proteine „viel näher an den nachgelagerten Mechanismen, die das Altern vorantreiben können“, angesiedelt sind. Ähnlich positiv äußerte sich Professor André Fischer, der beim Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Göttingen für Epigenetik und Systemmedizin bei Neurodegenerativen Erkrankungen verantwortlich zeichnet: „Die Entwicklung minimal-invasiver Biomarker, die Aussagen über das Risiko komplexer Erkrankungen wie Alzheimer ermöglichen, ist von äußerster Bedeutung. Die Ergebnisse der Autoren sind äußerst vielversprechend, sie stellen jedoch noch keinen prädiktiven Bluttest dar. Vielmehr sind die vorgestellten Daten ein wichtiger Baustein, um proteinbasierte Bluttests zur Früherkennung von Krankheiten zu entwickeln.“
Ähnliche Einwände, dass die aktuellen Forschungsergebnisse nur ein erster Schritt hin zu einem für die Früherkennung von Krankheiten womöglich elementar wichtigen proteinbasierten Bluttest sein könnten, wurden auch von anderen Wissenschaftlern erhoben. Zudem wurde angemerkt, dass es noch völlig unklar sei, ob mit der organbasierten Altersbestimmung tatsächlich das Auftreten von Krankheiten vorausgesagt werden kann. Denn die Stanford-Wissenschaftler konnten letztlich nur statistische Assoziationen mit den Krankheiten ermitteln, hätten aber nicht die Vorhersagekraft ihres Tests auf den Prüfstand gestellt. Die Epidemiologin Sara Hägg vom Stockholmer Karolinska-Institut lobte zwar die „beeindruckende“ Datenmenge der Studie, schloss aber auch die Warnung an, dass noch immer nicht klar sei, ob die Proteine den Alterungsprozess vorantreiben oder letztlich nur Nebenprodukte davon sind. Es müsse auch noch geklärt werden, ob der vom Stanford-Team verwendete Algorithmus tatsächlich das Krankheitsrisiko voraussagen könne oder einfach nur Proteinveränderungen widerspiegele, die durch Krankheiten verursacht sein könnten, sagte die Professorin.