Im Inneren von Uranus und Neptun vermuten Forscher schon länger einen durch Druck- und Temperaturbedingungen bedingten Zerfall von Methanmolekülen. Deren Kohlenstoffatome könnten zu Diamanten komprimiert werden – was aktuelle Experimente zu bestätigen scheinen.
Die beiden Planeten Uranus und Neptun gehören zu den letzten noch ziemlich rätselhaften Welten unseres Sonnensystems. Sie haben beide jeweils einen Durchmesser von rund 50.000 Kilometern und enthalten große Mengen an Methan, aber auch Ammoniak und Wasser, die sich bei den beiden sogenannten Eisriesen zu eisförmigen Strukturen zusammengeschlossen haben. Beide Planeten haben sehr charakteristische Farben – ein helles Türkisblau bei Uranus und ein tiefes Dunkelblau bei Neptun – was vor allem dem Methan in ihrer Atmosphäre zu verdanken ist. Beim Uranus gibt es zudem das Kuriosum, dass seine Drehachse nicht senkrecht auf seiner Umlaufbahn steht, sondern um mehr als 90 Grad gekippt ist. Beide Planeten, die viermal so groß und deutlich schwerer sind als die Erde, verfügen über ein mysteriöses Magnetfeld, sie besitzen nicht nur zwei Pole, also einen magnetischen Nord- und Südpol, sondern verfügen beide über ein vierpoliges Magnetfeld, für dessen Entstehung gemeinhin ein Dynamo-Effekt im aus flüssigen Gasen (Wasser, Methan, Ammoniak) bestehenden Mantel verantwortlich gemacht wird. Der umhüllt einen etwa erdgroßen Kern aus Gestein, Eis und Metallen, in dem infernalische Temperaturen von schätzungsweise 5.000 Grad Celsius (Uranus) oder gar bis zu 7.000 Grad Celsius (Neptun) sowie extreme Druckbedingungen vorherrschen.
Methangas in der Atmosphäre
Die Atmosphären von Uranus und Neptun sind ähnlich zusammengesetzt. Hauptbestandteile sind dabei Wasserstoff und Helium, die obersten Schichten enthalten aber auch Methangas. Und an dieser Stelle kommen die Diamanten ins Spiel: Wissenschaftler hatten sich schon seit den 1980er-Jahren Gedanken darüber gemacht, was wohl mit diesem speziellen Kohlenwasserstoff passieren wird, sobald er im Inneren der beiden Planeten den extremen Temperatur- und Druckbedingungen ausgesetzt wird. Es wurde die These aufgestellt, dass sich die Kohlenwasserstoffe oder die Methanmoleküle zunächst in Kohlenstoff und Wasserstoff auftrennen und die frei gewordenen Kohlenstoffatome sich anschließend im Zuge einer ungeheuer starken Kompression in einer kubischen Anordnung neu miteinander verbinden würden – wodurch es wahrscheinlich zur Bildung von Diamanten kommen müsste, die dann langsam wie Regentropfen Richtung Planetenkern absinken könnten. Da Raumsonden jeglicher Art nur die Oberflächen der beiden Planeten erfassen und keinerlei Blick ins Innere gewähren können, versuchten international besetzte Wissenschaftler-Teams ab den 1990er-Jahren, das Diamanten-Entstehungs-Szenario auf den beiden Planeten in Laborexperimenten nachzustellen. Es sollte allerdings bis zum Jahr 2017 dauern, ehe einem deutsch-amerikanischen Team unter Federführung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) mit Prof. Dominik Kraus an der Spitze der konkrete Nachweis für die angenommene Diamantenbildung gelang.
Die Forscher konnten mithilfe des stärksten Röntgenlasers der Welt vom kalifornischen Stanford Linear Accelerator Center (SLAC) für die Winzigkeit von ein paar Milliardstel-Sekunden Bedingungen simulieren, wie sie im Inneren der beiden Eisriesen in einer Tiefe von etwa 10.000 Kilometern unter der Oberfläche vorherrschen dürften. Dadurch konnten erstmals in Echtzeit die Aufspaltung von Kohlenwasserstoff und die Umwandlung des Kohlenstoffs in Diamanten beobachtet werden, was das Team in einer im Fachmagazin „Nature Astronomy“ publizierten Studie dokumentiert hatte. Da sich laut Prof. Kraus das Methan im Inneren der beiden Planeten zunächst erst einmal zu langkettigen Kohlenwasserstoffen zusammenschließt, „also zu einer Art Öl oder Plastik“, so Prof. Kraus, setzte man bei dem Experiment an diesem Punkt an und verwendete daher statt des Methans selbst eine spezielle Form von Plastik namens Polystyrol, „das auch aus einem Mix von Kohlen- und Wasserstoff aufgebaut ist“.
Durch dieses Material Polystyrol wurden zwei Schockwellen gesendet, wobei die erste von einem extrem starken optischen Laser stammte, die zweite vom SLAC-Röntgenlaser Linac Coherent Light Source. Die Schockwellen erzeugten im extrem zusammengepressten Polystyrol einen Druck von 1,5 Billionen Bar und eine Temperatur von 5.000 Grad Celsius. „Die erste, kleinere und langsamere Welle wird dabei von der stärkeren, zweiten überholt“, so Prof. Kraus. „In dem Moment, in dem sich die beiden Wellen überschneiden, bilden sich die meisten Diamanten. Bei dem Experiment zeigte sich, dass sich fast alle Kohlenstoff-Atome in nanometergroße Diamantstrukturen zusammengeschlossen hatten. Wir waren einfach unglaublich überrascht darüber, dass wir ein so klares Signal bekommen und so eine Menge an Diamant erzeugen konnten.“ Die Forscher nahmen an, dass die Diamanten auf den beiden Planeten weitaus größere Strukturen haben und wahrscheinlich über Tausende von Jahren ganz langsam in den Planetenkern absinken.
Am 8. Januar 2024 publizierte ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung von Mungo Frost vom SLAC im kalifornischen Stanford im Fachmagazin „Nature Astronomy“ eine Studie, mit der der Nachweis erbracht werden konnte, dass die Diamantenbildung in Neptun und Uranus in weitaus geringerer Tiefe ihres Mantels, bei geringerem Druck und bei weitaus weniger hohen Temperaturen (im Vergleich zur Versuchsanordnung des Teams von Prof. Kraus) möglich sein könnte. Mungo Frost und Co. nutzten für ihr Experiment den leistungsstarken Röntgenlaser European XFEL in Schenefeld bei Hamburg. Als Kohlenstoffquelle griffen die Forscher auf die gleiche Kohlenwasserstoffverbindung Polystyrol wie Prof. Kraus zurück.
Größe der Diamanten reine Spekulation
Die Kunststoff-Folie wurde zwischen die Spitzen zweier Diamanten eingeklemmt und zunehmendem Druck von oben und unten ausgesetzt. Diese sogenannte Diamantenstempelzelle funktioniert wie ein Mini-Schraubstock. Parallel zum steigenden Druck setzten die Forscher die Folie den Röntgen-Laserpulsen des European XFEL aus. Dabei konnten sie feststellen, dass die Diamantenbildung bei einem Druck zwischen 19 und 27 Gigapascal schon bei Temperaturen oberhalb von 2.500 Kelvin einsetzte, was umgerechnet in Grad Celsius dem Temperatur-Wert von 2.226,85 entspricht. Nach der Winzigkeit von 30 Mikrosekunden konnte bei diesen Bedingungen die Bildung von Diamantpulver registriert werden. „Nach rund 40 Mikrosekunden beginnen sich dann größere Diamantkristalle zu bilden“, so Mungo Frost.
Diamanten können daher im Inneren von Uranus und Neptun bei deutlich geringerem Druck und weniger Hitze entstehen, als bislang allgemein angenommen wurde. „Schon in den oberen Schichten ihres Mantels herrschen Bedingungen, bei denen wir eine Diamantbildung beobachtet haben“, so Mungo Frost. Daraus ergab sich für die Forscher die Schlussfolgerung, dass die aus dem oberen Mantel herabregnenden Diamanten Strömungen aus elektrisch leitendem Material auslösen und damit einen wesentlichen Beitrag zum ungewöhnlichen Magnetfeld der beiden Planeten leisten könnten, weil solche Strömungen laut den Wissenschaftlern wie ein Dynamo wirken könnten. „Die Konvektion und daraus resultierende Dynamo-Aktivität gelten als Urheber der komplexen, mehrpoligen Magnetfelder der Eisriesen“, so Mungo Frost. Zudem könnte die bei der Aufspaltung der Kohlenwasserstoffe freigesetzte Energie erklären, warum die beiden Planeten trotz ihrer Sonnenferne vergleichsweise warm sind (nur der hohe Druck im Inneren der Planeten verhindert das Schmelzen ihrer Eisschichten). „Die geringe Bildungstiefe der Diamanten lässt sie zudem absinken und erzeugt dabei noch mehr potenzielle Wärme“, so Mungo Frost. Über die Größenordnungen der Diamanten in den beiden Eisriesen konnten die Forscher nur Mutmaßungen anstellen. Bei ihrem Experiment mit extrem kurzer Laufzeit konnten sie nur Diamantkörnchen im Bereich von Mikrometern (ein Mikrometer ist der tausendste Teil eines Millimeters) beobachten. „Über geologische Zeiträume könnten die Diamanten erheblich größer werden“, so Mungo Frost.
Die neuen Erkenntnisse könnten auch für andere gasförmige Himmelskörper wie Exoplaneten von Bedeutung sein. Wenn Kohlenwasserstoffe schon bei deutlich niedrigeren Drücken und Temperaturen als bislang angenommen zu Diamanten werden können, dann könnte dieses Phänomen auch bei kleineren Himmelskörpern auftreten. „Zwar sind zehn Gigapascal mehr, als in den Eismonden des Sonnensystems herrschen, aber es wurden schon viele Exoplaneten entdeckt, deren Dichte zu einer eisreichen Zusammensetzung passt und deren Größen zwischen Erde und Neptun liegen“, so das Forscherteam. Vor allem bei den sogenannten Mini-Neptunen, den häufigsten Exoplaneten außerhalb unseres Sonnensystems, die ähnlich wie die Eisriesen aus flüchtigen Bestandteilen wie Wasserstoff und Methan bestehen, könnte es daher ebenfalls einen Diamantenregen geben. „Diese Mini-Neptuns sind wegen ihrer Häufigkeit und ihres Wasserreichtums von besonderem Interesse. Wenn auch in ihnen Diamanten entstehen, dann könnte dies ihre Geodynamik, atmosphärische Zusammensetzung und planetare Entwicklung beeinflussen“, so Mungo Frost.