Pauschale Dieselfahrverbote sind weder praktisch noch juristisch umsetzbar
Für Normalbürger ohne fachlichen Hintergrund ist die Sache beim Diesel völlig klar: Er ist für die ganze Abgasmisere in unseren Städten verantwortlich. Es gibt klare CO2- und NOX-Emission-Vorgaben der EU-Kommission, die Hersteller haben flächendeckend durch Betrug gegen die Grenzwerte verstoßen, der deutsche Gesetzgeber hat jahrelang auf eine strikte Kontrolle der Einhaltung verzichtet – und deshalb ist die Luftqualität in den Städten schlecht. Daher hängt seit Dezember 2017 das Damokles-Schwert über Dieselfahrern sowie VW und Co, dass deutsche Verwaltungsgerichte generelle Zugangsverbote für Dieselfahrzeuge in Innenstädten verhängen würden – und die EU-Kommission eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Städte beschließen würde. Beides steht zur Entscheidung an!
Statt einer tiefschürfenden wissenschaftlichen Erörterung nur acht Aspekte, die zur eigenen Urteilsbildung notwendig sind:
1. Die Messung bestimmter Emissionslagen ist nur städtisch-punktuell und keineswegs allgemeingültig für die Fläche.
2. Nicht alle Abgas-Emissionen belasten: CO2 killt das schädliche Ozon. Daher ist die gesundheitsgefährdende Ozon-Belastung in Städten niedriger als zum Beispiel auf den Höhen im Schwarzwald.
3. Die Verantwortung für die städtische Luftverschmutzung ist weder gesamt noch eindimensional dem Diesel zuzuordnen wie in der öffentlichen Diskussion dargestellt –mehr NOX geht beim Diesel mit weniger CO2 einher. Im Übrigen hat die städtische Emissionsbelastung viele Väter – und SUV-Mütter!
4. Der Gesetzgeber hat bei der Finalisierung der EURO5/6a-Gesetzgebung im Jahr 2007 erkannt, dass das Emissionsverhalten im realen Verkehrsbetrieb inakzeptabel geregelt ist und unmittelbar danach eine Einführung einer Real-Emissionsmessung RDE forciert. Diese hat seit September 2017 in der EU Gültigkeit und bedurfte einer zehnjährigen Arbeit am Gesetz und einer ebenso langen und sehr kostenintensiven Produktentwicklung bei den Autoherstellern.
5. In Europa/Deutschland ist dadurch die weltweit strengste Emissionsgesetzgebung entstanden!
6. Als Ergebnis können die Emissionen modernster RDE-Diesel als quasi irrelevant betrachtet werden. Das Problem der Diesel-Emissionen bei CO2, NOX und Feinstaub ist bei modernen Dieselmotoren absolut gelöst, genauso wie in den 80er-Jahren durch die Einführung des Dreiwege-Katalysators und von bleifreiem Benzin das Problem der damaligen Autoabgase generell gelöst wurde.
7. Das Problem der Dieselabgase sind also nicht die modernen Dieselmotoren von heute, sondern der Altbestand von rund 13 Millionen Dieselautos mit Abgastechnik von gestern – Euro 5 und weniger. Pauschale Fahrverbote für alle wären also unzulässig.
8. Es wäre für den Bürger nicht hinnehmbar, wenn Politik und Gerichte den Schwarzen Abgas-Peter an die Schwächsten, die Städte und Kfz-Käufer, abgeben würden, um von eigenen Fehlern und politischen Versäumnissen der Vergangenheit abzulenken. Wenn schon Fahrverbote, dann differenziert und sozial erträglich!
Das Münchner Umweltreferat kommt – kurzgefasst – zu folgenden Erkenntnissen: Pauschale Dieselfahrverbote sind weder praktisch noch juristisch umsetzbar; lediglich eine sachliche Ausweitung der heutigen, nur auf Feinstaub ausgerichteten Umweltzone auf Dieselabgase ist möglich. Voraussetzung dafür ist allerdings die Einführung einer neuen (blauen) Plakette für Autos mit niedrigem Stickoxidausstoß, die die Bundesregierung aber erst noch beschließen müsste.
Käme die Blaue Plakette um radikale Zufahrtsverbote zu vermeiden, wären für die bisherige Umweltzone 350 neue Schilder, Kosten von 70.000 Euro und 40 neue Mitarbeiter in der Verwaltung notwendig, zuständig für Ausnahmeregelungen, die Ausgabe der Blauen Plaketten sowie Änderungen in den Fahrzeugpapieren. Umsetzungsdauer: minimum fünf Monate. Würde ganz München zur Umweltzone deklariert, wäre das nicht unter 1.500 neuen Schildern, Kosten von knapp einer Million Euro und einem geschätzten Zeitaufwand von über einem Jahr zu haben. •
„Saarlandbotschafter" Dr. Helmut Becker (73) ist Gründer und Direktor des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK). 1943 wurde der Diplom-Volkswirt und -Kaufmann in Türkismühle geboren. Er war unter anderem Chefvolkswirt bei BMW.