Die britische Schauspielerin Daisy Edgar-Jones hat sich für ihr Hollywood-Debüt die Bestseller-Verfilmung „Der Gesang der Flusskrebse" (seit 18. August im Kino) ausgesucht, einen stimmungsvollen Southern-Gothic-Märchentraum über Sex, Mord und Familiengeheimnisse.
Im wilden Sumpfland von North Carolina lebt Kya (Daisy Edgar-Jones), von allen nur „das Marsch-Mädchen" genannt. Verlassen von ihrer Familie, führt sie in ihrer weit abgelegenen Hütte am Fluss eine Art Robinson-Dasein. Nur gelegentlich lässt sie sich in dem Dörfchen Barkley Cove blicken, um Muscheln zu verkaufen, Proviant mitzunehmen und dann sehr schnell wieder in ihre selbstgewählte Einsamkeit zurückzukehren. Dort ernährt sie sich von Fischen und Beeren, sammelt gerne Vogelfedern und zeichnet auf losen Blättern, mit Hingabe und großem Talent, was Flora und Fauna um sie herum so zu bieten haben.
In malerischen Bildern schwelgt auch der Film oft und lange im gefährlich schönen Sumpfgebiet, den geheimnisvoll verschatteten Flussläufen, mit Moos bewachsenen Bäumen und lichten, sonnenüberfluteten Wiesen und Küstenstreifen. Als Zuschauer taucht man sehr gern ein in dieses schwül-sinnliche Wunderland, in dem Kya völlig selbstbestimmt lebt, etwas verwildert – und sie ist gern allein. Bis sie eines Tages bei einem Streifzug auf den jungen Tate (Taylor Smith) trifft. Im Laufe der Zeit entspinnt sich behutsam eine zarte Liebesgesichte zwischen dem träumerischen Tate und der abenteuerlustigen, ungezähmten Kya. Langsam fasst diese Vertrauen zu Tate und lässt ihn immer mehr in ihre verborgene Welt eintauchen. Tate ist von Kyas Anmut wie verzaubert. Er bestärkt sie darin, ihre wunderschönen Zeichnungen doch einem Buchverlag anzubieten, und bringt ihr mit viel Geduld auch das Lesen und Schreiben bei. Doch dann entscheidet sich Tate, die Beziehung zu Kya zu lösen und aufs College zu gehen. Kya ist am Boden zerstört.
In den Sümpfen von Louisiana gedreht
Kurz danach trifft die junge Frau auf den attraktiven, aber etwas zwielichtigen Sonnyboy Chase (Harris Dickinson). Anfangs ist sie von seiner charmanten und dominanten Art fasziniert und lässt sich immer mehr auf die zunehmend toxische Beziehung ein. Als sie schließlich erkennt, dass er sie belügt und betrügt, beendet sie die Liebesaffäre. Wenig später wird Chase im Marschland tot aufgefunden. Kya wird verhaftet und des Mordes angeklagt. Es kommt zur Gerichtsverhandlung. Der Staatsanwalt fordert die Todesstrafe. Im Gefängnis beteuert Kya immer wieder ihre Unschuld. Ihr Verteidiger (David Strathairn) glaubt ihr. Doch die Eltern des Toten – und die allermeisten Einwohner von Barkley Cove – glauben der Außenseiterin nicht. Für sie ist und bleibt Kya das Marsch-Mädchen, dem wirklich alles zuzutrauen ist. Brennpunkt des Films ist die Gerichtsverhandlung. Hier verschmelzen Vor- und Rückblenden; aus vielen Zeitsprüngen kann sich der Zuschauer dann selbst Kyas schicksalhafte Lebensgeschichte zusammensetzen.
Der Film „Der Gesang der Flusskrebse" hält sich eng an die Vorlage von Delia Owens gleichnamigem Bestseller. Auch in Deutschland fand der Roman eine große Leserschaft und stand wochenlang auf der „Spiegel"-Bestseller-Liste. Stimmig in Ton und Rhythmus, erzählt Regisseurin Olivia Newman diesen Southern-Gothic-Märchentraum mit viel Gefühl für die Protagonistin und einem guten Auge für die Schönheit des Marschlandes. Allerdings driftet der Film gelegentlich doch etwas zu sehr ins Postkarten-Idyll ab. Immerhin spielt die Geschichte hauptsächlich Ende der 1960er-Jahre, doch das schwarze Ladenbesitzer-Pärchen, an das Kya ihre Muscheln verkauft, wird sehr eindimensional und klischeehaft dargestellt. Und obwohl wir uns im „Der Gesang der Flusskrebse" auf dem Terrain befinden, das bereits Truman Capote und Tennessee Williams als Background für geniale Stories diente, entfaltet sich das Drama um Kya insgesamt allzu weichgezeichnet, so als hätte Nicholas Sparks seine Finger im Spiel gehabt.
Ein eindeutiges Plus für „Der Gesang der Flusskrebse" ist, dass er an echten Schauplätzen in den Sümpfen von Louisiana gedreht wurde. Was den Film aber zum Erlebnis macht, ist die Hauptdarstellerin Daisy Edgar-Jones. Sie spielt Kya mit einer berückenden Geschmeidigkeit, die ihre Wildheit und Melancholie noch unterstreicht. Sie ist grazil und anmutig, zugleich physisch und psychisch robust und schaut mit ihren großen braunen Augen genauso leidenschaftlich in die Welt, wie Kya es im Buch tut. Daisy Edgar-Jones hat sich mit ihrer facettenreichen Performance in der englischen TV-Serie „Normal People" (2020) als unverbrauchte und hochtalentierte Schauspielerin ausgewiesen. Jetzt trägt sie den Film „Der Gesang der Flusskrebse" auf geradezu traumwandlerische Art und Weise. Ohne die überraschende Wendung im Plot zu verraten, ist sie es, die uns am Ende des Films noch den bedeutungsschweren Satz mit auf den Weg gibt: „Im Marschland tut jedes Geschöpf wirklich alles, um zu überleben."