Die hochkomplexen Ökosysteme der Korallenriffe leiden massiv unter den Klimaveränderungen. Wissenschaftler arbeiten mit Hochdruck an Methoden der Korallenzucht, um sie vor dem Aussterben zu bewahren.
Aus der Paläontologie weiß man: Steinkorallen gibt es seit rund 250 Millionen Jahren. Und so könnte man sie eigentlich als Erfolgsmodell sich immer wieder anpassender Organismen bezeichnen. Doch gegenwärtig gebe es die „tiefste Korallenkrise der Erdgeschichte", sagt Professor Christian Wild, der Leiter des Bereichs „Marine Ökologie" an der Universität Bremen. Vor Kurzem hat dort das International Coral Reef Symposium (ICRS) stattgefunden. Eine Konferenz, die alle vier Jahre abgehalten wird. An ihrer ersten Ausgabe in Europa nahmen rund 1.100 Wissenschaftler, Vertreter aus Politik und von Nicht-Regierungsorganisationen teil. Eine knappe Woche lang ging es bei Vorträgen und in Dutzenden von Panels nicht nur um neueste Erkenntnisse zum Zustand der Korallenriffe, zur Biodiversität im Lebensraum Riff und den Einfluss menschlichen Handelns auf Riffe. Einen weiteren wichtigen Raum nahmen auch die Themen Widerstandsfähigkeit verschiedener Korallen-Spezies und der Wiederaufbau von bereits stark gefährdeten oder zerstörten Korallenriffen ein.
Denn längst ist den Experten klar: Zahlreiche Riffe, darunter nicht nur das bekannte Great Barrier Riff vor Australien, sondern beispielsweise auch das Florida Reef, das drittgrößte Korallenriff der Welt, sind massiv bedroht beziehungsweise in keinem guten oder zumindest sehr anfälligen Zustand. Dazu tragen mehrere Faktoren bei, erklärt Professor Christian Wild – vor allem die stetige Erwärmung des Meerwassers im Zuge des Klimawandels. „Steinkorallen fühlen sich bei Wassertemperaturen zwischen 22 und 28 Grad wohl", doch noch höhere Temperaturen schwächten sie, führten zur Korallenbleiche. Derartig „angeschlagen" könnten sie weiteren Stressfaktoren nur schlecht standhalten, beispielsweise einem sinkenden PH-Wert im Wasser – die sogenannte Versauerung der Meere. Dabei wird Kohlenstoffdioxid aus der Erdatmosphäre aufgenommen, was im normalerweise leicht basischen Meerwasser zu einer chemischen Reaktion führt, in der aus CO2 und Wasser Kohlensäure entsteht.
Riffe: „Schatzkiste" für die Wissenschaft
Das hat fatale Auswirkungen auf Lebewesen, die ein Kalkskelett bilden, denn mit niedrigerem PH-Wert lässt die Fähigkeit, diese Skelette zu bilden, nach. Mit dem Absterben der Korallenriffe brechen ganze Ökosysteme zusammen, deren Vielfalt von Wissenschaftlern schon oft mit der einer Stadt verglichen wurde. Spezialisierte Arten haben hier ihr Zuhause, übernehmen verschiedene Aufgaben in dem hochkomplexen System. Krebse und Krabben ernähren sich beispielsweise von anfallendem totem Gewebe oder toten Fischen, Schwämme filtern Wasser und damit kleinere Lebewesen aus, die wiederum anderen als Nahrung dienen. Und eine unglaubliche Vielfalt an Fischen findet hier Rückzugs- und Schutzräume oder zieht am Riff den Nachwuchs groß.
Während die Bedeutung von Riffen als wichtige Ökosysteme den meisten Menschen klar ist, verstehen viele noch nicht, dass nach Schätzungen rund 1,5 Milliarden Menschen von den „Serviceleistungen" der Riffe abhängen. Da gehe es natürlich um den Küstenschutz, sagt Professor Christian Wild, die harten Kalkstrukturen der Riffe verringerten die Kraft der Wellen. Die hier lebenden Arten seien für viele Fischer Lebensgrundlage und seit einigen Jahrzehnten wichtige Elemente touristischer Angebote und damit auch Einkommensquelle. Zudem seien Riffe eine „Schatzkiste" für die Wissenschaft, so könnten beispielsweise Substanzen in der Industrie verwendet werden, die am Riff von hier in Konkurrenz lebenden Arten zum Schutz oder zur Abschreckung ausgeschieden werden. „Antifouling"-Substanzen aus Riffen können beispielsweise Bewuchs durch Seepocken an Schiffskörpern verhindern. Dadurch können Schiffe schneller fahren. Außerdem dienen viele aktive Substanzen aus Riffen zur Herstellung neuer Medikamente. Kaum vorstellbar, was sich nicht noch alles im Ökosystem Riff entdecken und erforschen ließe. Doch die Zeit drängt.
Um Korallenriffe überhaupt erhalten zu können, müsse alles getan werden, um den Klimawandel zu reduzieren, betont Christian Wild und formuliert damit eine der drei Forderungen des International Coral Reef Symposiums. Zudem gehe es darum, die Überfischung und die Überdüngung der Meere einzudämmen. Und als Drittes müsse man vielfältige innovative Ansätze nutzen, um Riffe zu „reparieren" oder um sie dabei zu unterstützen, sich den verändernden Bedingungen anzupassen.
Dabei kommt unter anderem die Organisation „Mote", das Marine Laboratory and Aquarium in Florida, ins Spiel. 1955 wurde die erste Einrichtung der Organisation in Sarasota gegründet – maßgeblich daran beteiligt war die Meeresbiologin Eugenie Clark, die wegen ihrer Forschungen zu Haien auch oft als „Shark Lady" bezeichnet wurde. In über 60 Jahren sind rund 20 verschiedene Forschungsprogramme zu marinen Lebensformen aufgelegt worden – dabei ging es unter anderem um Haie, Manati-Seekühe und Schildkröten, aber auch um die Wiederherstellung des rund 560 Kilometer langen Florida Reefs. In den letzten Jahrzehnten hat es nach Angaben von Mote massiv unter der Wassererwärmung und weiteren Umwelteinflüssen gelitten – sodass momentan nur noch etwa zwei Prozent der lebenden Korallen vorhanden sind.
Extrem aufwendige Rettungsaktionen
Deshalb hat die Organisation mehrere Zuchtstationen eingerichtet. Dort werden Minifragmente der Originalkorallen zerteilt und an „Trägern" aus Keramik befestigt. In Meerwasserbecken können sie dann wachsen und werden, wenn sie eine bestimmte Größe erreicht haben, ausgewildert. Zehntausende Korallen wachsen zur Zeit an verschiedenen Mote-Standorten in Florida heran – über 100.000 solcher nachgezüchteter Korallen konnten bereits zum Riff zurückgebracht und dort „befestigt" werden, damit sich neue Strukturen entwickeln können. Zu ihrem Erfolg zählt die Organisation auch, dass sich die ausgewilderten Korallen im Meer wieder von selbst vermehrten –
ein Hoffnungsschimmer.
Kritischer sieht es Meeresbiologe Christian Wild: Mittlerweile gäbe es effizientere Ansätze, um Korallen zu züchten und langfristig Riffe zu „reparieren", sagt er. Am Great Barrier Riff beispielsweise sammle man Korallenspermien und -eizellen in Netzen, bringe dann in Wasserbecken gezielt die hitzetoleranteren Arten zusammen, um robustere „Nachkommen" zu züchten. Die später heranwachsenden Larven würden dann wieder hinaus zum Riff gebracht, könnten sich dort festsetzen. Ebenso könne man die Larven in geschützten Becken auf Trägern aus Terrakotta wachsen lassen, bis sie groß genug sind, um nicht in Massen Fressfeinden zum Opfer zu fallen. Damit wäre die Ansiedlungsrate viel höher.
Extrem aufwendig sind die Rettungsversuche, die Organisationen auf der ganzen Welt unternehmen, um Korallenriffe vor dem Aussterben zu retten. Doch klar sei, so Professor Wild, dass das alles nur Zwischenlösungen sein können, bis man es geschafft habe, den Klimawandel einzudämmen.