In Berlin hat vor einer Woche das neue Schuljahr angefangen. Schüler und Lehrer stehen vor vielen Herausforderungen: Knapp 900 Lehrkräfte fehlen, ukrainische Kinder müssen integriert werden, und die Folgen der Pandemie-Maßnahmen sind spürbar.
Für die Sechsjährigen dürfte die Einschulung in Berlin ein unbeschwerter Start gewesen sein. Der Übergang in die neue Lebensphase vor wenigen Tagen begann für die Schulanfänger ohne Testpflicht und Mundnasenschutz. „Die 37.000 kleinen Mäuse sitzen da nicht mit Maske wie in den letzten beiden Jahren", sagte Astrid-Sabine Busse (SPD), Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, in einer Pressekonferenz vergangene Woche. Eine gewisse Erleichterung war in der Stimme der ehemaligen Schulleiterin deutlich zu hören. Für alle Schüler an Berlins allgemeinbildenden Schulen entfällt die Masken- und Testpflicht. Allerdings wurden alle gebeten, noch vor dem ersten Schultag einen Corona-Test zu machen. Auch können alle Schüler zweimal pro Woche und einmal am Wochenende einen Test machen – auf freiwilliger Basis. Zu diesem Zweck haben alle Schüler zwei Selbsttests aus dem Bestand der Schule ausgehändigt bekommen. Die pandemische Gefahrenlage habe erfreulicherweise abgenommen, sagte Staatssekretär Alexander Slotty während der Konferenz. Für eine Testpflicht gebe es aus aktueller Sicht keinen Anlass. Und: „Flächendeckende Schulschließungen" wolle man in diesem Schuljahr nicht zulassen, dafür werde man sich mit Nachdruck einsetzen, versprach die Schulsenatorin außerdem. Dennoch wolle man die pandemische Lage in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssenat weiter beobachten. Auch werde die Expertise des Hygienebeirates weiterhin miteinbezogen. Falls es in Zukunft wieder erforderlich werden würde, könnten ab Klasse Fünf Testpflicht und Maske wieder angeordnet werden. Zudem seien inzwischen 23.000 Luftfilter in den Berliner Schulen angekommen, so der Staatssekretär. Statistisch gesehen gebe es für jeden Klassenraum einen. Die dürfen bei einem schwachen Infektionsgeschehen allerdings nicht laufen, da wegen der Energiekrise auch die Schulen Energie sparen sollen. Daher soll zum Beispiel die Temperatur in den Klassenzimmern der weiterführenden Schulen auf 20 Grad gesenkt werden. Ausgenommen davon sind Grundschulen, Kitas und Horte.
Vorläufig keine Test- und Maskenpflicht
Aus Sicht des Staatssekretärs sind die Hygienemaßnahmen hinsichtlich der Virusprävention nach zweieinhalb Jahren Pandemieerfahrung „klar". Jetzt müsse man sich darüber unterhalten, wie man die Belastungen der Kinder, die während der Pandemie entstanden seien, auffangen könne. Dass die Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Kindern hatten, bestätigen wissenschaftliche Studien immer wieder. So auch eine Befragung von Müttern, die das wissenschaftliche Institut der Krankenkasse AOK (WIdO) im Juli veröffentlicht hat. Von den befragten Frauen gaben insgesamt 35 Prozent an, dass die psychische Gesundheit ihrer Kinder während der Pandemie gelitten habe. Deutlich häufiger betroffen waren die Kinder von Alleinerziehenden mit 44,1 Prozent und 51 Prozent von Geringverdienerinnen. Mit dem neuen Schuljahr werde die Zahl der Schulpsychologen um „gut ein Drittel" erhöht, so Berlins Schulsenatorin. Konkret sollen 65 neue Fachkräfte für diesen Zweck eingestellt werden. Zudem werde durch die Schulen ein Kinder- und Jugendschutzkonzept entwickelt und im Schulprogramm der Schulen verankert, so Astrid-Sabine Busse. Damit will man Kindeswohlgefährdung – insbesondere durch sexuellen Missbrauch, Gewalt und Mobbing – Einhalt gebieten.
Eingeläutet wurde das Schuljahr 2022/23 mit Rekordzahlen: Exakt 383.290 Erst- bis Dreizehntklässler gehen jetzt in der Hauptstadt zur Schule. Das sind 6.812 mehr Mädchen und Jungen als im Jahr davor. Auch gibt es mit den Erstklässlern so viele Schulanfänger wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein Grund für die hohen Schülerzahlen sind auch die neuen Kriegsflüchtlinge. 5.000 geflüchtete ukrainische Kinder und Jugendliche haben in Berlin schon einen Schulplatz erhalten. 1.000 weitere stehen dem Senat zufolge noch auf der Warteliste für einen Schulplatz. Sie könnten jedoch einen der noch 2.200 Plätze, die von freien Schulen angeboten werden, erhalten. Berlin habe in dieser besonderen Situation eine „Drehscheiben-Funktion" inne, sagte Alexander Slotty. Da die meisten ukrainischen Geflüchteten zunächst nach Berlin kommen, müssen die Kinder auch in der Stadt zur Schule gehen können. Der Staatssekretär erzählte von einem Pariser Kollegen, der ihm mitgeteilt habe, dass bisher nur 200 ukrainische Flüchtlingskinder an den Schulen in der französischen Hauptstadt um Aufnahme gebeten haben. „Die Schulen haben sich sehr solidarisch verhalten, als es darum ging, schutzsuchende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine aufzunehmen", lobt die Schulsenatorin. In den Bezirken Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf soll in diesem Schuljahr jeweils eine Begegnungsschule entstehen, an der deutsche und ukrainische Kinder gemeinsam lernen. Aus diesen Schulprojekten könnten sich später neue, zweisprachige Europa-Schulen entwickeln.
Überdurchschnittlich viele Schulabbrecher
Der bundesweite Lehrkräftemangel ist auch in Berlin zu spüren. In diesem Schuljahr fehlen in Berlin 875 Lehrer. Die Senatsverwaltung will die Bewerbungen vorrangig an besonders unterversorgte Schulen weiterleiten, um besser gegensteuern zu können. „Auch das neue Schuljahr wird kein normales Schuljahr, zu vielfältig sind die Herausforderungen", gesteht Astrid-Sabine Busse ein. Dazu gehören Mammutaufgaben wie Schulneubau und Schulsanierungen. Marode Schulgebäude zählen schon seit Jahren mitunter zu den Baustellen in der Berliner Bildungslandschaft. „Seit Beginn der Berliner Schulbauoffensive im Jahr 2016 wurden bis zum 31. Juli rund 25.000 neue Schulplätze geschaffen und rund 2,9 Milliarden Euro verausgabt", sagt die Schulsenatorin. In den kommenden Jahren werde sich die Neubautätigkeit weiter steigern. Wie verheerend es um die bauliche Beschaffenheit einiger Schulen aussieht, zeigt der Fall einer Grundschule in Berlin-Wedding: Dort musste kürzlich der Schulleiter der Anna-Lindh-Schule eine Teilschließung der Schule verkünden. Wieder einmal. Der Grund: anhaltender Schimmelbefall. Jetzt muss ein Großteil der gut 700 Schüler an einem anderen Standort unterrichtet werden. „Feuchte Keller, eine gesperrte Sporthalle und immer wieder Schimmelsporen in weiten Teilen des Schulgebäudes: Seit Jahren ist diese gefährliche Lage bekannt", kritisierte Mathias Schulz, SPD-Abgeordneter. Allein die Turnhalle ist seit dem Jahr 2015 nicht mehr nutzbar. Leidtragende sind seit nunmehr sieben Jahren die Kinder, die in dem sogenannten Brennpunktbezirk die Anna-Lindh-Schule besuchen.
Im bundesweiten Vergleich können die Schulen der deutschen Hauptstadt immer noch nicht punkten. Zumindest nicht, wenn man den Ergebnissen des Bildungsmonitors 2022 Glauben schenkt. Das Ranking wird jährlich von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) erstellt. Demnach liegt Berlin aktuell auf Platz elf und befindet sich damit in der unteren Hälfte. Ein relativ hoher Anteil der Schüler erreicht bei Schülervergleichsarbeiten nicht die Mindeststandards. Dort liegen die Lernenden auf Platz 15. Zudem ist die Quote der Schulabbrecher relativ hoch: Im Jahr 2020 betrug sie 6,6 Prozent. Damit lag sie über dem Bundesdurchschnitt von 5,8 Prozent. Eher glänzen können Berlins Schulen in Sachen Digitalisierung: Hier kommen sie auf Platz sechs.