Unter dem Motto „Das Beste für Berlin – Machen“ ist Ende April die neue Berliner Landesregierung aus CDU und SPD angetreten. Die 100-Tage-Bilanz ist bislang eher durchwachsen.
Die aktuelle Wirtschaftssenatorin und ehemalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ist schon eine halbe Stunde vor Beginn der Feierstunde da und sucht das Bad in der Menge vor dem Rathaus Schöneberg. Trotz Wahlniederlage im Februar bei der Wiederholungswahl, die 45-Jährige ist je nach Umfrage die beliebteste Politikerin oder zumindest eine der beliebtesten Politikerinnen an der Spree. Ihr Nachfolger im Roten Rathaus, Kai Wegner (CDU), kommt schließlich auch noch zu Fuß angeschlendert, betont locker und zur Überraschung der Umstehenden in Begleitung seines Vor-Vor-Vorgängers Eberhard Diepgen (CDU). Als Diepgen Regierender Bürgermeister war, da hatte Wegner gerade die politische Grundausbildung bei der Jungen Union absolviert. Offenbar sucht er Rat bei dem heute 81-Jährigen in Sachen Regierungsgeschäfte. Schließlich trifft Wegner auf seine Stellvertreterin Franziska Giffey. Beide sind, zumindest politisch, das neue Traumpaar der Berliner Landespolitik. Das wird nicht müde, die „neue Einigkeit, das konstruktive Miteinander, die sachorientierte Ausrichtung“, eben das „Beste für Berlin – Machen“ personell zu präsentieren. Doch bei dem Pärchen hinkt es noch ein bisschen.
Friedrichstraße wieder freigegeben
Kai Wegner muss vorpreschen, will als Regierender Bürgermeister die Akzente der zukünftigen Politik im Roten Rathaus setzen. Sein Bekanntheitsgrad liegt weit hinter dem von „meiner lieben Franziska“. Die hält sich dabei derzeit inhaltlich zurück und lässt die Truppe des CDU-Koalitionspartners vorturnen. Das ist auch ihrem neuen Job als Wirtschaftssenatorin geschuldet, da hat man wenig politischen Spielraum, egal ob in Berlin oder in einem Flächenland. Franziska Giffey, die nebenbei auch „noch“ SPD-Landesvorsitzende ist, hat aus ihrer Sicht klug taktiert. Den Parteitag der Berliner Sozialdemokraten mit erheblichen Schrammen überstanden, um jetzt erst mal ganz bewusst in die zweite Reihe abzutauchen und Kraft zu schöpfen. Schließlich will Giffey in drei Jahren wieder Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl werden. Da ist der Regierende Bürgermeister von der CDU weit mehr in der Pflicht, er muss jetzt liefern. Was er auch umgehend mit einem 52-Punkte-Sofortprogramm für ein besseres Leben der Menschen in der Hauptstadt versuchte. Das gute Gefühl in der neuen Landesregierung soll auf die Bürger übertragen werden. Die Hauptstadt als Wellness-Oase, der Drive des Wahlsieges soll aufrechterhalten werden.
Doch real verlor sich das schnell in der Abwicklung des Klein-Klein der rot-grün-roten Vorgängerregierung. Dabei wurde eine Politikerin in den medialen Vordergrund gespült, die zuvor selbst gestandenen Berliner Lokaljournalisten nicht auf dem Schirm hatten: Manja Schreiner. Die 45-jährige CDU-Politikerin, geboren im mecklenburgischen Wismar, sitzt zwar im Landesvorstand der Berliner CDU, übte sich allerdings in Zurückhaltung. Ihr Coup, die legendäre Friedrichstraße, wird für den Fahrzeugverkehr nun zum wiederholten Mal wieder geöffnet. Die erneute Umwidmung öffentlichen Straßenlandes von einer kombinierten Fahrradstraße und Fußgängerzone zu einer normalen Straße als bundesweites Nachrichten-Event, so einfach ist Berliner Lokalpolitik. Manja Schreiner ist die ungekrönte Königin unter den Entscheidungsträgern im neuen Senat, zumindest unter Berlins Autofahrern erfreut sie sich steigender Umfragezahlen.
Doch das war es dann auch schon, bei den Blitzerfolgen der neuen Landesregierung. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ist ständig unterwegs zu Antrittsbesuchen in den europäischen Hauptstädten. Seine Stellvertreterin als Stadtoberhaupt, Franziska Giffey, hat unterdessen einen „Eventplan Berlin“ für das kommende Jahrzehnt entworfen. Berlin soll die Expo 2035 ausrichten. Unter Weltausstellung fängt man an der Spree gar nicht erst an. Während Deutschlands kleinstes Flächenland, das Saarland, mit dem Slogan: „Großes fängt im Kleinen an“ in die Offensive geht, schreckt der neue Berliner Senat nicht vor zukünftigen Superlativen zurück. Denn die Weltausstellung Expo 2035 soll ja nur die Generalprobe, für die Olympischen Spiele 2036 sein. Wobei die SPD-Wirtschaftssenatorin so gnädig ist, dass auch andere deutsche Städte da mitmachen könnten, sozusagen als Co-Austragungsort von Berlins Gnaden. Dieser Größenwahn hat hier System. Bereits Mitte der 60er-Jahre, war der damalige West-Berlin-Senat fest entschlossen, sich um die Olympischen Winterspiele 1976 zu bewerben.
Verwaltungsreform in der Warteschleife
Nach 100 Tagen des schwarz-roten Senats gibt es viele tolle Pläne für die Zukunft, aber konkrete Antworten auf die aktuellen Fragen eher noch nicht. Da ist die Migrationspolitik und die zuständige Senatorin Cansel Kiziltepe. Die SPD-Politikerin, die ihr Bundestagsmandat für den Posten einer Senatorin hat sausen lassen, steht vor einem echten Dilemma. Berlin wird in diesem Jahr vermutlich so viele Geflüchtete aufnehmen müssen wie zuletzt 2015/2016. Wie im übrigen Bundesgebiet, gibt es fast keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr in der Stadt. Nun plant Kiziltepe Zeltstädte. Eine Variante, die gerade ihre Partei, die SPD in Bund auch Land, eigentlich nicht mehr gelten lassen möchte. Es geht nicht anders. Doch Berlin hat obendrein nicht mehr genügend städtische Freiflächen. Eine echte Herausforderung für die 47-jährige Kreuzbergerin, gilt sie doch in der Berliner SPD als Hoffnungsträgerin und mögliche Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2026. Damit ist sie parteiintern direkte Konkurrentin ihrer SPD-Landesvorsitzenden Giffey. Nicht ganz ohne Hintergedanken hat sie offenbar Kiziltepe für den Senatsposten in der Migration vorgeschlagen, denn mit dieser Aufgabe macht niemand gute Schlagzeilen. Kiziltepe versucht nun über eine Bundesratsinitiative zumindest die Stadtstaaten bei der Flüchtlingsaufnahme zu entlasten. Sie will, dass die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin bei der Aufnahme von Geflüchteten aufgrund von fehlenden Flächen entlastet werden. Doch die Initiative ist völlig aussichtlos, die Flächenländer werden da geschlossen nicht mitspielen.
Eine weitere fast nicht zu bewältigende Aufgabe ist die Misere an den Berliner Schulen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch von der CDU hat hier eine gleichauf ähnlich unlösbare Situation wie ihre SPD-Kollegin aus dem Migrationsressort. Die Bildungssenatorin, selbst Lehrerin und bis vor Kurzem Schulleiterin, kennt die Misere aus eigenen Anschauung also nur zu gut. Sie verspricht eine Bildungsoffensive, mehr Lehrer, Sanierung der Gebäude, bessere Lehrmittel, was man halt so verspricht in den ersten 100 Tagen nach Amtsantritt. Doch das alles wird nicht in den jetzt noch gerade mal verbleibenden gut drei Jahren umzusetzen sein, das weiß auch Günther-Wünsch.
Ein Problem, dass allen Berlinern auf den Nägeln brennt, dass auch unter anderem zu der Wiederholungswahl im vergangenen Februar geführt hat, ist die Verwaltungsreform. Ganz abgesehen von Abgeordnetenhauswahlen, die zukünftig auch ohne UN-Wahlbeobachter funktionieren sollen, geht es um Bürgerämter, die erreichbar sind und nicht erst in einem halben Jahr einen Termin haben. Dazu gibt es bislang weder Initiative noch Sofortplan.
Grundproblem für die neue Landesregierung auch hier: Ihr rennt die Zeit davon. In drei Jahren sind Neuwahlen, damit bleiben gerade noch zwei Jahre fürs politische Gestalten, und dann wirft der Wahlkampf wieder seine Schatten voraus. Die Verwaltungsreform hat in 30 Jahren nicht geklappt, da dürfte in den zwei real verbleibenden Jahren also nicht viel passieren, auch wenn der Regierende Bürgermeister Kai Wegner sie zur Chefsache erklärt hat, aber der ist ja derzeit viel auf Reisen.