Der Lehrermangel in Berlin wächst, die Zahl der Schüler auch. Viele Schulen in Berlin sehen sich zum Schulstart am absoluten Maximum. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch steht wenige Monate nach Amtsantritt vor großen Herausforderungen.
Die Örtlichkeit hätte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) nicht besser wählen können: Ihre Pressekonferenz anlässlich des Berliner Starts ins kommende Schuljahr findet in Berlins erster „Compartmentschule“ statt. Das bedeutet, dass die Räumlichkeiten nicht entlang eines Flurs verlaufen, sondern aus von mehreren Seiten zugänglichen Klassenzimmern bestehen, hinter deren großen Fensterfronten die Schüler selbst zwischen Schreibtischen, Stehtischen und Leseecken wechseln können. Alles inklusiv und an das Konzept der Montessori-Pädagogik angelehnt. „Wir wollen hier Schule neu denken“, erklärt in diesem Rahmen auch Schulleiterin Sandra Scheffel. Ein Problem, Lehrkräfte für ihr Konzept zu finden, hat sie nicht. Ganz im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer Berliner Schulen, die teilweise ihren Stellenbedarf nur zu 80 oder gar 60 Prozent decken können.
Rund 1.000 Kündigungen
„Der Personalmangel und die ständig wachsenden Anforderungen an den Beruf belasten Lehrkräfte ganz erheblich“, so Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Dies sorge für eine Überlastung und damit verbunden auch der gestiegenen Zahl an Kündigungen im Lehrerberuf. Im vergangenen Jahr hätten nach Angaben der GEW rund 1.000 Berliner Lehrkräfte gekündigt – das wäre eine Verdopplung innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Etwa 1.460 Lehrerstellen sollten somit – Stand Mai – im kommenden Schuljahr unbesetzt bleiben. Das wären im Schnitt zwei Lehrer pro Berliner Schule – so viele wie noch nie. Im Vorjahr waren es 875 unbesetzte Lehrerstellen. „Es könnte sein, dass es doch weniger als befürchtet werden“, gibt Günther-Wünsch nun auf ihrer Pressekonferenz leichte Entwarnung. Genaue Zahlen könne man erst im September veröffentlichen, denn da lägen die Rückmeldungen aus den Schulen vor. Der Unterrichtsbedarf aber, so die Senatorin, sei von Lehrkräften abgedeckt. Das ist unter anderem dem zu verdanken, dass Schulen die Möglichkeit bekommen haben, Lehrerstellen umzuwandeln und beispielsweise Lerntherapeuten, Logopäden oder Sozialarbeiter einzustellen. Diese zusätzlichen Fördermaßnahmen bleiben bisweilen an Lehrern hängen: Rund ein Drittel der Berliner Lehrer konnten aufgrund dieser Zusatztätigkeiten im vergangenen Schuljahr kaum bis gar nicht unterrichten. In anderen Bundesländern liegt diese Quote deutlich tiefer.
Dabei hatte man für das nun begonnene Schuljahr erst 3.225 neue Lehrer eingestellt – 150 mehr als im Jahr davor. Doch diesem noch immer zu niedrig bemessenen Lehrkräftepool steht in diesem Jahr ein Rekordhoch an Schülern entgegen. Rund 395.000 Berliner Kinder werden in diesem Schuljahr einen Schulplatz benötigen, das sind gut 6.500 mehr als im Vorjahr. Der große „Berlin-Plan“ der CDU, der unter anderem eine 110-prozentige Personalauslastung bei Lehrern zur Vermeidung von Unterrichtsausfällen vorsah, ist somit reine Utopie. Gleiches gilt für die Forderung, künftig auf kleinere Klassen zu setzen: 20 Schüler pro Grundschulklasse und 25 an weiterführenden Schulen, so hatte es die Partei um Günther-Wünsch gefordert, wollte diese Zahlen sogar im Schulgesetz festschreiben lassen. Beide „Wunschgedanken“ schafften es am Ende nicht einmal in den Koalitionsvertrag.
Ebenfalls kein Thema für das kommende Schuljahr ist die von Günther-Wünschs Vorgängerin Astrid-Sabine Busse (SPD) angedachte Steuerung bei der Frage, an welchen Schulen Lehrkräfte eingesetzt werden. Diesem staatlichen Eingriff steht die Unionspolitikerin eher skeptisch gegenüber, das hat aber gleichzeitig auch zur Folge, dass gerade „Brennpunktschulen“ mit erhöhtem Bedarf nur bedingt auf kurzfristige Entlastung hoffen können. Aber: „Wir wollen während des Studiums, des Praxissemesters, die Studentinnen und Studenten gern an diese Schulen leiten“, so Günther-Wünsch. Auch während des Referendariats soll dort vermehrt Erfahrung gesammelt und im Idealfall auch zu einem späteren Bleiben animiert werden.
Auch den hohen Schülerzahlen will sie schnell entgegnen und dem Platzproblem ein Ende bereiten, bevor es wirklich beginnen kann: 7.000 weitere Plätze sollen in den kommenden zwölf Monaten entstehen. „Das Ziel ist, bis zum Sommer 2026 den Schulplatzmangel weitestgehend behoben zu haben“, so Günther-Wünsch. Dafür soll eine Milliarde Euro in den Bau neuer Schulgebäude investiert werden. Neben den Neubauprojekten werden aktuell auch 130 Schulen im laufenden Betrieb saniert.
Grund für das Rekordhoch sind unter anderem rund 7.500 schulpflichtige Kinder aus der Ukraine, die in der Bundeshauptstadt Schutz suchen. Rund 1.100 der geflüchteten Kinder konnte in diesem Schuljahr kein Platz an einer Schule gegeben werden, im Mai waren es noch 1.700 ohne Schulplatz. Günther-Wünsch setzt für sie auf „tagesstrukturierende und schulvorbereitende Maßnahmen“.
Neubauten und Sanierungen
Weniger Engagement beklagen gerade Elternvertreter in Sachen Lehrermangel: „Die bisherige Strategie, noch einzustellen, was irgendwie da ist, scheitert daran, dass der Markt jetzt leer ist“, äußerte der Landeselternausschussvorsitzende Norman Heise beispielsweise vergangenen Monat gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Zu viel würde dem Ausschuss nach auf Seiten- und Quereinsteiger gesetzt, die aber am Ende weiteren Mehraufwand für Lehrkräfte bedeuten würden, Stichwort Einarbeitung. Für notwendig erachten Heise und Co. viel eher, den Numerus clausus bei Lehramtsstudiengängen abzuschaffen, damit die Zahl derer steigen könne, die überhaupt ein Lehramtsstudium beginnen. Aktuell gäbe es rund 900 Lehramtsstudenten in Berlin.
Doch auch ein Anstieg der Studenten würde selbstredend keine kurzfristige Entlastung bieten. Quereinsteiger oder Lehrkräfte aus dem Ausland könnten eine Option sein, wenigstens etwas gegenzusteuern, doch hier steht die Bürokratie im Weg: Quereinsteiger können in der Regel nur in einem Fach unterrichten. Dasselbe gilt für viele Lehrkräfte aus dem Ausland. In Deutschland sind aber zwei Fächer üblich. Diese Lehrkräfte müssen zuerst ein zweites Fach nachstudieren und später ein verkürztes Referendariat absolvieren. Wie viele Quereinsteiger am Ende genau wegen dieser Hürde das Handtuch werfen, ist nicht bekannt. Die Öffnung, Quereinsteiger auch mit „nur“ einem Fach lehren zu lassen, werde aktuell von Senatsseite „geprüft“. Auch die Erleichterung der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse befinde sich in Prüfung. Viele Lehrer vermissen konkrete Hilfen vonseiten des Senats, die angespannte Situation zeitnah zu entschärfen.
Seit dem 28. August läuft das Schuljahr wieder. Von den nahezu idealen Bedingungen, wie sie an der Compartmentschule an der Landsberger Allee erwartet werden, scheinen die meisten anderen Schulen in Berlin wohl ein gutes Stück entfernt. Ein genaues Bild wird sich wohl erst in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.