Per Volksentscheid wurde 2014 gesetzlich festgelegt, dass das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden darf. Nun macht der neue Senat aus CDU und SPD den Vorstoß, die Entscheidung auszuhebeln. FORUM befragte dazu einen Vertreter des Senats und ein Mitglied der Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“.
PRO Bebauung
Herr Pallgen, warum plädiert Ihr Haus für eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes?
Mit Blick auf die Wohnungsknappheit in Berlin müssen wir uns fragen, welche Flächen sich in der gesamten Stadt für den Wohnungsbau eignen. Dazu gehört auch das Tempelhofer Feld, weil es Teil der wenigen landeseigenen Grundstücke ist. Es wird immer wieder gefordert, dass neue Wohnungen gebaut werden, aber niemand möchte, dass das vor der eigenen Haustür geschieht. Die Wohnungsnot betrifft aber alle Berliner – deswegen brauchen wir beim Tempelhofer Feld eine stadtweite Debatte und keine, die nur in den angrenzenden Bezirken geführt wird. CDU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag eine Neubewertung des Tempelhofer Feldes vereinbart. Diesen Prozess starten wir jetzt.
Mit dem Volksentscheid haben die Berliner entschieden, dass das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden darf. Warum will der Berliner Senat diesen Volksentscheid jetzt kippen?
Die Welt dreht sich weiter. Neun Jahre nach dem Volksentscheid ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt eine gänzlich andere. Wenn eine Neubewertung gefordert wird, ist damit ja noch nichts festgelegt. Bevor man einen Ideenwettbewerb auslobt, wollen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Dadurch wollen wir in den Dialog treten und diskutieren, inwiefern das Tempelhofer Feld zur Lösung der Wohnungsfrage beitragen kann. Diese Diskussion sollte sachlich geführt werden. Jetzt bereits zu raunen, dass das ganze Tempelhofer Feld bebaut werden soll, ist Quatsch.
Niklas Schenker von der Linkspartei kritisiert in einem Interview, dass frühestens in 15 Jahren Wohnungen auf dem Areal entstünden, und dass das Problem aber akut sei. Wie sieht Ihre Schätzung aus? Wann könnten erste Wohnungen bezugsfähig sein?
Hierauf zu antworten wäre ein unseriöser Blick in die Glaskugel. Wir werden den Prozess der Neubewertung jetzt starten. Der mündet dann in einen Ideenwettbewerb. Das geschieht noch in dieser Legislaturperiode. Was danach kommt, entscheidet sich dann.
Was unternimmt der Senat noch, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Wir haben 22 neue Stadtquartiere über die gesamte Stadt verteilt in der Planung und Umsetzung, in denen perspektivisch über 100.000 Menschen ein neues Zuhause finden werden. Wir haben zahlreiche Förderinstrumente, damit bezahlbare Wohnungen gebaut werden können. Bei allen Flächen, über denen ein Bebauungsplan liegt oder aufgestellt wird, kommt das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung zur Anwendung. Damit verpflichten wir Bauherren zur Übernahme der Kosten für soziale und technische Infrastruktur, die Voraussetzung oder Folge des geplanten Vorhabens sind. Der Anteil an mietpreis- und belegungsgebundenem Wohnraum beträgt dabei 30 Prozent. Interview: Julia Christ
Zur Person
Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen unter Senator Christian
Gaebler (SPD).
Contra Bebauung
Frau Brandt, das Tempelhofer Feld darf laut Volksentscheid nicht bebaut werden. Ist es juristisch möglich, diese Entscheidung immer wieder infrage zu stellen?
Das ist ja genau der Plan von CDU/SPD: Die Bevölkerung so lange befragen, bis ihnen das Ergebnis passt: Da man einen Volksentscheid aber nicht so einfach wiederholen kann und schon gar nicht von oben anordnen, will man am liebsten eine kleine Umfrage in den Randlagen Berlins als repräsentativ verkaufen. Das ist sehr weit weg von direkter Demokratie. Die Entscheidung ist doch längst gefallen. Seit 2014 haben sich die Besucherzahlen vervierfacht. Auf der Liste der beliebtesten Parks in Deutschland rangiert das Feld auf Platz zwei nach dem Englischen Garten in München.
Der Senat fordert eine Bebauung, zumindest am Rand, und will dazu einen Ideenwettbewerb machen.
Wozu ein Ideenwettbewerb? All das gibt es doch schon, seit dem Volksentscheid wird das Feld partizipativ in einem Bürgerbeteiligungsformat entwickelt. Es braucht keine neuen, ambitionierten Pläne von Landschaftsarchitekten. Das Feld hat eine ganz klar gestaltete Struktur und die gefällt den Menschen so, wie es ist. Es gibt noch offene Wünsche, wie mehr schattenspendende Bäume am Rand, mehr Bänke, mehr Toiletten und Gastronomie. Und genau daran wird ja längst gearbeitet.
In dem Gremium Feldkoordination etwa arbeiten gewählte Bürger*innen gemeinsam mit Grün Berlin und der Senatsumweltverwaltung und investieren dafür nicht selten zehn bis 15 unbezahlte Arbeitsstunden pro Woche oder mehr. Jetzt einfach etwas völlig anderes auf dem Feld tun zu wollen, etwa zu bauen, zeigt nicht nur Ignoranz in Bezug auf einen demokratischen Entscheid, sondern auch absolute Respektlosigkeit gegenüber den Ehrenamtlichen.
Was halten Sie von der Argumentation des Senats, eine (Rand-) Bebauung des Feldes könne gegen Wohnungsnot in Berlin helfen?
Berlin mangelt es an Wohnungen für untere und mittlere Einkommen, aber diese Einkommensgruppen hat der CDU/SPD-Senat schon lange nicht mehr im Fokus. Allein die Erschließungskosten auf dem Feld sind zu hoch, um dort anschließend sozialverträgliche Mieten anbieten zu können. Wer auf dem Feld bauen will, baut Luxus: Zentrale Lage mit Blick ins Grüne, jeder Immobilienentwickler leckt sich die Finger danach. Und genau darum geht’s: die eigene Klientel zu bedienen. Es gibt einen Stadtentwicklungsplan, in dem die Flächen für die Neubauziele festgelegt sind, das Feld kommt darin nicht vor. Da noch kein Senat in den letzten 15 Jahren seine Neubauziele erreicht hat, gibt es auch keinen Grund, auf Bauflächen zu schielen, die es gar nicht braucht. Die Frage ist also: Warum will der Senat trotz des Volksentscheids dort unbedingt bauen?
Sprechen weitere Gründe gegen eine Bebauung?
Man kann nicht einfach bauen, bauen, bauen und sich keine Gedanken machen um die klimatische und soziale Versorgung der Stadt. Das was CDU und SPD als „behutsame“ Randbebauung bezeichnen, wäre für die Stadtnatur eine Katastrophe. Das Feld wäre eine Riesenbaustelle über Jahrzehnte. Die jetzt ausgewogene Mischung von Erholungsflächen und Naturschutz wären für immer verloren. Neukölln ist der Stadtteil mit der größten Bevölkerungsdichte. An vielen Wochenenden verzeichnet das Feld über 70.000 Besucher*innen pro Tag. Wo sollen all die Menschen hin?
Welche Ideen wollen Sie in Zukunft umsetzen? Und was ist mit dem historischen Flughafengebäude?
Nebelduschen, Wasserspielplätze, Bänke, Bäume auf dem Feld. Das Flughafengebäude könnte endlich saniert und mit einer gesunden Mischnutzung zum Leben erweckt werden: Gewerbe, Bildung, Kultur, Soziales. Alles, was CDU und SPD an sozialen oder gemeinwohlorientierten Projekten für das Tempelhofer Feld vorschlagen, kann im Flughafengebäude untergebracht werden. Dann hätte das Gebäude auch endlich eine gemeinwohlorientierte Nutzung. Interview: Daniela Noack
Zur Person
Anky Brandt, Grafikerin im kulturellen und sozialen Bereich, seit 2020 Mitglied der Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld.