Nicht nur dem australischen Great Barrier Reef, sondern auch den meisten anderen Korallenriffen dieser Erde könnte schon im kommenden Jahrzehnt das Aussterben drohen. Ein weiterer von vielen Gründen, warum das Klimaziel von 1,5 Grad zwingend notwendig ist.
Im Januar sorgte die erfreuliche Meldung für Aufsehen, dass Meeresforscher vor der Küste Tahitis, das zum französischen Überseegebiet Französisch-Polynesien gehört, in den Tiefen des Südpazifiks ein bisher unbekanntes, völlig intaktes und drei Kilometer langes Korallenriff entdeckt hatten. Ungewöhnlich war die Lage in einer Zone zwischen 35 und 70 Metern. Manche der rosenförmigen Korallen hatten einen Umfang von bis zu zwei Metern. Experten gehen davon aus, dass speziell seine tiefe Lage dieses Riff bislang weitgehend vor Klimaschäden bewahrt hat. Denn andere Korallenriffe in der Region, näher an der Meeresoberfläche angesiedelt, waren 2019 von einer Bleiche betroffen.
Wenn allerdings nicht ganz schnell Grundlegendes passiert, wird es nirgendwo auf dem Globus mehr solche Naturwunder wie die Korallenriffe geben. Schon im Jahr 2018 hatte der Weltklimarat IPCC davor gewarnt, dass 70 bis 90 Prozent der tropischen Korallenriffe der Welt absterben könnten, sofern die globale Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit nicht auf einen Wert von 1,5 Grad Celsius beschränkt werden kann. Schon bei einem halben Grad mehr würden laut der Prognose des IPCC 99 Prozent aller riffbildenden Korallen verschwinden. Auf dem 14. Internationalen Korallenriff-Symposium hatten die 1.200 Fachleute im Juli 2021 mithilfe eines Strategiepapiers Alarm geschlagen. Die Riffe befänden sich an einem Wendepunkt: 30 Prozent seien bereits verloren, weitere 40 Prozent massiv in ihrem Bestand bedroht. Damit könnte eines der artenreichsten Ökosysteme unseres Planeten ausgelöscht werden. Der „Regenwald der Meere" kann zudem die Küsten als natürliche Wellenbrecher vor zerstörerischen Fluten oder Stürmen schützen und bietet für viele Menschen in Berufszweigen wie der Fischerei oder dem Tourismus die Lebensgrundlage, laut Schätzung des Global Coral Reef Monitoring Network für etwa 500 Millionen Menschen.
Korallenbleiche durch zu warmes Wasser
Die weltweit wichtigsten Riffbildner sind die Steinkorallen, deren hartes Skelett aus Aragonit für die Struktur der Riffe sorgt. Korallen sind weder Steine noch Pflanzen, sondern bei ihnen handelt es sich um Kolonien von Polypen, also kleinen Nesseltieren, die eine Symbiose mit sogenannten „Zooxanthellen" eingehen. Dabei handelt es sich um Algen, die von den Korallen mithilfe von fingerähnlichen Ausstülpungen eingefangen und anschließend einverleibt werden. Die Korallen bieten den Algen Schutz und liefern ihnen Kohlendioxid. Im Gegenzug versorgen die Fotosynthese treibenden Zooxanthellen ihren Wirt mit Nährstoffen wie Zucker und sind auch für die Farbbildung verantwortlich. Allerdings funktioniert dieses Zusammenleben in tropennahen Gewässern nur reibungslos bei relativ gleichbleibenden und nicht zu hohen Wassertemperaturen. Steigen diese Temperaturen über 30 Grad, wird nicht nur die Fotosynthese der Algen gehemmt, sondern diese produzieren sogar für die Korallen schädliche Giftstoffe. Das hat zur Folge, dass die Korallen die Algen abstoßen und sich damit ihrer Nährstoffzufuhr berauben und zugleich ihre Farbe verlieren. Daraus ergeben sich dann die sogenannten Korallenbleichen. Sofern die Wassertemperatur nicht innerhalb relativ kurzer Zeit wieder abnimmt, sind die Korallen zum Tode verurteilt.
Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass sich die Korallen unter günstigen Bedingungen relativ schnell wieder erholen könnten, mitunter binnen weniger Monate. Doch inzwischen hat sich die Meinung durchgesetzt, dass starke marine Hitzewellen sie nicht nur ausbleichen, sondern im Laufe weniger Tage sogar zum Absterben bringen. Eine Regenerierung geschädigter Riffe ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn über einen ausreichend langen Zeitraum neuerliche Hitzewellen ausbleiben und sich dadurch der Bestand an geschlechtsreifen Korallen wieder erhöhen lässt. Wie das prominente Beispiel des australischen Great Barrier Reefs zeigt, ist dieses wünschenswerte Szenario einer bleichefreien Regenerationszeit kaum mehr zu erwarten. Erstmals war das Phänomen einer Massenbleiche vor der australischen Ostküste im Jahr 1998 aufgetreten.
Bereits im März hatten Forscher vor einer weiteren, vierten schweren Korallenbleiche aufgrund zu hoher Temperaturen gewarnt. Schon im Juni 2021 hatte sich die Unesco „zutiefst besorgt" über den Zustand des Great Barrier Reefs geäußert und die langfristigen Aussichten des Ökosystems von der Prognose „schlecht" zu „sehr schlecht" abgeändert. „2020 haben wir zum ersten Mal über die gesamte Länge des Riffs eine starke Ausbleiche erlebt", so Prof. Hughes, „in Teilen der nördlichen und zentralen, insbesondere aber der südlichen Region". Laut einer im Oktober 2020 im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B" veröffentlichten Studie sind in den letzten 25 Jahren rund die Hälfte aller Korallen verloren gegangen.
Schon mehrfach hatte die Unesco damit gedroht, das Great Barrier Reef auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes setzen und damit abstufen zu wollen. Australien konnte das mit Blick auf die lukrative Touristenattraktion letztlich erfolgreich verhindern. Man konnte sich darauf verständigen, erst im Jahr 2023 wieder über die Einstufung des Naturwunders zu beraten. Die australische Regierung versuchte sich immer wieder mit dem Hinweis auf millionenschwere Rettungsprogramme zu verteidigen. Man habe viel Geld in die Verbesserung der Meerwasserqualität mittels Reduzierung der durch die Landwirtschaft verursachten Umweltverschmutzung investiert. Beispielsweise habe man zerstörte Riffabschnitte durch Besiedlung mit Korallensetzlingen oder durch Aufforstung mit intakten Strukturen revitalisiert, mit der Aufzucht temperaturresistenterer Korallenarten begonnen und ein künstliches Wolkenprogramm zur Verringerung des Lichteinfalls auf die Meeresoberfläche gestartet. Oder man habe wirksame Mittel gegen die gefräßigen Dornenkronenseesterne entwickelt, die wie Heuschrecken über die Korallen herfallen.
Versauerung der Ozeane
Alles schön und gut, aber zur Rettung des Riffs kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein – weil Australien gleichzeitig unter dem Druck der Kohlelobby lange nichts für eine drastische Senkung der Treibhausgasemissionen, vor allem des CO2-Ausstoßes, getan hat. Vergangenen Monat nahm Australiens Klimaschutzgesetz nun endlich seine letzte Hürde mit dem Ziel, bis 2050 komplett emissionsfrei zu werden. Das jüngste Maßnahmenpaket der australischen Regierung in Höhe von einer Milliarde australischer Dollar soll vor allem gegen die Verschmutzung des Riffs durch Abwässer aus der Landwirtschaft eingesetzt werden.
Letztendlich werden die Korallenriffe weltweit nur durch einen entschlossenen Kampf gegen den Klimawandel zu retten sein. „Die Korallen haben 400 Millionen Jahre Veränderungen auf dem Planeten überlebt", so David Wachenfeld, Chefwissenschaftler bei der für das Great Barrier Reef verantwortlichen australischen Marineparkbehörde, „aber wenn jetzt nicht weltweit deutlich mehr gegen den Klimawandel getan wird, haben wir im Jahr 2100 höchstens noch hier und da ein paar Korallen, aber keine Riffe mehr".
Es bleibt also wenig Zeit. „Das kommende Jahrzehnt ist wahrscheinlich die letzte Chance für politische Entscheidungsträger, einen weltweiten Kollaps der Korallenriffe zu verhindern", so der Biologe und Geograf Prof. Christian Wild von der Universität Bremen. Kein Weg führt vorbei an einer globalen Reduzierung der CO2-Emissionen, die die Ozeane versauern und die Wassertemperaturen steigen lassen.