„Wir sind dann wohl die Angehörigen" zeigt die Geschichte der Reemtsma-Entführung aus Sicht der Familie. Der Film läuft ab 3. November im Kino und orientiert sich am gleichnamigen Buch.

Es gehört mit Sicherheit zu den schlimmsten Erfahrungen, die ein Jugendlicher machen kann: Ohne Vorwarnung wird der Vater von Johann Scheerer (Claude Heinrich) von Unbekannten entführt. Während im Haus der Familie die Polizei die Kontrolle übernimmt, beginnt für den Sohn das Bangen um seinen Vater – und für seine Mutter Ann Kathrin Scheerer (Adina Vetter) der Kampf darum, die Kontrolle über die Ereignisse zu behalten.
„Wir sind dann wohl die Angehörigen" erzählt nach wahren Begebenheiten die Entführung des Hamburger Multimillionärs Jan Philipp Reemtsma (Philipp Hauß) am 25. März 1996 aus Sicht seiner Familie. Die Vorlage dazu ist das Buch von Reemtsmas Sohn Johann Scheerer aus dem Jahr 2018, der darin seine Erlebnisse verarbeitet hat. Der Film bleibt dabei nahezu die ganze Zeit auf der Seite der Angehörigen, die es schaffen müssen, trotz der permanenten Präsenz der Polizei einen eigenen Weg zu finden.
Regisseur Hans-Christian Schmid ist ein einfühlsamer Film gelungen, der auf spektakuläre Effekte verzichtet, dafür aber mit sehr viel Feingefühl auf die Gefühle der Hauptpersonen eingeht und ihre inneren Kämpfe zeigt. Das funktioniert nur aufgrund der sehr guten Leistung der Hauptdarsteller Claude Heinrich und Adina Vetter.
Fremde Entscheidungen

Es ist schon eine Weile her, dass Schmid seinen letzten Kinofilm gedreht hat: „Was bleibt" kam im Jahr 2012 heraus. In Erinnerung dürfte der Regisseur vielen aber durch seine älteren Filme geblieben sein. Zu den bekanntesten gehören „Nach fünf im Urwald" von 1995, „23 – Nichts ist so wie es scheint" (1998) und „Crazy" (2000).
Dass die Entführung von Jan Philipp Reemtsma einigermaßen gut ausgegangen ist, ist fast schon Allgemeinwissen, zumindest für diejenigen, die 1996 schon Nachrichten geschaut oder Zeitung gelesen haben. Reemtsma wurde von seinen Entführern nach 33 Tagen gegen Zahlung von rund 30 Millionen D-Mark freigelassen. Wer während der Zeit der Entführung welche Rolle gespielt hat, und wie es letzten Endes zur erfolgreichen Lösegeldübergabe und Freilassung gekommen ist, ist weniger bekannt.
Für Johann ändert sich mit der Entführung unheimlich viel: Er bekommt einen Angehörigen-Betreuer der Polizei zur Seite gestellt und soll so ziemlich keinen Schritt mehr allein tun. Zur Schule darf er erst mal nicht mehr gehen – er sei krank, ist die vorgeschobene Entschuldigung. Zwar sind die Angehörigen-Betreuer nett und geben sich alle nur erdenkliche Mühe, die Familie zu unterstützen. Aber gleichzeitig stehen sie auch dafür, wie schwierig die Situation ist.
Im Haus der Familie macht sich die Polizei breit. Das Telefon wird überwacht, die Post schon im Verteilzentrum abgefangen. Ann Kathrin Scheerer bittet Johann Schwenn, den Anwalt der Familie, um Hilfe. Um sofort zur Stelle zu sein, quartiert der sich im Wohnzimmer ein.
Bei der Übergabe drängt die Zeit

Mit viel Liebe zum Detail lässt der Film das Jahr 1996 wieder auferstehen. Das sieht man an der Einrichtung des Wohnhauses der Familie. Und dazu trägt ein Kniff ganz zu Beginn des Films bei: Noch bevor die ersten Bilder zu sehen ist, hört der Zuschauer das markante Geräusch eines Faxgeräts, das auf einen Anruf reagiert.
Das größte Problem bei den Verhandlungen mit den Entführern: Die Polizei nimmt Mutter und Sohn die Entscheidungsgewalt aus der Hand. Während Ann Kathrin Scheerer das geforderte Lösegeld zahlen und so ihren Mann möglichst rasch befreien will, hat die Polizei ganz offensichtlich noch eine andere Absicht: Sie will die Entführer dingfest machen. Zwar klingt ihr Argument überzeugend: Wenn sie damit rechnen müssen, geschnappt zu werden, werden sich die Entführer scheuen, den Entführten umzubringen. Wenn nicht, könnte das ihr Weg sein, um ihre Spuren zu verwischen.
Trotzdem erweist sich die Präsenz der Polizei als Bremse: Die Entführer sind am Telefon mit verzerrter Stimme kaum zu verstehen, gleichzeitig sind ihre Anweisungen zur Geldübergabe kompliziert. Und obwohl sich Johann Schwenn, der das Lösegeld übergeben soll, große Mühe gibt, platzt eine Geldübergabe nach der anderen. Mal ist das Auto mit dem Geld nicht rechtzeitig zur Stelle, weil die Polizei vorher noch einen GPS-Sender einbaut. Ein anderes Mal vertut sich der Anwalt bei einer Kontrollfrage der Entführer, die eine Falle der Polizei vermuten. Die Zeit drängt – denn mit jeder gescheiterten Geldübergabe steigt die Gefahr, dass die Entführer die Nerven verlieren.