Drei Fragen
„Menschen werden weiter verunsichert“
Das deutsche Gesundheitssystem ist nicht krisenenfest, sagt Prof. Ferdinand M. Gerlach, der deutsche Vorsitzende des Sachverständigenrates der Bundesregierung für Gesundheit und Pflege.
Herr Prof. Gerlach, was haben denn die politisch Verantwortlichen aus der Pandemie nicht gelernt?
Das ist weniger ein Erkenntnis- als vielmehr ein Daten- und daraus resultierend, ein Umsetzungsproblem. Nach zwei Jahren Pandemie wissen zwar die politisch Agierenden genau wo es hakt, aber es gibt bis zum heutigen Tag keine zentrale Erfassung der Fallzahlen, zum Beispiel von den tatsächlich Covid-Infizierten. Ein Problem, das aus der Struktur des Krankenhaussystems in Zusammenarbeit mit, zum Beispiel, den örtlichen Gesundheitsämtern resultiert. Das wurde während der Pandemie klar benannt und Besserung gelobt, aber passiert ist diesbezüglich bislang nicht viel. Sollten wir also heute eine ähnliche Situation haben, wie im Frühjahr 2020, dann würden wir heute erneut vor den gleichen Problemen stehen.
Unterliegen wir also zwei Jahre nach der Corona-Krise in Deutschland in der aktuellen Situation einer Selbsttäuschung?
Ja! Unser Gesundheitssystem ist hochkomplex. Unter formal-juristischer Betrachtung ist es ein Schön-Wettersystem, das in normalen Zeiten bestens funktioniert, aber auf besondere Situationen bis heute nicht reagieren kann. Trotz aller Beteuerungen hat sich in den Abläufen nichts geändert. Die zentrale Erfassung der Daten wird weiterhin durch Datenschutzauflagen behindert. Dazu kommt, wir haben nicht einen Gesundheitsminister, sondern 17. So schön die Eigenständigkeit der Länder ist, aber in einer Krisensituation ist die wenig hilfreich, wie wir das in mehreren Situationen erlebt haben, wenn jedes Land eigene Entscheidungen trifft.
Was empfiehlt der Sachverständigenrat Gesundheit?
Als erstes, die Bündelung der Kompetenzen und einen völlig neuen „All-Gefahren-Ansatz“. Das heißt, in besonderen Gefahrensituationen muss es eine zentrale Koordinierungsstelle geben, die dann auch durchgreifend Entscheidungen treffen kann. In einer Gefahrensituation gibt es nichts Schlimmeres, als dass es, wie zum Beispiel während der Pandemie, eine weitgehend unkoordinierte Kommunikation gab. Die Menschen in unserem Land werden damit nur weiter verunsichert, und das wirft dann auch bei den Betroffenen Fragen auf und sorgt für Verwirrung. So eine Situation muss zukünftig verhindert werden. Interview: Sven Bargel
Zankapfel autofreie Friedrichstraße
Autofahrer müssen ab sofort wieder Umwege fahren. Der 500 Meter lange Abschnitt der Friedrichstraße zwischen Leipziger und Französischer Straße ist erneut für den Pkw-Verkehr gesperrt. Er soll zur Fußgängerzone umgewandelt werden. Der Abschnitt war ab August 2020 im Rahmen eines Verkehrsversuchs schon einmal für Autos gesperrt. Das Berliner Verwaltungsgericht gab einer Klage dagegen statt und Ende November 2022 wurde der Abschnitt für Autos zunächst wieder freigegeben.
Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Die Grünen) hatte die Maßnahme mitten im Wahlkampf angekündigt. Im Frühjahr soll mit der Begrünung und weiteren Umgestaltung begonnen werden. Ihr Alleingang wird von vielen Seiten kritisiert. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin spricht von Aktionismus. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner bezeichnete die Entscheidung als Irrweg, der Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB) als Wahlkampfaktion. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bemängelt eine fehlende Abstimmung mit dem Senat.
Berliner Feuerwehr: Krankentransporte
Ab sofort können über die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116 117 keine Krankentransporte mehr angefordert werden. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin hat die Vermittlung von Krankentransporten wegen Arbeitsüberlastung aufgegeben. Es habe sich um eine freiwillige Serviceleistung gegenüber den Versicherten gehandelt, doch die Zahl der Vermittlungen sei stark gestiegen. Versicherte, die aus medizinischen Gründen selbst nicht in der Lage sind, einen Krankentransport zu organisieren, müssen nun an die Feuerwehr abgegeben werden. Im Senat wird über Zuständigkeiten gestritten. Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) sorgt sich, dass der ohnehin überlastete Berliner Rettungsdienst auch für Krankentransportfahrten in Anspruch genommen wird. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) lässt verlauten, sie sei an einer schnellen und tragfähigen Lösung interessiert, ihr Haus sei aber nicht zuständig.
Briefpost nur noch alle zwei Tage
Geht es nach dem Bundeswirtschaftsministerium, dann soll ein zentraler Passus im Postgesetz gestrichen werden: 80 Prozent der Briefpost müssen derzeit am nächsten Werktag zugestellt sein. Diese Regelung sei nicht mehr zeitgemäß, steht in einem Positionspapier des Wirtschaftsministeriums in Berlin. Darum soll der Briefträger zukünftig nur noch alle zwei Tage kommen. Das soll bei der Briefzustellung den Zeit- und Kostendruck nehmen. Allerdings hinkt das Wirtschaftsministerium damit der Realität hinterher. Seit Jahren schafft die Post die 80-Prozent-Regel längst nicht mehr, schon gar nicht in den ländlichen Räumen. Aber auch in den Ballungszentren und Städten kommt der Briefträger oft nur noch alle zwei Tage. Grund dafür sei laut der Post-AG in Bonn der akute Personalmangel. Kritik an dem Vorhaben kommt jetzt von der FDP.
Werte-Union
Maaßen soll CDU verlassen
Nun zieht CDU-Chef Friedrich Merz persönlich die Reißleine und fordert den Ausschluss von Hans-Georg Maaßen aus der CDU. Maaßen wurde am letzten Januar-Wochenende zum neuen Vorsitzenden der Werte-Union gewählt.
Zwar ist die Werte-Union keine Parteiorganisation der CDU, aber viele der gut 4.000 Mitglieder sind entweder Unionsmitglieder oder gelten als CDU-nah. „Das Maß ist voll. Wir haben Herrn Maaßen aufgefordert, die Partei zu verlassen. Ein Parteiausschluss ist nicht ganz einfach, aber wir lassen gerade sorgfältig prüfen, welche Möglichkeiten wir haben“, sagt Merz. Maaßens Sprache und Gedankengut habe in der CDU keinen Platz mehr. Seit Jahren fällt Maaßen, der Mitglied in der Thüringer CDU ist, immer wieder mit umstrittenen, äußerst rechten Äußerungen auf. Seit bereits drei Jahren gibt es immer wieder Forderungen, Maaßen aus der CDU auszuschließen, doch bislang schreckte die Führung der CDU vor dem komplizierten Verfahren zurück.
Ticket mit Rabatt
Gute Nachrichten in den Debatten rund um das Deutschland-Ticket: Beim geplanten 49-Euro-Monatsticket im Nahverkehr könnte es einen Rabatt auf Jobtickets geben. Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz der Länder sagte, Bund und Länder diskutierten für Jobtickets derzeit eine eigene Regelung. Firmen könnten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Ticket dann vergünstigt anbieten, wenn sie sich an den Kosten beteiligen. Über weitere Rabatte etwa für Studierende und Azubis entscheiden allein die Länder, die die Kosten dann auch selbst übernehmen müssen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) befürwortete einen Rabatt auf das 49-Euro-Ticket für Arbeitgeber beim Kauf bestimmter Kontingente. „Das Jobticket gehört zu den am meisten verkauften Tickets, aktuell haben wir mehrere Millionen Abonnentinnen und Abonnenten“, teilte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff mit.
Hilfe bei schlechten Noten
Die Halbjahreszeugnisse stehen an. Nicht alle Schülerinnen und Schüler konnten in der Pandemie den aktuellen Lernbedingungen wie Wechsel- oder Distanzunterricht folgen. Viele seien im Lernstoff zurückgefallen und konnten ihn bis heute nicht aufholen, erklärt der Kinderschutzbund. Deshalb appelliert er in einer Presseerklärung an alle Erziehungsberechtigen, nachsichtig zu sein, das Gespräch zu suchen und schlechte Zeugnisse nicht zu bestrafen. Hilfe gibt es auch per Telefon, auch für ukrainische Kinder und Eltern: Speziell ausgebildete, ehrenamtlich engagierte Beraterinnen und Berater unterstützen die Anrufenden bei Alltagsproblemen und in schwierigen Lebenssituationen.
Kinder und Jugendliche können unter der Nummer 116 111 anrufen, Erziehungsberechtigten steht das Elterntelefon unter 0800-111 0550 zur Verfügung. Die neu eingerichtete Helpline Ukraine für Russisch- und Ukrainischsprachige ist unter 0800-5002250 erreichbar.
Gamechanger in Ensdorf
Die geplante Halbleiter-Chipfabrik in Ensdorf kann nach Einschätzung aus der Landespolitik ein „echter Gamechanger“ für den saarländischen Strukturwandel werden. Dass die Ansiedlung eine weit über das Land hinausreichende Signalwirkung entfaltet, unterstreicht der Besuch von Bundeskanzler Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (zu einem Zeitpunkt, als diese Ausgabe bereits in Druck war – ausführliche Berichte folgen). Der Chipherstellers Wolfspeed aus North Carolina (USA) plant in Ensdorf sein europäisches Standbein für die Produktion von Halbleitern aus Siliziuimkarbid, die als Baustein für Elektromobilität und Autonomes Fahren gelten. Das Projekt dürfte zu etwa 40 Prozent mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Wolfspeed und ZF sind bereits 2019 eine strategische Partnerschaft. Für die Produktionsanlage in Ensdorf ist Wolfspeed federführend, bei einem geplanten gemeinsamen Forschungszentrum hat ZF die Federführung. Dieses wird vermutlich bei ZF in Friedrichshafen entstehen, bestätigt war das aber bei Redaktionsschluss noch nicht.
Jobcenter überlastet
Laut einer Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) leidet die Agentur unter einer paradoxen Situation: Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2005 beinahe halbiert, der Personalstand ist dagegen um gut 20 Prozent angestiegen. Trotzdem arbeite die Behörde an ihrer äußersten Belastungsgrenze, lautet eine Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit. „Die ständig neuen gesetzgeberischen Vorgaben treiben die BA an die Belastungsgrenze. Die Mitarbeiter erhalten über ein ehrgeiziges Bundesministerium für Arbeit immer mehr Aufgaben“, sagt die Verwaltungsratsvorsitzende Christina Ramb. Die Umsetzung neuer Gesetze, vom Bürgergeld über die Bildungszeit bis zur Fachkräftezuwanderung, samt IT-Bedarf und veränderter Weisungen, binde viel Personal, erklärt Ramb. Im Übrigen sei die Beratung und Förderung bei Arbeitslosen und Beschäftigten heute im Schnitt vielschichtiger als zu Zeiten der Massenarbeitslosigkeit.
Social Media
Trump wieder bei Facebook
„Wir werden die Sperrung der Facebook- und Instagram-Konten von Mr. Trump in den kommenden Wochen beenden“, meldete Meta, der Mutterkonzern von Facebook. Generell wolle man einer offenen, öffentlichen und demokratischen Debatte nicht im Wege stehen. Das hieße aber nicht, dass der Meinungsfreiheit auf der Plattform keine Grenzen gesetzt sind. Die Suspendierung von Donald Trump sei eine außergewöhnliche Entscheidung unter außergewöhnlichen Umständen gewesen. Die Facebook- und Instagram-Konten des Ex-US-Präsidenten waren wegen seiner Rolle bei den Ausschreitungen am 6. Januar 2021 gesperrt worden. Trump hatte gegen die Sperrung geklagt und eine eigene Plattform gegründet. Seine Sperre bei Twitter war nach der Übernahme des Kurznachrichtendienstes durch Elon Musk aufgehoben worden. Sollte er jedoch wieder gegen die Richtlinien verstoßen, könne er auch wieder suspendiert werden, hieß es bei Meta.
Wahlrechtsreform soll bis Mai stehen
Nach über zehn Jahren soll nun die überfällige Wahlrechtsreform auf den Weg gebracht werden. Es geht darum, den Bundestag auf die Soll-Größe von 598 Abgeordneten zu reduzieren. Derzeit sind es 736 (durch Überhang- und Ausgleichsmandate). Der Gesetzesentwurf der Ampelregierung sieht vor, dass es bereits bei der nächsten Bundestagswahl keine Zusatzmandate mehr geben soll. Diese entstehen, wenn ein Direktkandidat zwar seinen Wahlkreis gewonnen hat, aber seine Partei nicht die Mehrheit der Stimmen errungen hat. Darum sollen nun die Direktkandidaten nicht nur die meisten Erststimmen auf sich vereinen müssen, sondern ihre Partei muss auch bei den Zweitstimmen vorn liegen. Betroffen wäre davon vor allem CDU/CSU, die im Bundestag die meisten Direktkandidaten stellen. Darum will die Union lieber die Zahl der Wahlkreise absenken, was allerdings zu Lasten der kleineren Parteien gehen würde. Beim Reformvorschlag der Ampel ist davon auszugehen, dass Kläger eine Überprüfung durch das Verfassungsgericht anstreben werden.
Italien behindert Seenotretter
Ein neues Dekret der Regierung Meloni will zivile Seenotrettungsorganisationen daran hindern, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Von den Schiffen wird verlangt, nach jeder Rettung sofort nach Italien zu fahren, was weitere Hilfsmaßnahmen verzögert. Zudem werden den Schiffen häufig weit entfernte Häfen zugewiesen.
„Das italienische Dekret verstößt gegen internationales Seerecht, Menschenrechte und europäisches Recht und sollte daher eine starke Reaktion der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, der europäischen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen hervorrufen“, heißt es in einer Stellungnahme von „Ärzte ohne Grenzen“, die von 19 weiteren zivilen Organisationen unterzeichnet wurden. Die Helfer zeigten sich äußerst besorgt darüber, dass sie gehindert werden, Menschen aus Seenot zu retten. „Seit Mai 2021 sind „Ärzte ohne Grenzen“ mit dem Schiff „Geo Barents“ auf dem Mittelmeer im Einsatz. Nach Medienberichten widersetzte sich nun die Besatzung den neuen Regeln und nahm beim Kurs auf einen Hafen weitere Menschen an Bord.
Rechtsverletzungen im Lockdown
Spanien hat in der Corona-Krise gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen, sagt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI). Die NGO kritisiert, dass während des harten Covid-19- Lockdowns im Jahr 2020 die Rechte der Altersheimbewohner verletzt worden seien. AI spricht von „völliger Vernachlässigung ihrer Angehörigen“ durch die staatlichen Institutionen und von „weit verbreiteter Straflosigkeit“. Amnesty International habe fünf Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die an älteren Bewohnern begangen wurden. „Niemand wurde zur Rechenschaft gezogen“, sagte Esteban Beltrán, von AI. Das Recht auf Leben, Gesundheit, Nichtdiskriminierung, auf Privat- und Familienleben und auf einen würdevollen Tod sei „systematisch verletzt worden“.