Bei der 44. Auflage des wichtigsten Golf-Mannschaftswettbewerbs hofft das Team Europa beim Ryder Cup 2023 auf Wiedergutmachung nach der schweren Klatsche gegen das US-Team im Jahr 2021 und auf Fortsetzung seiner 30-jährigen Siegesserie auf europäischem Boden.

Für das erfolgsverwöhnte US-Team ist es so etwas wie ein Fluch. In der Bilanz des traditionsreichen, seit 1927 ausgetragenen Golf-Mannschaftswettbewerb zwischen sportlichen Kontrahenten aus der Alten und der Neuen Welt, wobei die europäischen Gegner bis 1973 ausschließlich aus Großbritannien und bis 1979 und der Etablierung eines Team Europa auch noch aus Irland stammten, mit 27 Siegen bei lediglich 14 Niederlagen klar die Nase vorn hat. Denn seit 1993, sprich seit geschlagenen 30 Jahren, konnten die besten amerikanischen Golf-Spieler in dem nach dem reichen britischen Saatguthändler Samuel Ryder (1858 – 1936) benannten und auf dessen Initiative ins Leben gerufenen Event namens Ryder Cup, der alle zwei Jahre wechselweise in den USA oder auf dem alten Kontinent ausgetragen wird, nicht mehr auf europäischem Boden gewinnen. Vollkommen verständlich daher, dass das US-Team bei der 44. Auflage des Wettbewerbs, der an drei Tagen vom 29. September bis zum 1. Oktober 2023 vor den Toren Roms in Guidonia Montecellio auf dem Course Campionato des „Marco Simone Golf and Country Clubs“ ausgetragen wird, diese Auswärts-Negativserie endlich beenden möchte. Zumal die USA als Titelverteidiger nach ihrem gloriosen und gigantisch hohen 19:9 Triumph aus dem Jahr 2021 in Whistling Straits die Reise nach Italien mit reichlich großem Selbstvertrauen angetreten haben dürften. Aber auch das Team Europa rechnet sich auf heimischem Terrain offenbar wieder große Siegchancen aus und hat dabei sogar, und zwar erst zum dritten Mal in der gesamten Historie, auf die britische Insel als Austragungsort verzichtet.
Einen klaren Favoriten gibt es bei dem Turnier daher nicht. Regelmäßig wird es von einer halben Milliarde Zuschauern vor den heimischen TV-Geräten verfolgt und ist daher das meistgeschaute Golf-Event überhaupt, bei dem die Spieler keinerlei Preisgelder einfahren können, sondern ihre Nominierung für das jeweils zwölf Köpfe zählende Team als große Ehre empfinden. Bei der Prognose für den Ausgang des Events, bei dem das Live-Publikum völlig untypisch für diesen Sport recht lautstark und emotional mitzufiebern pflegt, liegen die Quoten der diversen Wettanbieter jedenfalls ganz dicht beieinander. Hierzulande wird der Ryder Cup 2023 vom Bezahlsender Sky übertragen, dazu kann man das Turnier im Livestream auch auf WOW miterleben. Auf den ersten Blick hin scheinen die US-Amerikaner mit dem Weltranglistenersten Scottie Scheffler und mit gleich drei aktuellen Gewinnern der vier Major-Turniere des Jahres 2023, nämlich Brian Harman bei den British Open, Wyndham Clark bei den US-Open und Brooks Koepma bei den PGA-Championships, etwas stärker zu sein. Aber Europa kann mit einer geschlossenen Dreier-Phalanx auf den Plätzen zwei bis vier der aktuellen Weltrangliste dagegen halten: dem Nordiren Rory McIllroy, dem Spanier Jon Rahm, der zudem 2023 beim Masters, dem vierten Major-Turnier, triumphierte, sowie dem Norweger Viktor Hovland.
US-Team leicht favorisiert

Doch beim Ryder Cup ist beileibe nicht unbedingt die Klasse der Ausnahme-Stars entscheidend, sondern vor allem auch der Team-Spirit, der kollegiale Zusammenhalt und nicht zuletzt die Mannschaftstaktik. Was mit dem sehr speziellen Spiel-Modus zusammenhängt. Im Unterschied zu den sonst üblichen Profi-Golfturnieren wird der Ryder-Cup nicht als sogenanntes Zählspiel (im Englischen „Stroke Play“ oder „Medal Play“ genannt) durchgeführt, bei dem der Spieler mit der niedrigsten Schlagzahl, dem sogenannten Score, gewinnt. Sondern es wird im sogenannten Match Play Mann gegen Mann und damit gewissermaßen nicht wie sonst üblich gegen den Platz gespielt. Es handelt sich dabei um die uralte Golf-Variante des Lochspiels, die erst im Jahr 1759 durch das Zählspiel abgelöst worden war. Wer am Ende des 18-Loch-Kurses im Match Play die meisten Löcher für sich entschieden hat, kann damit sein Team mit einem Punkt belohnen, bei Gleichstand wird das Match geteilt und jedes Team erhält einen halben Punkt. Da an den drei Tagen insgesamt 28 Partien ausgetragen werden, sind letztlich 28 Punkte zu vergeben. Zum Sieg sind daher 14,5 Punkte nötig, mit der einzigen Ausnahme, dass dem jeweiligen Titelverteidiger 14 Punkte zum Behaupten der Krone und des prestigeträchtigen Pokals genügen.
Noch mehr Spannung gewinnt der Ryder Cup durch die drei extrem unterschiedlichen Spielformate namens Foursome, Fourball und Singles. Wobei jeweils der Gastgeber entscheiden darf, ob das Turnier am Vormittag des ersten Tages mit einem Foursome oder einem Fourball eröffnet wird. Team Europa hat sich zum Start am Freitag, 29. September, für Fourball entschieden, es werden daher am Vormittag vier Matches ausgetragen. Bei diesem auch als Klassischer Vierer bekannten Spielformat treten jeweils zwei Spieler einer Mannschaft gegeneinander an und spielen den Ball vom Abschlag aus abwechselnd bis zum finalen Loch. Wobei schon vor dem Auftakt festgelegt werden muss, welcher Spieler an den geraden und welcher an den ungeraden Bahnen abzuschlagen hat. Am Nachmittag des gleichen Tages folgen vier Foursome-Matches. Auch hier handelt es sich um einen „Vierer“, sprich es kommt wieder zu einem Fight zwischen zwei Paaren jedes Teams. Allerdings spielt jeder Kombattant seinen eigenen Ball, wobei für das Team-Ergebnis an jedem Loch nur der jeweils bessere Spieler in die Wertung genommen wird. Am zweiten Tag (30. September) wiederholt sich das Prozedere am Vormittag und Nachmittag mit weiteren acht Partien. Was bedeutet, dass an den beiden ersten Tagen von den jeweils zwölfköpfigen Teams immer vier Spieler pausieren müssen. Erst am dritten Tag kommen bei den Singles alle zwölf Teammitglieder zum Einsatz. Wobei keinem der beiden Teams vorab Informationen darüber vorliegen, wie die Zusammenstellungen der jeweiligen Vierer-Matches an den beiden ersten Tagen und die mannschaftsintern festgelegte Startreihenfolge des Gegners am dritten Tag aussehen wird. Wodurch es immer zu reichlich überraschenden Paarungen kommen kann.
Yannick Paul blieb auf der Strecke

Beide Teams werden von Kapitänen angeführt. Bei den USA ist dafür Zach Johnson zuständig, ein Veteran des Wettbewerbs, der selbst früher zwei Major-Siege feiern konnte. Für Europa übernimmt Luke Donald diese Aufgabe. Dabei entschieden sich diesmal beide Kapitäne für jeweils sechs automatisch qualifizierte Spieler auf Basis von Weltrangliste oder europäischem Ranking aus der Punktewertung der DP World Tour (der früheren European Tour). Und beide Kapitäne wählten jeweils sechs weitere Spieler als sogenannte Captains Picks nach wie immer nicht ganz unstrittigem Gusto (der derzeitige deutsche Top-Golfer Yannick Paul blieb knapp auf der Strecke, zuletzt vertrat Martin Kaymer Schwarz-Rot-Gold im Jahr 2016) und aus taktischen Überlegungen aus.
Für das US-Team konnten sich automatisch Scottie Scheffler (so etwas wie Mister Zuverlässigkeit, auch wenn ihm 2023 ein Master-Titel versagt geblieben war), Wyndham Clarke, Brian Harman (genannt „Bulldogge“), Patrick Cantlay, Max Homa (Spitzname „Ballkönig“) und Xander Schauffele qualifizieren. Dazu wurden Justin Thomas (sehr umstritten, da er eine schwache Saison spielte, als guter Freund des Kapitäns gilt und den Vorzug vor dem formstarken Keegan Bradley erhielt), Rickie Fowler, Collin Morakawa, Jordan Spieth, Sam Burns und Brooks Koepka nominiert. Letzterer konnte nach seinem Wechsel in die strittige, mit reichlich Saudi-Millionen gesponserte und der PGA-Tour in den USA und der DP World Tour in Europa heftige Konkurrenz machende LIV Golf-Tour nicht die nötigen Weltranglisten-Punkte ansammeln, aber belegte neben seinem aktuellen Major-Sieg auch noch den zweiten Platz beim Masters 2023. Die meiste Ryder Cup-Erfahrung im US-Team bringen Jordan Spieth und Rickie Fowler mit, die beide 2023 schon zum fünften Mal teilnehmen.
Spieth und Fowler mit Erfahrung

Für das Team Europa konnten sich Jon Rahm, Rory McIllroy, Victor Hovland (in verblüffender Spätform, allein im August 2023 zwei PGA-Tour-Erfolge), der Schotte Robert MacIntyre sowie die beiden Engländer Matt Fitzpatrick und Tyrrell Hatton direkt qualifizieren. Dazu entschied sich Kapitän Donald für die beiden Engländer Tommy Fleetwood und Justin Rose, den Österreicher Sepp Straka, den Dänen Nicolai Hojgaard, den Schweden Ludvig Aberg sowie den Iren Shane Lowry. Die größte Überraschung war dabei fraglos die Berücksichtigung des 23-jährigen Ludvig Aberg, der zwar die Amateur-Weltrangliste anführte, aber erst im Juni dieses Jahres Profi geworden war und auf Anhieb Top-Platzierungen auf der PGA-Tour und DP World Tour erringen konnte. Er wird schon als künftiger Weltranglistenerster gehandelt. Im Unterschied zu den USA verzichtete Team Europa auf Spieler, die sich für die LIV Golf Tour entschieden haben. Rory McIllroy wird Europa zum siebten Mal in Folge beim Ryder Cup vertreten.