In dem meisterhaften Western-Drama „Killers of the Flower Moon“ zeigt Martin Scorsese mit epischer Nachdrücklichkeit, wie weiße Amerikaner an den Osage-Indianern einen Genozid begangen haben. Die Hauptrollen in der makabren Tragödie spielen Leonardo DiCaprio und Robert De Niro. Jetzt im Kino.

Osage County, Oklahoma, in den frühen 1920er-Jahren: In dem Reservat, in das die US-Regierung die Indianer abgeschoben hat, sprudeln plötzlich überall Ölquellen. Über Nacht wird die Osage-Nation zu einem der wohlhabendsten Völker der Welt. Was zunächst wie ein Segen erscheint, wird schnell zum Fluch. Denn der sagenhafte Reichtum dieser Ureinwohner zieht natürlich sofort weiße Eindringlinge an, die nichts anderes im Sinn haben, als sich das Land unter den Nagel zu reißen. Einer dieser skrupellosen Übeltäter ist der reiche Rinder-Baron William Hale (Robert De Niro), der sich schnell, mit heimtückischer Herzlichkeit und vorgespielter Jovialität, das Vertrauen der leichtgläubigen Indianer erschleicht. In der Maske des Wohltäters eignet er sich unbehelligt nach und nach das wertvolle Land an. Das beste Mittel dazu ist, dass er die Hochzeit eines Weißen mit einer Osage-Frau orchestriert – denn damit fallen auch dem Ehemann die Besitzrechte am begehrten Land zu.
Gedreht an Originalschauplätzen
Bei diesem perfiden Spiel kommt ihm sein Neffe Ernest Burkhard (Leonardo DiCaprio) gerade recht. Gerade aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt, nimmt ihn Hale unter seine Fittiche. Der dümmlich-dumpfe Ernest ist der ideale Handlanger für die mörderischen Manipulationen seines Onkels. Hale fällt es nicht schwer, Ernest davon zu überzeugen, dass er der schönen (und reichen!) Osage-Indianerin Mollie (Lily Gladstone) den Hof machen soll. Die kluge Mollie spürt zwar, dass Ernest in sie verliebt, aber auch hinter ihrem Land her ist. Fatalerweise verliebt sich Mollie trotzdem in Ernest. Wenig später findet dann tatsächlich die Heirat statt, selbstverständlich von Onkel William ausgerichtet.

Martin Scorsese lässt sich viel Zeit, um diese Welt zu zeigen. An Originalschauplätzen gefilmt und mit vielen indigenen Schauspielern und Statisten besetzt, entsteht ein großartiges Stück Americana, das schon bald zu einem Menetekel des bevorstehenden Unheils wird. Geradezu beiläufig erfahren wir von grauenhaften Morden, vorwiegend an Osage-Frauen, die nie aufgeklärt werden. Auch in Mollies Familie geschehen mysteriöse Todesfälle. Eine ihrer Schwestern wird sogar brutal erschossen. Nutznießer dieser Tragödien sind natürlich die weißen Ehemänner der Indianer-Frauen. Bald steht es auch um Mollies Gesundheit schlecht. Sie leidet an Diabetes. Und bekommt ausgerechnet von Ernests Onkel großzügig teuere Spritzen geschenkt, die ihr Leiden lindern sollen. Allerdings mischt man – auf Geheiß von Hale – jeder Dosis etwas Heroin bei, was den langsamen Tod von Mollie herbeiführen soll. In seiner Naivität spritzt Ernest seiner geliebten Mollie jeden Tag diese todbringende Mischung sogar selbst. Denn natürlich wird er bei Mollies Ableben der rechtmäßige Landeigentümer, was wiederum seinem Onkel zugutekommen würde. Erst als der Genozid an den Osage-Indianern immer unkontrollierter und schrecklicher wütet, nimmt sich das neugegründete FBI unter der Führung von Tom White (Jesse Clemons) schließlich der Sache an.
Robert De Niro als korrupter Despot
Martin Scorsese erzählt dieses historisch verbürgte Massaker an den Osage-Indianern (dokumentiert in dem gleichnamigen Bestseller von David Grant, der auch als Vorlage des Film diente) aus der Perspektive der Verbrecher. Das ist ein Kunstgriff, den Scorsese sehr eindrucksvoll unter anderem bereits bei „GoodFellas“, „Casino“ und „The Irishman“ angewendet hat. Und auch diesmal gelingt es ihm dadurch, nicht nur die menschlichen Abgründe sichtbar zu machen, sondern auch die Ambivalenz zwischen unverhohlener Geldgier, latenter Bedrohung – wird der Onkel seinen Neffen, wenn der sich gegen ihn wendet, tatsächlich killen lassen? –, geheuchelter Menschenfreundlichkeit und amoralischer Loyalität so lange in der Schwebe zu halten, bis es zur unausweichlichen Katastrophe für (fast) alle Beteiligten kommt.

Nie war das Zusammenspiel der beiden Scorsese-Musen Leonardo DiCaprio und Robert De Niro besser, intensiver, verstörender. Nie waren die von ihnen gespielten Figuren verkommener, abstoßender, dämonischer. DiCaprio als Ernest mit verbissener Fratze, der seine erbärmliche Existenz bis zum Schluss mit Lügen reinzuwaschen versucht. Und De Niro als korrupter und bis ins Mark zynischer Despot mit Paten-Grandezza, der sprichwörtlich über Leichen geht. Beide sind hier auf der Höhe ihrer Schauspielkunst. Die große Entdeckung von „Killers of the Flower Moon“ ist allerdings die amerikanische Schauspielerin mit indigenen Wurzeln Lily Gladstone als Mollie. Mit welch stillem Gleichmut sie den spirituellen Albtraum ihrer Ehe erträgt, ist schlicht sensationell. Und wer einmal in ihr Gesicht geschaut hat, wenn sie ihrem Schicksal mit diesem unergründlichen Mona-Lisa-Lächeln die Stirn bietet, wird das nicht so schnell vergessen. Mit „Killers of the Flower Moon“ ist dem Oscar-Preisträger Martin Scorsese eine monumentale Crime-Saga aus dem Schattenreich der amerikanischen Geschichte geglückt.
Ein packendes Kinoerlebnis, das einem unter die Haut geht. Aktuell läuft „Killers of the Flower Moon“ noch im Kino, danach ist er aufgrund der finanziellen Beteiligung von Apple TV+ an der Produktion als „Apple Original Film“ dort im Streamingangebot zu finden.