Wer zu viele hochverarbeitete Produkte isst, tut seinem Körper nichts Gutes. Verschiedene Studien belegen, dass ein hoher Konsum mit Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden einhergeht. FORUM hat sich mit Dr. Matthias Riedl unterhalten.

Auf den ersten Blick scheinen sie all die Eigenschaften zu haben, die uns entgegenkommen, wenn wir uns ein Mittag- oder Abendessen schnell zubereiten wollen: hochverarbeitete Lebensmittel. Schmackhaft, verzehrfertig, erhitzbar und lange haltbar. Doch wenn man genauer hinschaut, was ihnen zugegeben wird, kann einem der Appetit vergehen. Meistens werden in den Ultra-Processed Foods, kurz UPFs, industriell verwendete Substanzen wie hydrierte Öle, Glucose-Fructose-Sirup, Proteinisolate und verschiedene Zusatzstoffe verarbeitet. Auf die Zusammensetzung der UPFs wies die Wissenschaftsjournalistin Dr. Angela Bechthold 2022 in einem Fachbeitrag für das „DGE-Wissenschaftsmagazin“ hin. Außerdem schrieb sie, dass hochverarbeitete Nahrungsmittel immer stärker unsere Lebensmittelversorgung dominieren, vor allem in Ländern mit hohem Einkommen. UPFs würden nach und nach die Ernährung aus natürlichen Lebensmitteln und frisch zubereiteten Speisen verdrängen, warnte sie.
Sicher ist, dass die Ernährung mit ultraverarbeiteten Lebensmitteln hohe gesundheitliche Risiken birgt. Also: Wer sich vor allem von diesen Produkten ernährt, tut seinem Körper nichts Gutes. „Hochverarbeitete Lebensmittel sind eine mit Schadstoffen angereicherte Mangelernährung“, sagt Dr. Matthias Riedl, Pressesprecher des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM). Die meisten Hersteller von UPFs verwendeten in ihren Produkten Jod-armes Salz, was letztlich zu einer „Renaissance des Jodmangels in der Gesellschaft“ führte. Vor allem bei jungen Menschen lasse sich diese Mangelerscheinung feststellen. „Das bleibt nicht ohne Folgen für die Entwicklung des Gehirns“, sagt der Ernährungsmediziner Matthias Riedl.
Gesundheitliche Risiken

Neben dem Jodmangel wiesen Wissenschaftler bereits in der Vergangenheit einen Magnesiummangel in der deutschen Bevölkerung nach. Dass 26 Prozent der Männer und 29 Prozent der Frauen hierzulande nicht die empfohlene tägliche Zufuhr an Magnesium zu sich nahmen, war bereits ein Ergebnis der 2008 veröffentlichten Nationalen Verzehrstudie II des Max-Rubner-Instituts. Die Anteile seien sowohl bei den jungen Erwachsenen als auch bei den älteren Personen höher als im mittleren Alter, schreiben die Studienautoren. Den Forschenden des Bundesinstituts fiel besonders auf, dass 56 Prozent in der Altersgruppe der 14- bis 18-jährigen Frauen es nicht schafften, sich ausreichend mit Magnesium zu versorgen. „Das will ich aber nicht verstanden wissen als Aufforderung, Magnesium-Tabletten zu nehmen“, betont Matthias Riedl. Der „verbreitete Reflex“ in der Gesellschaft sei nämlich, deshalb zu Nahrungsergänzungsmitteln zu greifen. „Der Konsum von Supplements steigt in Deutschland weiter an“, so Riedl. Das Onlineportal Statista schreibt, dass laut einer Befragung unter 5.991 Bundesbürgern drei von vier angaben Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen. Am häufigsten konsumierten die Befragten Vitamine, Mineralien und Proteine. Die Industrie sei aber „pfiffig“, wenn sie als Argument ins Feld führe: „Weil wir euch schlecht füttern, haben wir für euch Nahrungsergänzung“, sagt Matthias Riedl.

Der große Unterschied zwischen echten pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln und hoch verarbeiteten Produkten sei, dass Erstere aus „fast 300.000 Substanzen“ bestehen, so Riedl. Allerdings: In ihrer Gesamtheit haben wir diese Vielzahl der natürlichen Substanzen „noch gar nicht verstanden“, ergänzt der Mediziner. 100.000 sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe seien bisher bekannt, davon spielten 10.000 eine entscheidende Rolle für die Gesundheit des Menschen. „Auch sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe enthalten eine Wirkung, sogar Bitterstoffe sind für uns wichtig“, sagt Dr. Matthias Riedl. Industriell hergestellte Fertigprodukte kennzeichnen seinen Worten nach eine „Ballaststoff-Armut, einen Mangel an sekundären Pflanzenstoffen, Magnesium und gesunden Fetten“. „Dafür bekommen wir aber Chemie in rauen Mengen“, erklärt er. Rund 3.000 Substanzen, davon 360 Zusatzstoffe und 2.600 Aromen, könnten in hoch verarbeiteten Produkten enthalten sein. Völlig unklar jedoch sei, wie diese chemischen Substanzen mit dem menschlichen Organismus interagieren. Was die Ernährungswissenschaft immerhin weiß: Immer mehr Substanzen schädigen unsere Darmflora. „Wenn wir diese Chemikalien jetzt noch einmal zulassen würden, würde man verlangen, dass es eine Sicherheitsstudie für die Darmflora geben muss“, meint Riedl. Die chemische Verbindung Methylcellulose, ein Gelier- und Verdickungsmittel, wird in der Lebensmittelindustrie eingesetzt, etwa um Bionic Burger-Patties eine feste Konsistenz zu verleihen. Carrageen, das natürlicherweise in den Zellen von Rotalgen enthalten ist, macht sich die Nahrungsmittelindustrie als Emulgator zunutze, um etwa zu verhindern, dass Sahne aufrahmt. Auch die Aufnahme von Diacetyl, eine chemische Verbindung, die das typische Butteraroma in Margarine oder Backwaren bewirkt, ist nicht unbedenklich für die Gesundheit. „Das hat aber überhaupt nichts mit Butter zu tun, es ist ein Fake-Geschmacksstoff“, bringt es Riedl auf den Punkt. Das Butter-Aroma könne seines Wissens die Lungen schädigen und sogar im Extremfall ein Lungenversagen nach sich ziehen.
Teilweise Unklare Auswirkungen
Geradezu verheerend auf die Darm-Mikroorganismen können sich auch künstliche Süßungsmittel auswirken. In einer Studie aus Frankreich aus dem Jahr 2023 wurde untersucht, wie sich eine stark zuckerhaltige Ernährung auf die Gesundheit auswirkt. Über einen Zeitraum von neun Jahren wurde zweimal jährlich erhoben, wie sich 105.588 Frauen und Männer mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren ernähren und welchen Lebensstil sie pflegen. 972 Personen erkrankten dabei an Typ-2-Diabetes. Probanden mit einem hohen Süßstoffkonsum (77 Milligramm pro Tag) erkrankten im Vergleich zu jenen, die keine Süßstoffe zu sich nahmen, um 69 Prozent öfter an Diabetes Typ 2. „Wenn die Probanden eine Coca-Cola-Dose ausgetrunken hatten, konnte man hinterher feststellen, dass ihr Blutzuckerverlauf sich veränderte. Allerdings nur bei bestimmten Personen“, erläutert der Arzt. Tendenziell konsumierten eher Frauen, jüngere Personen, Raucher, Personen mit höherem Body-Mass-Index und geringer körperlicher Aktivität hohe Süßstoff-Mengen. Dadurch nahmen sie weniger Ballaststoffe zu sich und dafür mehr zuckerhaltige Getränke, Fleisch, Wurst, Milchprodukte und Fast Food. Dass eine intakte Darmflora wichtig für unsere Verdauung und unser Immunsystem ist, ist mittlerweile unbestritten. „Vor Jahrzehnten haben wir nicht gewusst, welche große Bedeutung die Darmflora für unsere Gesundheit hat“, erklärt Riedl.

Wie jedes Lebewesen brauchen die Darmbakterien ein ganz bestimmtes Milieu, um sich vermehren zu können. „Möglicherweise wirken die chemischen Substanzen direkt toxisch auf die Darmflora, verändern womöglich den pH-Wert oder werden von den Bakterien verstoffwechselt“, sagt Matthias Riedl. Als wissenschaftlich erwiesen gilt jedoch: Wer viele dieser Zusatzstoffe und Aromen mit der Nahrung aufnimmt, ist einem höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt und muss damit rechnen, dass seine Darmflora über eine verminderte Anzahl an Bakterien verfügt. „Betrachten Sie die gesunde Darmflora als ein intaktes Ökosystem, das mit dem Regenwald im Amazonas vergleichbar ist.“ Angenommen, man bringt über einem Regenwaldgebiet eine chemische Substanz aus, wird das zum Aussterben einzelner Arten führen. „Wenn Sie ein Artensterben erreicht haben, beginnt das Milieu zu kippen“, führt Riedl weiter aus.
UPFs machen uns träge und gierig
Doch warum besteht ein Risiko, dass ich mich weniger bewege, wenn ich mich vermehrt von hoch verarbeiteten Lebensmittel ernähre? Um das zu verstehen, hilft es wiederum, die Darmflora eingehender zu betrachten. Normalerweise produziert sie Eiweiße in „nennenswerter Menge“, erklärt Matthias Riedl. Die Darmbakterien produzieren sogar das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin und Substanzen, die uns in depressive Stimmung versetzen können. „Unter Einfluss der hochverarbeiteten Produkte produzieren die Darmbakterien Substanzen, die uns die Lust an der Bewegung nehmen.“ Im Klartext: Hoch verarbeitete Lebensmittel machen uns träger und verändern die Hirnstrukturen dergestalt, indem sie Lust auf mehr wecken. „Damit geraten die Menschen, die Junkfood konsumieren, in einen Teufelskreis, weil der Appetit auf diese Produkte immer wieder hochkommt“, so Riedl. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, hilft nur ein „aktives Aussteigen“. Der in den Produkten enthaltene Zucker, insbesondere Fructose, kann zu einer Leberverfettung führen, warnt der Ärztliche Leiter des Medicums in Hamburg. Denn die Fettleber sei eine „Vorstufe von Diabetes Typ 2“. In den USA beispielsweise sei „das Leberversagen durch eine Fettleber am häufigsten alimentär bedingt“.

Eine aktuelle Studie von Ashley J. P. Smit vom University Medical Center in Rotterdam zeigte, dass die Menge von ultraverarbeiteten Produkten mit der Größe des Embryos korreliert. 701 Schwangere im Alter von durchschnittlich 33 Jahren wurden dabei untersucht. Die Spanne des Anteils an ultraverarbeiteten Lebensmitteln in ihrer Ernährung reichte von 16 bis 88 Prozent. Ein erhöhter Konsum von UPFs war, erläuterten die Studienautoren, verbunden mit einem niedrigeren Alter der Mütter, einem niedrigeren Bildungsniveau und einer geringeren Anzahl von Müttern, die Sport machten. „Das heißt, je mehr UPFs die Schwangeren aßen, desto schlechter wuchs der Embryo“, erklärt Matthias Riedl. Im Alter von drei bis vier Jahren fiel die Sprachentwicklung dieser Kinder gegenüber jenen zurück, deren Mütter während der Schwangerschaft wenig bis keine hoch verarbeiteten Produkte gegessen haben.
Warnhinweise müssen her
Und wie gesundheitlich unbedenklich sind vegane Fleischersatzprodukte wie etwa das vegane Schnitzel? Kürzlich veröffentlichten Forschende aus China die Ergebnisse einer interessanten Tiermodell-Studie. Um die gesundheitlichen Auswirkungen untereinander zu vergleichen wurden 50 Mäuse über 42 Tage mit verarbeitetem Fleischersatz auf pflanzlicher Basis, hochverarbeiteten Fleischersatz auf pflanzlicher Basis, kaum verarbeitetem rotem Fleisch und hochverarbeitetem rotem Fleisch gefüttert. Im Vergleich zur Kontrollgruppe stellten die Autoren der Studie fest, dass Mäuse, die den hochverarbeiteten pflanzenbasierten Fleischersatz, das hochverarbeitete rote Fleisch und das wenig verarbeitete rote Fleisch fraßen, deutlich zunahmen und sie häufiger an Darm- und Leberentzündungen erkrankten. Daher schlussfolgerten die Autoren, dass pflanzliche Fleischersatzprodukte und rotes Fleisch sich unterschiedlich auf die Darm-Mikrobiota auswirken. Folglich werteten die Studienautoren pflanzlichen Fleischersatz im Vergleich zu rotem Fleisch als gesünder. „Der mögliche gesundheitliche Effekt von einer vermehrten pflanzlichen Ernährung wird durch den Verarbeitungsgrad und den Einsatz von Chemie konterkariert“, kommentiert Riedl. Daher könne man davon ausgehen, dass die an sich gesünderen veganen Produkte „tatsächlich eine negative Wirkung auf unsere Gesundheit auslösen“.

Damit der Konsum von UPFs in unserer Gesellschaft sinkt, sind Warnhinweise auf Verpackungen, Verbote an Schulen oder Werbeeinschränkungen wie in 20 Ländern, darunter Kanada, Großbritannien und Dänemark, denkbar. Das von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir geplante Fernsehwerbeverbot für zucker-, fett- und salzhaltige Lebensmittel hält der Sprecher des BDEM für „völlig richtig“. Alle Ärzteverbände stünden hinter dem Vorstoß des Grünen-Politikers. Riedl rügte aber Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dafür, dass er seinerseits „seine Hände in Unschuld wäscht“ und nichts in dieser Richtung unternimmt. Auch eine Kennzeichnung von UPFs ist nach der Meinung Riedls „längst überfällig“. „Die Ampel-Kennzeichnung, heute Nutri-Score genannt, ist ein billiger Kompromiss gewesen zwischen der Lebensmittelindustrie und der Tatsache, dass die Regierung etwas tun musste“, kritisiert er. Dass Matjes-Filets und Walnüsse zuerst mit einem „E“ auf der Farbskala eingestuft wurden (das heißt: Produkte mit den schlechtesten Nährwerten), sei „eine schlecht gemachte Verschleierung von Gesundheitsinformationen“. Vielmehr könnte sich die Ampel-Regierung ein Beispiel an Chile nehmen. Da prangt auf der Vorderseite von Verpackungen von besonders zuckerhaltigen Süßigkeiten ein schwarzes Stoppschild.