Malena Sigurgeirsdóttir (32) und Jessica Buhl-Nielsen (31) treiben ihr Ziel mit wissenschaftlicher Gründlichkeit voran. Sie wollen, dass Hack, Hamburger und Klopse aus Insektenprotein selbstverständlich werden. Schmeckt tatsächlich nach herkömmlichem Fleisch: eine Kostprobe.

Eine Catering-Küche in Kopenhagen. Kessel und Pfannen sind hier so groß wie Whirlpools. Vor einer steht Malena Sigurgeirsdóttir mit gewölbtem Bauch, sie erwartet ihr zweites Kind. Mit ausgestreckten Armen wendet sie brutzelnde Klopse in der Größe von Tischtennisbällen. „Kødboller“ heißen sie bei den Dänen, als „Köttbullar“ kennt man sie in den Restaurants einer schwedischen Möbelhauskette. Doch die Fleischklopse in der Pfanne bestehen nicht aus Rind-, Lamm- oder Schweinehack, sondern aus Erbsenmehl und zu 40 Prozent aus gemahlenen Larven des Alphitobius diaperinus.
Leider habe ich den Fehler gemacht, mich vor der Verkostung über die Lebensweise des Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers, so sein deutscher Name, zu informieren. Aber daran darf ich jetzt nicht denken. Es gilt, möglichst unvoreingenommen zu probieren. Denn Malena und ihre Mitstreiterin Jessica Buhl-Nielsen, beide Anfang 30, planen Großes: Mit dem „ersten nachhaltigen Fleisch der Welt“ wollen sie den Klimawandel bremsen. Ihre These: Insekten können durchaus Rind, Schwein und Hühnchen ersetzen – weil die Produkte gut schmecken.
Viele Proteine und Vitamine
Malena legt mir ein dampfendes Fleischbällchen auf den Teller. Ich zerteile es mit einer Gabel – es leistet nur sachten Widerstand, wie bei einer herkömmlichen Frikadelle. Schiebe das erste Stück vorsichtig in den Mund – guter Biss eigentlich. Und tatsächlich, da sind Umami-Noten, auch eine Ahnung von Eisen. Wenn ich es nicht besser wüsste – auch beim zweiten Stück würde ich nicht ahnen, dass ich auf einem Produkt aus Insekten kaue.
„Für mich schmeckt das Fleisch nach Pilzen. Auch ein wenig nussig“, sagt Jessica. „Ich finde, es hat einen ganz eigenen Fleischgeschmack. Etwas, was es bisher noch nicht gab“, sagt Malena. Und Jessica: „Bei unserem Fleisch bekommst du einen Proteingehalt, der so hoch oder noch höher ist als bei Rinderhack. Außerdem Omega-3-Fettsäuren, Vitamin B₁₂ und Eisen, weshalb es so an Fleisch erinnert, das wir schon kennen.“

Die beiden Gründerinnen haben vor fünf Jahren Hey Planet gegründet, ihr Start-up für Lebensmittel aus Insekten. Sie wissen für ihre Produkte zu werben – und für ihre Mission: „Klimawandel, Artensterben, Hunger in der Welt: Unser Essen soll nicht mehr dazu beitragen, Krisen in der Welt voranzutreiben“, erklärt Jessica. Ein Drittel der weltweiten Anbauflächen wird für die Produktion von Viehfutter verwendet. In der EU sind es sogar 60 Prozent. Gleichzeitig hungern am Horn von Afrika, wo derzeit die schlimmste Dürre seit 40 Jahren herrscht, Millionen Menschen. „Es gibt ja schon die Lösung: pflanzliche Nahrung!“, sagt Malena. „Aber die Menschen wollen auch tierisches Protein. Noch fehlen Insekten als Lösung im Bewusstsein von Verbrauchern und Herstellern.“
Ende 2016 lernten sie sich kennen. Jessica hatte an der „Copenhagen Business School“ studiert und einen Master in „Gender and Development Studies“ draufgesetzt; sie wollte eine Karriere einschlagen, „die die Welt ein Stückchen besser macht“. Das kam Malena gerade recht. Mit ihrem sprudelnden Enthusiasmus überzeugte sie Jessica bei einem Risotto mit gerösteten Grillen von ihrer Idee. Seither ist Malena für die Produktentwicklung zuständig, „und Jessica dafür, meine Ungeduld zu bremsen und unser Geschäft realistisch und strategisch voranzutreiben“, sagt Malena und lacht.
Die Haupthürde dabei ist der Ekel, den die meisten Menschen den Krabblern und Brummern mit sechs Beinen entgegenbringen, jedenfalls in der nördlichen Welt. Einst wurden hier und da in Frankreich und Deutschland Suppen mit gerösteten Maikäfern gekocht – aber das ist eine Ausnahme. In tropischen Ländern, wo es viele große Kerbtiere als ergiebige Proteinquellen gibt, standen und stehen sie häufig auf dem Speisezettel. Weltweit sind 2.100 Insektenarten gezählt worden, die von Menschen gegessen werden.
Und das oft seit Jahrtausenden: Aristoteles etwa liebte knusprige Grillen. Plinius der Ältere bevorzugte Käferlarven. Johannes der Täufer ernährte sich von wildem Honig und Heuschrecken. Die Ureinwohner Nordamerikas aßen Insekten. Und Archäologen haben Spuren von Insektenmahlzeiten in den Mägen von Mumien gefunden.
Laut einer Studie der University of California verfügt der Mensch über ein Gen, das für die Bildung eines Enzyms verantwortlich ist, mit dem wir Chitin verdauen, uns also die Panzer von Insekten einverleiben können. Und das nicht zufällig: Die Vorfahren sämtlicher Säugetiere, ob Mensch, Elefant oder Löwe, begannen ihre Evolutionskarriere, so die Forschenden, ohne Ausnahme als Insektenfresser.
Wissenschaft ist das eine, Gefühl das andere. Deshalb gibt es auf den Packungen von Hey Planet auch keine Bilder oder Piktogramme von Insekten, stattdessen nur den Satz: „Nachhaltiges Fleisch aus Käferprotein“. Von welchem Käfer, erfährt man nicht, geschweige denn, was der Getreideschimmelkäfer sonst so treibt (er ist ein gefürchteter Schädling in Getreidesilos und in Geflügelställen, wo er sich von Futterresten und Hühnerkot ernährt). Geschenkt, solche Informationen wären bloß eine Hürde fürs Geschäft.
Geradezu attraktiv wirkt dagegen, was Malena von der mit Akkuratesse betriebenen vertikalen Farm in den Niederlanden erzählt. Dort werden die Larven bei 26 Grad Celsius und 60 Prozent Luftfeuchte ausschließlich mit Biertreber gefüttert – klingt fast nach deutschem Reinheitsgebot. Hey Planet verwendet zudem lieber den handelsüblichen Namen für die Larven: Buffalowürmer. Das weckt Assoziationen zu herzhaften Steaks und kräftigem Mozzarella. Getötet werden die Larven in Sekundenbruchteilen mit Wasserdampf, bevor sie getrocknet und vermahlen werden. In jedem Kilogramm Pulver stecken 16.000 Tierchen.
In einem Riegel stecken 600 Insekten
„Die Buffalowürmer sehen aus wie Pinienkerne“, sagt Jessica. „Vielleicht nicht so dick in der Mitte“, schränkt Malena ein. Pinienkerne? Wahrscheinlich steht und fällt ihre Firma mit diesem Wunschziel: „Wir hoffen darauf, dass die Herkunft von Insektenprotein irgendwann vergessen wird. Dass man es nur noch als Zutat sieht, die Lebensmittel bereichert.“ Wie bei Gummibärchen. Da denke auch kaum jemand daran, dass die Grundstoffe aus Rinderknochen ausgekocht werden.
Neben dem Larvenhack vom Getreideschimmelkäfer bietet Hey Planet auch Knäckebrot und Energieriegel mit Heimchen an, einer Grillenart. In einem einzigen Riegel stecken 600 der vermahlenen Langfühlerschrecken. Ist es fair, dass viele Hundert Tiere für eine einzige Zwischenmahlzeit sterben? „In den Soja- und Maisfeldern der Futtermittelindustrie sterben durch Pestizide viel, viel mehr Insekten“, sagt Jessica. Die Riegel gibt es in den Geschmacksrichtungen Erdnussbutter, Kakao-Orange und Apfel-Zimt. Besonders Letztere würden in Deutschland gern gekauft. „Ihr Deutschen esst gerne Apfelstrudel, nicht wahr? Vielleicht deshalb“, vermutet Malena.

Die Riegel munden nicht anders als herkömmliche Produkte. „Das Insektenprotein ist gefriergetrocknet und schmeckt eigentlich neutral“, erklärt Malena. Warum schmecken die Insektenklopse dann so nach Fleisch? „Durch das Erhitzen in der Pfanne werden komplexe chemische Eisenverbindungen aktiviert, die den typischen Umami-Geschmack liefern.“
Hey Planet ist nicht die erste Firma, die Rinderhack durch Buffalowürmer ersetzen will. In Deutschland hat das Start-up Bugfoundation seine „Insektenburger“ 2018 auf den Markt gebracht. Sie waren aber nur versuchsweise in den Kühltheken von Supermärkten zu finden. Im September 2021 verkauften die Gründer ihre Firma an einen Wursthersteller, der „das Geschäft der Bugfoundation neu aufstellen“ will. Warum hat der Insektenburger nicht eingeschlagen? „Vielleicht waren wir zu früh“, sagt Ex-Gründer Max Krämer am Telefon. „Letztlich wissen wir es nicht.“
Hey Planet dagegen werde ein Erfolg, „weil wir unsere Idee so umfassend vorangetrieben haben“, sagt Malena. Im Grunde schon seit der Kindheit. Ihre Mutter stammt von den Färöer-Inseln, ihr Vater aus Island, und als Kind sah Malena oft gespaltene Schafsköpfe auf dem Teller. Deren Augen gelten auf den Inseln im Nordatlantik als besondere Delikatesse. Nur nicht bei Malena – mit zehn wurde sie Vegetarierin. „Wenn du schon als Kind beim Schlachten dabei bist, ist das etwas anderes, als wenn du Filets aus dem Kühlfach holst.“ Zudem habe sie sich früh für den Klimawandel interessiert: „Wenn ich etwas dagegen tun kann, dann über meine Nahrung.“
Nach dem Abitur arbeitete sie als Lehrerin in Tansania und half ihrer Gastfamilie beim Sammeln von Grashüpfern. Dort war es üblich, die täglichen Mahlzeiten mit Maisbrei aufzupeppen. Als sie nach Europa zurückkam, „hatte ich das Gefühl, einen Schlüssel für eine nachhaltige Ernährung der Zukunft gefunden zu haben“. Sie machte den Bachelor in Umweltökonomie in Kopenhagen und einen Master in Lebensmittelwissenschaft an der Cornell University in New York, bevor sie mit Jessica 2017 Hey Planet gründete.
Sie bekamen umgerechnet 106.000 Euro Fördermittel vom staatlichen Innovationsfonds und machten an Extrudern im Dänischen Technologischen Institut erste Versuche. Drei Jahre dauerte der Prozess. Sie experimentierten mit Druck, Temperatur, Wasserbeimischung und dem Verhältnis von Insekten- zu Erbsenpulver, dem zweiten Hauptbestandteil. „Wir wollten die Textur von Fleisch erreichen“, so Malena. „Pflanzenbratlinge sind oft knusprig an der Oberfläche, aber matschig im Innern, deshalb sind sie unbefriedigend.“ Für ein authentisches Erlebnis von Fleisch sei die Konsistenz fast wichtiger als der Geschmack: „Der Mund will arbeiten, er will etwas zu kauen haben, er braucht das richtige Maß an Widerstand.“ Ihren Herstellungsprozess haben die Frauen bei den dänischen Behörden zum Patent angemeldet.
„Die Barriere in den Köpfen knacken“

In Dänemark kann man die Energieriegel von Hey Planet in der Supermarktkette Irma kaufen – in Deutschland in einigen ausgewählten Läden und im Website-Shop (www.hey-planet.com). Die Pattys, Hack und Fleischbällchen gibt es für deutsche Verbraucher noch nicht. Bislang liefert Hey Planet die 240-Gramm-Packungen für 39 Kronen (5,20 Euro) lediglich an Endkunden in Kopenhagen aus. Es mache noch keinen Sinn, das Insektenfleisch in die Kühlregale der Supermärkte zu bringen, erklärt Jessica. Zunächst gehe es darum, „die Barriere in den Köpfen zu knacken“, damit das Produkt in den Regalen nicht liegen bleibe und von den Supermarktketten wieder aussortiert werde. „Ein Jahr geben wir jetzt Vollgas, schaffen Öffentlichkeit in Kooperationen mit bekannten Köchen und Restaurants.“ Einige wagemutige Kantinen in Dänemark servieren die Klopse bereits und im angesagten mexikanischen Restaurant Sanchez im Hipster-Viertel Vesterbro gibt es Tacos mit Hey-Planet-Hackfleisch. „Wir versuchen, große Fastfood-Ketten zu gewinnen“, sagt Jessica. „Mit denen bekämen wir eine Art Gütesiegel für den Mainstream.“
In fünf Jahren, glaubt Jessica, würden ihre Produkte „ein ganz gewöhnliches Lebensmittel sein, Schwein oder Rind dagegen als Delikatesse gelten, die man maximal noch einmal pro Woche isst. Wunschdenken? „Es kann nicht anders sein, die Verschwendung ist nicht tragfähig“, sagt Malena. Bei der Produktion von einem Kilogramm Hackfleisch aus dänischem Rind gehe die gleiche Menge Klimagase in die Luft wie bei einer Autofahrt von Kopenhagen nach Hamburg. Laut der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen sind 20 Kilogramm Futter nötig, damit ein Rind ein Kilogramm Protein ansetzt. „Dagegen brauchen Insekten so gut wie keine Ressourcen.“ Ein Kilogramm Insektenprotein lasse sich mit 1,7 Kilogramm Futtermittel produzieren.
Auf der Rückfahrt von der Verkostung ist mir schummrig auf dem Fahrrad. Liegt es an der stechenden Sonne? Oder habe ich einen Eiweißschock nach Fleischbällchen (16 Prozent Protein), Riegel (17 Prozent) und Knäckebrot (23 Prozent)? Jedenfalls übermannt mich nicht die Versuchung, als es plötzlich nach Wurst riecht. Auf dem Bürgersteig steht ein Pølsevogn. Überall in Kopenhagen versprechen diese fahrbaren Imbissstände schnelle Befriedigung des Hungerimpulses durch Hot Dogs. Darin steckt eine Rød Pølse. Das schweinerne Brät ist in Darm gepresst, der karminrot leuchtet.
Ausgerechnet diese Farbe macht Hoffnung, dass Insekten als Zutat Mainstream werden könnten. Denn wohl kaum ein Mensch, der herzhaft in die Wurst beißt, fragt sich, warum die so rot ist. Es liegt an einem Farbstoff, den der Mensch seit Jahrtausenden kennt und aus zerstoßenen Cochenillen gewinnt – Schildläusen, die überall in Mittelamerika lustvoll an Kakteen saugen.