Drei Fragen
„Diese Zunft lässt nicht locker“
„Was mich ärgert, ist, dass gerade die Grünen Entscheidungen nicht auf Grundlage von Erkenntnissen treffen, sondern aus rein ideologischen Gründen“, sagt Deutschlands dienstältester Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD).
Herr Backhaus, Sie sind seit über 25 Jahren Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern. Können Sie sich an Bauernproteste erinnern wie die heutigen?
Nein, noch nie wurde in Deutschland so vehement demonstriert. Trecker-Korsos gab es öfter mal, aber diesmal geht das schon seit Wochen, dass jeden Tag irgendwo in Deutschland welche unterwegs sind. Ich kann das verstehen, denn den Landwirten, Bäuerinnen und Bauern droht die höchste Steuererhöhung aller Zeiten. Es geht nicht nur um die Abschaffung des Agrardiesels, sondern dazu wollte man auch noch die Kfz-Steuer einführen. Das wurde wieder zurückgenommen, aber das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich bin selber Landwirt und weiß, wenn diese Zunft einmal auf der Straße ist, dann lässt sie nicht mehr so schnell locker.
Bauernpräsident Ruckwied kritisiert, dass er gar nicht gehört wurde, aber Sie als dienstältesten Landwirtschaftsminister wird man wohl um Rat gefragt haben, oder?
Nein, auch wir auf der politischen Länderebene wurden vor vollendete Tatsachen gestellt und im Vorfeld nicht mal informiert. Das wäre das Mindeste gewesen, damit meine Ressort-Kollegen und ich uns zumindest hätten vorbereiten können. Was mich umso mehr wundert: Wirtschaftsminister Robert Habeck war selber in Schleswig-Holstein lange Landwirtschaftsminister. Er kennt den engen wirtschaftlichen Rahmen, mit dem die Landwirte, aber auch die Forstwirtschaft, klarkommen müssen. Jeder Cent, der eingespart werden soll, kann für kleine und mittlere Betriebe Insolvenz bedeuten.
Haben Sie denn Verständnis für die angedachten Maßnahmen und ökologischen Reformen?
Darum geht es nicht. Natürlich müssen Land- und Forstwirtschaft weiterentwickelt werden, und beim ökologischen Umbau sind wir immer dabei. Was mich ärgert, ist, dass gerade die Grünen Entscheidungen nicht auf Grundlage von Erkenntnissen, sondern aus rein ideologischen Gründen treffen. Wir sind immer offen für Veränderungen, weil sich auch die Umwelt immer verändert. Aber redet endlich mit uns! Im Dialog finden wir die gemeinsamen Wege, aber nicht mit einsamen Entscheidungen in Berlin, ohne vorher mit denen zu sprechen, die das umsetzen sollen. Interview: Sven Bargel
Endlagersuche verzögert sich
Die Suche nach einem Endlager für den Atommüll sollte eigentlich in sieben Jahren beendet sein, doch nun kommt es zu einer spektakulären Verzögerung. Wie das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) auf seiner Homepage einräumt, könnte die Suche nach einem Endlager bis 2068 dauern. Ursprünglich sollte diese bis 2031 abgeschlossen sein. Doch der aktuelle Projektplan nennt eine Zeitspanne von mindestens 2046 bis 2068. Ist der Ort für ein atomares Endlager gefunden, könnte der Bau eines Endlagers noch weitere zehn Jahre in Anspruch nehmen. Ist ein Ort gefunden, könnte es gegen den Bau außerdem eine Lawine von Einsprüchen und Klagen geben, ganz abgesehen von der Zeit, die die Genehmigungsverfahren benötigen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass ein atomares Endlager in Deutschland erst zum Ende dieses 21. Jahrhunderts in Betrieb gehen und der Salzstock in Gorleben noch weitere 75 Jahre gebraucht wird.
Hohe Schulabbrecherquote in Deutschland
Deutschland hat für das Jahr 2022 mit mehr als zwölf Prozent erneut die vierthöchste Schulabbrecherquote in der Europäischen Union verzeichnet. Das geht aus aktuellen Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat hervor. Zahlen für das letzte Jahr können aufgrund des komplizierten Verfahrens erst im Spätsommer veröffentlicht werden. Die höchste Quote „frühzeitiger Schul- und Ausbildungsabgänger“, wie Schulabbrecher in der Statistik genannt werden, hatte 2022 demnach Rumänien mit 15,6 Prozent. An zweiter Stelle folgte Spanien mit 13,9 Prozent, dahinter Ungarn mit 12,4 Prozent. In Deutschland lag die Schulabbrecherquote mit 12,2 Prozent nur knapp dahinter. Die deutsche Quote hat sich zwar gegenüber 2021 um 0,3 Prozentpunkte verbessert, liegt aber weiterhin über dem EU-Durchschnitt.
Kein Schutz für Frauen ohne Papiere
Die EU hat sich auf ihr erstes Gesetzespaket zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen geeinigt, berichtet das Nachrichtenmedium „Euractiv“. Die Richtlinie sehe eine Reihe von Maßnahmen zum besseren Schutz von Frauen in Europa vor, insbesondere gegen Zwangsehen, sexistisches Cyber-Mobbing und Genitalverstümmelung. Allerdings scheint dabei die Kategorie von Frauen, die keine Papiere besitzen, vergessen worden zu sein. Würden sich diese Frauen an eine Polizeidienststelle wenden, liefen sie Gefahr, dass ihre persönlichen Daten an die Einwanderungsbehörde übermitteln würden, was ein Abschiedeverfahren aulösen könnte. Eine Regelung, die genau dem vorbeugen sollte, wurde vom Europäischen Rat abgelehnt. Er forderte laut „Euractiv“ die Mitgliedsstaaten lediglich auf, dafür zu sorgen, dass außereuropäische Opfer „nicht davon abgehalten werden, Anzeige zu erstatten, und dass sie in nichtdiskriminierender Weise behandelt werden“. Das löste Empörung bei Menschenrechtsorganisationen wie PICUM und Human Rights Watch aus.
Bundestag um einen Sitz verkleinert
Nach der Teilwiederholung der Bundestagswahl in Berlin schrumpft der Bundestag um einen Sitz, auf insgesamt 735 Abgeordnete, die FDP stellt zukünftig nur noch 91 Parlamentarier. Aufgrund der etwas niedrigeren Wahlbeteiligung als im September musste Berlin drei weitere Mandate an andere Bundesländer abgeben. Der Schlüssel der Mandatsverteilung errechnet sich über die jeweilige Wahlbeteiligung in den Ländern. In Berlin waren rund 550.000 Wahlberechtigte erneut zur Bundestagswahl aufgerufen, im Gesamtergebnis änderte sich allerdings nur wenig. Alle zur Wahl stehenden Direktmandate aus 2021 wurden bestätigt. Nimmt man nur die Ergebnisse der Wiederholungswahl vom 11. Februar 2024, konnten CDU und AfD deutliche Zugewinne von sieben und knapp sechs Prozent erzielen, Grüne und Linke minimale Gewinne unter einem Prozent. SPD und FDP mussten dagegen deutliche Verluste verbuchen. In der Endabrechnung spielte das allerdings keine Rolle, da nur ein Fünftel der Berliner zur Wiederholungswahl aufgerufen waren.
Sicherheit
Ukraine im Mittelpunkt
In diesem Jahr stehen die Verteidigungsanstrengungen für die Ukraine erneut im Mittelpunkt der Debatten auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Vor allem die europäischen Nato-Mitglieder müssen sich darauf vorbereiten, dass die USA ihre Waffenhilfen komplett einstellen könnten, warnt Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Bisher wurde der größte Anteil der Waffen von den Vereinigten Staaten geliefert, momentan streiten allerdings Repräsentantenhaus und Senat in Washington über weitere Hilfe, derzeit sind die Gelder im Kongress blockiert. Christoph Heusgen mahnt, dass bei den US-Präsidentschaftswahlen im November Donald Trump gewählt werden könnte. Kommt es dazu, würde sich die Europäische Sicherheits-Architektur zu Lasten Deutschlands verschieben. Trump betont immer wieder, sollte er erneut US-Präsident werden, würden alle Waffenlieferungen für die Ukraine sofort eingestellt.
Solarpark am Hirschbach
Der Kooperationsrat des Regionalverbandes Saarbrücken hat laut einer Presseerklärung eine Änderung des Flächennutzungsplans auf dem Gebiet der Landeshauptstadt Saarbrücken beschlossen. Damit würden die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung eines Solarparks im Stadtteil Dudweiler geschaffen. Im Voraus hatte der Stadtrat die Aufstellung des Bebauungsplanes „Solarpark Hirschbach“ beschlossen. Dabei handelt es sich um Flächen der ehemaligen Bergehalde Hirschbach, die sich aktuell noch unter Bergaufsicht befindet. Bei dem neuen Solarpark von der RAG AG sollen Solarmodule schätzungsweise 12.000 Megawattstunden pro Jahr auf rund acht Hektar erzeugen. Damit könnten theoretisch rund 3.000 Haushalte mit Strom versorgt werden. Bislang sind im Regionalverband Saarbrücken 14 Photovoltaik-Freiflächenanlagen installiert und produzieren etwa 59.000 Megawattstunden Strom pro Jahr. Davon profitieren bisher circa 20.000 Haushalte.
Zukunftsfähige Verteidigungsindustrie
IG Metall, SPD-Wirtschaftsforum und der BDSV fordern ein industriepolitisches Konzept zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, wie aus einer Pressemitteilung der IG Metall hervorgeht.
In dem Papier heißt es, die eigenen Verteidigungsfähigkeiten in den Dimensionen Land, Luft und See müssten weiterentwickelt oder neu aufgebaut werden, um die Leistungsfähigkeit der Industrie zu sichern und zu steigern. Angesichts der fragilen Weltordnung und dem andauernden Angriffskrieg Russlands in der Ukraine müssten Deutschland und Europa den nächsten Schritt in der verteidigungspolitischen Koordinierung machen. „Aber anders als man denken könnte, führt das Sondervermögen Bundeswehr nicht automatisch zur Stärkung der heimischen Industrie. Sie droht vielmehr unter die Räder zu geraten“, mahnte Jürgern Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall.
33 neue Wildbienenarten entdeckt
Wildbienenspezialistinnen und -spezialisten von IFAUN – Faunistik und Funktionale Artenvielfalt haben im Rahmen des EU-geförderten LIFE-Projekts „Insektenfördernde Regionen“ 33 neue Wildbienenarten in der saarländischen Biosphäre Bliesgau entdeckt. Das teilte die Internationale Stiftung für Umwelt und Natur Global Nature Fund (GNF) mit. Auf einer Checkliste aus dem Jahr 2020 waren bisher für das Saarland 213 Wildbienenarten aufgeführt. Die Neuansiedlungen werden begünstigt durch den Klimawandel und die Zuwanderung aus Regionen wie Lothringen, Luxemburg, Elsass oder Rheinland-Pfalz. Das EU-Projekt ermögliche in der Biosphäre Bliesgau eine Erfassung der Wildbienenarten, die längst überfällig sei. „Nur was wir kennen, können wir auch schützen“, erklärt Jenja Kronenbitter, Projektmanagerin bei GNF. Innerhalb des Projektes hat sich eine Gruppe von Expertinnen und Experten zusammengefunden, um die Maßnahmen für den Insektenschutz im Saarland zu verbessern. Eine spezielle Blühmischung für die Wildbienen soll mit Landwirtinnen und Landwirten auf mehrjährigen Blühflächen getestet werden.
Verkehr
30-Euro-Ticket für Studis
Das Studierendenparlament der Universität des Saarlandes hat der Einführung eines bundesweit gültigen Semestertickets als rabattiertes Deutschlandticket zugestimmt. Das geht aus einer Presseinfo des saarländischen Umweltministeriums hervor. Damit bekommen die Studierenden der saarländischen Hochschulen mit ihrer Immatrikulation ab dem Wintersemester 2024/25 das Deutschland-Semesterticket zum Preis von 60 Prozent des Regelpreises des Deutschlandtickets. Studierende zahlen über den Semesterbeitrag ihrer Hochschule für die Nutzung des ÖPNV und erhalten dann den günstigeren Preis des Deutschlandtickets: statt 49 Euro 29,40 Euro pro Monat oder 176,40 Euro pro Semester. „Mehr als 20.000 saarländische Studierende können künftig mit ihrem Semesterticket nicht nur im Saarland mobil sein, sondern auch Freunde und Familie außerhalb des Saarlandes besuchen, an Exkursionen der Hochschule teilnehmen oder in den Semesterferien bundesweit reisen“, sagte Umweltministerin Petra Berg (SPD).
Sicherheit
Risiko Schuldenbremse
Deutschland müsse jetzt schnell deutlich mehr investieren, um die Ukraine mit ausreichend Waffen und Munition auszustatten und um selbst abwehrbereit zu werden, fordert der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag Anton Hofreiter (Grüne). Seine Schlussfolgerung: „Angesichts der großen Herausforderungen wäre ein Festhalten an der Schuldenbremse ein Sicherheitsrisiko.“ Hofreiter begründet dies mit der anhaltenden Blockade der Ukraine-Hilfen durch die Republikaner im US-Kongress. Bislang sind die USA noch vor Deutschland der größte Waffenlieferant. Doch nach der deutschen „Zeitenwende“ bei den Rüstungsausgaben sieht Anton Hofreiter nun Deutschland erneut gefordert. „Wir in Europa sind damit umso mehr gefragt, für unsere eigene Sicherheit zu sorgen. Die Ukraine muss die russische Armee aufhalten, um eine Ausweitung des Krieges zu verhindern.“ Damit ist Hofreiter innerhalb der Ampel-Fraktionen erneut vorgeprescht, bei den Grünen stößt er allerdings nicht auf ungeteilte Zustimmung, die FDP lehnt eine Aussetzung der Schuldenbremse weiterhin ab.
Hans-Georg Maaßen unter Beobachtung
Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (2012 bis 2018), Hans-Georg Maaßen, ist zum Beobachtungsfall geworden, wie er selbst öffentlich machte. Der heutige Präsident des Bundesamtes, Thomas Haldenwang (CDU), bestätigte, dass Maaßen als Beobachtungsfall im Bereich Rechtsextremismus geführt wird. Das heißt, alle seine öffentlich zugänglichen Publikationen in den sozialen Netzwerken und Beiträge auf Veranstaltungen werden vom Verfassungsschutz gesammelt und ausgewertet. Maaßen ist Anfang des Jahres aus der CDU ausgetreten. Er will nun aus seinem Verein „Werte-Union“ eine Partei machen und bei den Landtagswahlen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen antreten. Auffällig wurde Maaßen durch abfällige und in Teilen extremistische Äußerungen über die Seenotrettung im Mittelmeer. Er soll Kontakte ins rechtsextremistische Milieu haben.
Wiegand Wahl Watch
Kunterbuntes Kandidaten-Karussell
Bei der Europawahl am 9. Juni kandidieren in den 27 EU-Ländern neue, bekannte und prominente Namen. Einer der gewichtigsten ist Matteo Renzi, italienischer Ex-Premier. Der Versuch, seine junge Mitte-Partei Italia Viva in eine größere Allianz einzubetten, ist aber gescheitert. Renzi (49) trotzig: „Ich schaffe das!“.
In Österreich steht ein bekannter Journalist auf dem Stimmzettel: Helmut Brandstätter. Der 63-jährige Nationalratsabgeordnete startet als Kopf der liberalen Partei NEOS (Neues Österreich) in Richtung Brüssel. Als einstiger Intendant des Österreichischen Rundfunks hat Brandstätter großen Bekanntheitsgrad.
Auch Jimmie Åkesson in Schweden ist ein Promi - und sehr umstritten. Der Chef der erfolgreichen nationalistischen Schwedendemokraten sagt unumwunden: „Wir sind die EU-feindlichste Partei Schwedens.“ Sein Ziel: Volksabstimmung über den Austritt.
In Spanien will Arbeitsministerin Yolanda Díaz von Madrid gen Brüssel ziehen. Umfragen zeigen, dass sie als Nr. 1 der Linkspartei Movimiento Sumar mehrere Sitze auf Kosten des sozialdemokratischen Koalitionspartners gewinnen könnte. Movimiento Sumar wurde erst 2023 gegründet und kam in der Parlamentswahl auf 12,3 %. Auch Spaniens Konservative und Rechtsradikale sind auf Erfolgsspur.
Ivanna Volochiy aus Lettland könnte die erste gebürtige Ukrainerin im Europaparlament werden. Die 42-Jährige kandidiert für die proeuropäische Partei Kustiba Par! („Bewegung Dafür!“). Da sie seit 17 Jahren in Brüssel für EU-Institutionen arbeitet, hat sie Erfahrung.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.